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»Kritik an der Linksfraktion hilft uns weiter«

Im Wortlaut von Nele Hirsch,

Strategische Allianz von parlamentarischer und außerparlamentarischer Linken angestrebt. Umsetzung des 100-Tage-Programms ist angelaufen. Ein Gespräch mit Nele Hirsch

Nele Hirsch ist bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag

Bei der Strategie- und Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen am Wochenende in Frankfurt am Main spielten Linkspartei und WASG offiziell keine Rolle. Warum?
Sinn der Konferenz war eine Debatte darüber, wo die Bewegungen derzeit stehen und wie der außerparlamentarische Protest weiterentwickelt werden kann. Es ist aus meiner Sicht richtig, daß zunächst einmal über Mobilisierungsschwerpunkte und die weitere Zusammenarbeit der sozialen Bewegungen beraten wird. Die strategische Allianz mit der parlamentarischen Linken, die Horst Schmitthenner von der IG Metall in seiner Konferenzrede angemahnt hat, ist anzustreben - aber das kann erst der zweite Schritt sein.

Die Erwartungen an die Linksfraktion sind groß - das ist deutlich geworden. Welche Rolle muß diese bei der Entwicklung des außerparlamentarischen Widerstands spielen?
Eine entscheidende. Dadurch, daß die Linke jetzt im Parlament vertreten ist, verpuffen Debatten, wie sie hier in Frankfurt geführt werden, nicht mehr so schnell. So sind zum Beispiel beim Perspektivenkongreß im Mai 2004 in Berlin ebenfalls gute Vorschläge entwickelt worden, die aber nicht aufgegriffen wurden. Dadurch, daß es jetzt Parlamentarier gibt, die in den sozialen Bewegungen verwurzelt sind und an den Debatten teilnehmen, können solche Vorschläge im Bundestag zur Diskussion gestellt werden. Das reicht natürlich nicht. Entscheidend ist, daß der außerparlamentarische Protest hinzukommt.

Sehen Sie Ihre Fraktion als Ansprechpartner der sozialen Bewegungen oder auch als vorwärtstreibenden Akteur?
Die Linksfraktion kann dazu beitragen, Themen zur Diskussion zu stellen. Zum Beispiel die berufliche Bildung: Hier können wir mithelfen, Jugendbündnisse für Ausbildung aufzubauen, in denen die Betroffenen selbst zu Wort kommen. So kann die Linksfraktion bestimmte Projekte befördern, auf die sich die außerparlamentarische Bewegung beziehen kann. Es wäre aber vermessen, wenn die Fraktion definieren würde, was wichtig ist.

Bislang war von Initiativen und Aktivitäten der Linksfraktion in der Öffentlichkeit aber nicht viel zu hören.
Es gab bisher ja auch noch keine Bundesregierung, gegen die wir hätten aktiv werden können.

Aber war es nicht schon vorher klar, daß die neue Regierung den neoliberalen Kurs der alten verschärft fortsetzen würde?
Es gab doch auch klare Kritik. Der Koalitionsvertrag wurde von den verschiedenen Arbeitskreisen der Fraktion entsprechend analysiert und negativ bewertet. Wir haben zudem damit begonnen, unser 100-Tage-Programm umzusetzen. Für mich selbst geht es da vor allem um die Ausbildungsplatzumlage. Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Fraktion hat einen ersten Antrag zur Abschaffung von Hartz IV erarbeitet. Es ist also schon einiges in Bewegung.
In der Linken muß aber auch klar sein, daß 54 Menschen im Parlament die Massen nicht plötzlich in Bewegung setzen oder einen unglaublichen Widerhall in den Medien finden können. Man hat natürlich viel bessere Möglichkeiten als früher. Es wäre aber illusorisch zu glauben, 54 Linke im Bundestag könnten den neoliberalen Diskurs von heute auf morgen brechen. So schnell geht es leider nicht.

Von Fraktionschef Gregor Gysi war als Reaktion auf den Koalitionsvertrag u.a. zu hören, man wolle »keine Fundamentalopposition« betreiben. Sehen Sie das auch so?
Die Linksfraktion ist für mich eine klare Oppositionskraft. Man muß jedoch berücksichtigen, daß wir uns in einem Parteibildungsprozeß befinden. Es gibt in der Fraktion ebenso wie in der WASG und der Linkspartei Ansätze, die eine neue Sozialdemokratie wollen. Ich hingegen setze mich dafür ein, daß es eine sozialistische Partei wird. Damit die Linkspartei eine wirklich linke Kraft wird, ist es wichtig, daß gerade soziale Bewegungen, die Partei und Fraktion als Referenzpunkt sehen, ihre Kritik äußern. Eine kritische Begleitung der Arbeit der Fraktion kann uns im Parlament nur weiterhelfen.

Interview: Daniel Behruzi

junge Welt, 21. November 2005