Zum Hauptinhalt springen

»Linke europaweit besser vernetzen«

Interview der Woche von Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Konstruktionsdefizite des Euros, so genannte Hilfspakete, die Folgen der deutschen Exportindustrie und den Kampf gegen die Erpressung durch Finanzkonzerne

Griechenland steckt bis zum Hals im Schuldensumpf und in der Rezession. Portugal kämpft mit ähnlichen Problemen. Deutschland aber erlebt einen Aufschwung. Hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Sahra Wagenknecht: Ja, sicher. Die deutschen Exportüberschüsse und die Schuldenberge in Griechenland, Portugal und anderen EU-Staaten sind zwei Seiten der selben Medaille. Das deutsche Kapital profitiert wie kein anderes vom europäischen Binnenmarkt und vom Euro.

Was ist schief gelaufen bei der Einführung des Euro?

Man hat in völliger Borniertheit die Finanzmärkte entfesselt. Statt sich auf Eckpunkte einer gemeinsamen Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verständigen, wurde ein Dumpingwettlauf um die niedrigsten Unternehmenssteuern, Löhne und Sozialstandards in Gang gesetzt.

Wie hat die Politik Deutschlands im vergangenen Jahrzehnt dazu beigetragen, die Konstruktionsdefizite der europäischen Währungsunion zu verschärfen?

Mit Hartz IV und der Agenda 2010 hat Deutschland die Standortkonkurrenz in Europa angeheizt. Der Ausbau des Niedriglohnsektors hatte zur Folge, dass die deutschen Reallöhne gesunken sind – im Gegensatz zu allen anderen Euro-Ländern. Eine solche Wirtschaftspolitik spaltet und zerstört Europa.

Die Spardiktate für die Krisenstaaten sehen danach aus, als wolle die deutsche Bundesregierung eine Agenda 2010 für die ganze EU. Ein deutscher Euro-Nationalismus nach neoliberalem Strickmuster?

So kann man das ausdrücken. Merkel will in ganz Europa die Rente mit 67 und andere Grausamkeiten durchdrücken. Notwendig wäre es stattdessen, die Finanzierung der Staaten von den Diktaten der großen Finanzkonzerne zu befreien. Dafür brauchen wir eine öffentliche europäische Bank für Staatskredite, die die niedrigen Zinsen der EZB an die Staaten weitergibt, statt sich – wie die privaten Banken – an der Staatsverschuldung auch noch eine goldene Nase zu verdienen.

Das deutsche Wirtschaftsmodell konzentriert sich seit Jahren auf den Export. Könnte eine Verbesserung der Inlandsnachfrage in Deutschland die Situation entspannen?

Ja, denn höhere Löhne in Deutschland würden den Druck auf die Löhne in unseren Nachbarländern reduzieren. Außerdem könnten Griechenland oder Portugal mehr Waren in Deutschland verkaufen und so ihre Wirtschaft wieder auf Trab bringen.

Manche Menschen zweifeln, ob es angesichts der griechischen Schuldenkrise richtig ist, weitere Hilfspakete auf den Weg zu bringen. Manche würden am liebsten den Euro beerdigen. Was entgegnen Sie ihnen?

Die Kritik an den so genannten Hilfspaketen ist insofern berechtigt, als mit den Krediten nicht der griechischen Bevölkerung geholfen wird, sondern wieder einmal den Banken. Ob ein Austritt aus dem Euro für Griechenland Sinn macht, müssen die Griechen entscheiden. Ich glaube, dass das die Situation nur verschlimmern würde. Griechenland braucht keine neue Währung, sondern eine Entschuldung.

Wie wichtig ist europäische Solidarität für die finanzielle Stabilität und die soziale Sicherheit in Europa? Und was sind die wichtigsten Schritte auf dem Weg dorthin?

Nur europäische Solidarität kann verhindern, dass ein Land nach dem anderen von den Finanzkonzernen im Zusammenspiel mit EU und IWF erpresst, unterworfen und ausgeplündert wird. Daher müssen sich Gewerkschafter und Linke europaweit besser vernetzen. Die Kämpfe für eine Finanztransaktionssteuer und eine Vermögenssteuer sind erste Schritte in die richtige Richtung.

linksfraktion.de, 4. Juli 2011