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Linke-Fraktionschef Gregor Gysi über die Wirtschaftskrise, Obama und das Superwahljahr

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Sind Sie auch ein Obama-Fan, Herr Gysi?

Das wäre übertrieben. Aber ich sehe, wie viel Hoffnung weltweit mit diesem Mann verbunden wird. Die Menschen wollen eine andere USA sehen - nicht mehr diese militärisch ausgerichtete Weltmacht, die das Völkerrecht negiert. Ich traue Obama zu, dass er seinen begrenzten Spielraum nutzt, um neue Zeichen zu setzen.

Da droht Ihnen ja am Ende noch der Verlust eines lieb gewordenen Feindbildes. Schließlich hat der Antiamerikanismus bei der Linken eine gewisse Tradition.

In der Politik kommt es zuweilen vor, dass Weltbilder erschüttert werden. Na und? Wenn Obama einen Bruch in der Geschichte Amerikas darstellt - um so besser. Es wäre übrigens nicht der erste. Franklin D. Roosevelt hat durch den New Deal einen Faschismus in den USA verhindert und einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Hitler geleistet. Das gehört ebenso zur US-Geschichte wie der Vietnam-Krieg oder die McCarthy-Ära.

Was erwarten Sie konkret von Obama in der Außenpolitik?

Wenn das Völkerrecht wieder respektiert würde, wenn es in wichtigen Fragen eine ernsthafte Abstimmung zwischen den USA und den ständigen Mitgliedern im Weltsicherheitsrat gäbe, dann wäre das schon ein großer Fortschritt. Alle Konflikte dieser Welt wird wohl auch Obama nicht lösen können. Aber wenn es unter seiner Vermittlung zu einem Frieden im Nahen Osten käme, dann wäre das schon eine Meisterleistung.

Das Gefangenenlager in Guantánamo wird geschlossen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Aufnahme entlassener Häftlinge abgelehnt, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist dafür. Was sagen sie?

Ich finde Schäubles Haltung insoweit richtig als die Verantwortung in erster Linie bei den USA liegt. Sie haben diese Menschenrechtsverletzungen begangen. Sie sollen sich jetzt auch um die Gefangenen kümmern. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass es Einzelfälle gibt, in denen die EU und Deutschland aus humanitären Gründen helfen müssen.

Weltpolitik hin oder her - das größte Problem der neuen US-Administration ist die Wirtschaftskrise. Wie bewerten Sie das, was Obama angekündigt hat, im Vergleich zu den Bemühungen der Bundesregierung?

Obama hat richtig erkannt, dass man jetzt eine gewaltige Summe in die Hand nehmen muss, um die sozialen Folgen der Krise abzumildern. Die 850 Milliarden Dollar, von denen bisher die Rede war, entsprechen in etwa vier Prozent des amerikanischen Bruttosozialprodukts. Deutschland investiert lediglich ein Prozent seines Bruttosozialprodukts. Das reicht einfach nicht.

Von Amerika lernen, heißt, die Krise besiegen lernen?

Nein, denn was ich aus Amerika noch nicht gehört habe, sind Vorschläge, ob und wie man die Finanzwelt anders organisieren will. Wenn man nichts tut gegen Hedgefonds, gegen Zweckgesellschaften, die nur dem Zweck dienen, faule Kredite außerhalb der Kontrolle zu halten, gegen Leerverkäufe, Verbriefungsgeschäfte und Steueroasen, dann ist die nächste Katastrophe nur eine Frage der Zeit.

Wird die Linke das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung im Bundestag ablehnen?

Darüber haben wir noch nicht entschieden. Es ist ja auch noch nicht klar, ob es in Teilen zur Abstimmung gestellt wird oder im Ganzen. Die öffentlichen Investitionen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber zu gering. Es wird nichts zur Stärkung der Kaufkraft getan. Die Renten werden nicht erhöht, der Sockelbetrag für Hartz IV bleibt unverändert, und es gibt keinen Mindestlohn.

Es geht ja dabei auch um die Ankurbelung der Wirtschaft und die Sicherung von Beschäftigung und nicht darum, die Sozialleistungen zu verbessern.

Das ist kein Widerspruch. Wenn Sie Herrn Ackermann 50 Euro geben, dann spekuliert er vielleicht damit. Wenn Sie einer Sozialhilfeempfängerin das gleiche Geld geben, dann kauft sie dafür ein. Das stärkt die Binnenwirtschaft.

Herr Gysi, seit Monaten redet die Welt über die Finanzkrise, in der viele auch eine Krise des Kapitalismus sehen. Das müsste doch eine Sternstunde der Linken sein. Trotzdem steigt die Zustimmung nicht. Woran liegt das?

Wir haben inzwischen sowohl im Westen als auch im Osten eine Zustimmung erreicht, die man uns nach der Wende niemals zugetraut hätte. Jetzt können wir nicht jede Woche meckern, weil wir nicht schon wieder einen Prozentpunkt weiter sind.

Kann es nicht auch daran liegen, dass das Vertrauen in Ihre Konzepte begrenzt ist?

In einer Krisensituation haben die Leute Zukunftsängste. Da ist die Bereitschaft für Experimente gering, da wählt man im Zweifel eher konservativ. Aber wenn die sozialen Folgen des Abschwungs erstmal da sind, dann werden immer mehr erkennen, dass eine linke, soziale Alternative gebraucht wird, schon, damit die anderen Parteien unter Druck geraten.

So, wie sich die Linke in Hessen präsentiert hat - als zerstrittene Truppe, bei der Mitglieder zur Nichtwahl der eigenen Leute aufrufen - ist es doch ein Wunder, dass sie überhaupt in den Landtag gekommen sind.

Es gab Eigentore, ja. Aber es ist auch in der Öffentlichkeit viel übertrieben worden. Bei 750 neuen Mitgliedern in einem Jahr sehe ich es nicht so tragisch, wenn uns 45 Mitglieder verlassen. Das trennt die Spreu vom Weizen.

Das Superwahljahr hat in Hessen begonnen, es wird im Herbst mit der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Brandenburg enden. Wie lautet Ihre Zielmarke?

Bei der Bundestags- und der Europawahl lautet das Wahlziel zehn Prozent plus X. In den ostdeutschen Bundesländern und im Saarland kämpfen wir um eine weitere Steigerung unserer bisher schon guten Ergebnisse, im Saarland allerdings erstmalig und mit einem Paukenschlag.

Fragen: Henry Lohmar

Märkische Allgemeine, 22. Januar 2009