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Landwirtschaft muss weiblicher werden

Interview der Woche von Kirsten Tackmann,

Kirsten Tackmann ist von Beruf Tierärztin. Sie ist agrar- und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

DIE LINKE droht für 2008 mit einer „roten“ Grünen Woche. Worauf müssen sich die Messebesucher/innen gefasst machen?

Ich freue mich sehr, dass es 2008 erstmals DIE LINKE auch auf der Internationalen Grünen Woche geben wird. Die Fraktion ist mit einem Stand präsent, der unübersehbar ist und zeigen wird: DIE LINKE ist nicht „nur“ die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des friedlichen Miteinanders in dieser Welt, sondern die Partei, die auch Fragen zu fairen Lebensmittelpreisen, nachhaltiger Land- und Forstbewirtschaftung und Verbraucherschutz im Interesse der Mehrheit beantwortet.

Wollen Sie den Bündnisgrünen den Titel als Öko-Partei streitig machen?

Selbstverständlich. So wie die Grünen als Friedenspartei längst ihre Unschuld verloren haben, beantwortet auch ihre „Grüne Marktwirtschaft“ die ökologischen Fragen nicht im Interesse der gesamten Gesellschaft. Aber genau darum muss es uns doch gehen! Die Idee der Nachhaltigkeit muss wieder in allen ihren 3 Dimensionen mit realem Leben erfüllt werden: ökologisch, ökonomisch und sozial. Wer Hartz IV beschließt, verletzt dieses Prinzip. Die Grünen sind eben unterdessen die Partei der Bestverdiener.

Was unterscheidet „linke“ von „grüner“ Ökologie?

Es gibt 3 ganz wesentliche Unterschiede im Herangehen an ökologische Fragen. Zum einen berücksichtigt DIE LINKE die gesellschaftlichen Interessen und die konkrete Lebenssituation der Betroffenen. Ein Beispiel: Die Forderung höherer Kraftstoffpreise. Das Ziel, die Reduzierung des Verbrauchs, ist ökologisch korrekt, sogar notwendig. Angesichts der Einkommenssituation vieler Pendler/innen ist allerdings die Preisschraube ohne sozialen Ausgleich absurd. DIE LINKE will nachhaltiges Denken und Handeln mit den Menschen durchsetzen und anders als die Grünen nicht mit elitären Belehrungen über „richtiges“ Verhalten. Und schließlich benennt DIE LINKE klar auch gesellschaftliche Ursachen für die Zerstörung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen. Ohne einen grundsätzlichen politischen Systemwechsel gibt es aus unserer Sicht auch keine wirkliche ökologische Wende.

Bäuerinnen und Bauern sollen von ihren Produkten leben können. Wie erklären Sie einem Hartz-IV-Beziehenden, dass Lebensmittel in Discount-Supermärkten zu billig sind?

Das ist ein sehr reales Problem, das aber nur durch DIE LINKE von Anfang an thematisiert wurde. Ja, wir brauchen kostendeckende Erzeugerpreise. Der ruinöse Preiskrieg im Lebensmittelhandel wurde auf dem Rücken der landwirtschaftlichen Betriebe ausgetragen. Auch die jetzt steigenden Preise kommen nur sehr begrenzt den Landwirten zugute. Andererseits ist die zunehmende Verarmung eines Teils der Gesellschaft mit einem seit Jahrzehnten unbekannten Ausmaß sehr real. Das ist das eigentliche Problem. Das wird aber nicht gelöst, wenn Arme gegen Arme ausgespielt werden. DIE LINKE fordert daher faire Lebensmittelpreise, kostendeckende Erzeugerpreise für die Landwirtschaftsbetriebe und eine Stärkung der Kaufkraft, vor allem durch mindestens 435 Euro Hartz IV-Regelsatz und einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 Euro.

Können deutsche Bauernhöfe und insbesondere die ostdeutschen Genossenschaften ohne EU-Subventionen existieren?

Zurzeit kaum. Das liegt nicht nur an den zu geringen Erzeugerpreisen, sondern an den politischen Rahmenbedingungen. Das ist ein bundesweites Thema mit ostdeutschen Spezialproblemen. Ich komme viel rum im Land. Ob Genossenschaft, Ökohof oder Familienbetrieb - keiner will die Abhängigkeit von Subventionen. Voraussetzung dafür ist aus Sicht unserer Fraktion, dass die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft endlich bezahlt werden. Zum Beispiel die Pflege der Kulturlandschaft und Arbeitsplatzschaffung. Ohne Landwirtschaft sind die Dörfer tot. Wir brauchen also eine völlig neue Förderphilosophie: Steuergelder für gesellschaftliche Leistungen.

Sie sind auch frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Würden Sie jungen Frauen empfehlen, sich eine Existenz im landwirtschaftlichen Bereich aufzubauen?

Ja, unbedingt. Die Landwirtschaft muss auch in der Bundesrepublik weiblicher werden. In Österreich wurden 2003 vierunddreißig Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe von Frauen geleitet. Bei uns sind es aktuell nur sieben Prozent - Tendenz sogar fallend. Bei der Betriebsführung in Nebentätigkeit sind wir mit einem Frauenanteil von 49 Prozent dagegen Spitze im europäischen Vergleich. Sie können es also. Der anstehende Generationswechsel ist ihre Chance. Sie müssen aber auch politisch unterstützt werden. Ein bedarfsdeckendes Angebot für öffentliche Kinderbetreuung gehört dazu genauso wie die Sicherung der sozialen, kulturellen und Bildungsinfrastruktur auch in den ländlichen Räumen.

DIE LINKE fordert die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Landwirtschaftliche Produkte sind in ihrer Bedeutung für die Menschen nicht weniger wichtig als Energie. Wie sieht hier Ihre Schlussfolgerung aus?

Die Ernährungssicherung ist unbestritten wichtig. Aber auch die Frage der Sicherung der Energieversorgung beginnt sich in einer Schärfe zu stellen, die eine völlige Neubewertung notwendig macht. DIE LINKE will 1. die Sicherung einer regionalen Versorgungssouveränität mit Grundnahrungsmitteln und 2. eine dezentrale, ökologische Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien. Der Zielkonflikt nur begrenzt verfügbarer landwirtschaftlicher Nutzflächen ist lösbar. Er ergibt sich ja zusätzlich auch mit der Futtermittelerzeugung und der stofflich genutzten Biomasse. Ein kluges Flächenmanagement und eine kluge Prioritätensetzung sind Voraussetzung. Biogene Kraftstoffe sind klimapolitisch nur 2. Wahl und sollten nur begrenzt erzeugt werden. Also: Nur regional und ökologisch erzeugen sowie nutzen und Zwangsbeimischung abschaffen! Bei Biogas muss die Effektivität verbessert werden. Also: Direkteinspeisung ins Gasnetz und Nutzungszwang für die „Abwärme“. Die Agrarexporte steigen und binden nicht unerheblich Flächen. Also: Warum sie auch noch subventionieren, wenn sie zudem regionale Märkte in Afrika zerstören?
Hunger ist weltweit nach wie vor kein Problem der Verfügbarkeit, sondern der ungerechten Verteilung der Lebensmittel. Die vielen Krisenherde begrenzen zudem die Lebensmittelproduktion. Dies und die ungerechte Weltmarktordnung machen bisherige Lebensmittelexportländer zu Nettoimporteuren. Diese Probleme müssen gelöst werden. Dann braucht zwischen Lebensmittel- und Energieversorgungssicherung kein oder gesetzt werden.

linksfraktion.de, 1. Januar 2008