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Kriegskumpane

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag       Wer sich die Reaktion der Bundesregierung anlässlich des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan anschaut, kommt nicht umhin, das Verhältnis als Kumpanei zu bezeichnen. Das Merkel-Kabinett ist nicht gewillt, die Wirklichkeit in der Türkei zur Kenntnis zu nehmen. Im Gegenteil: Jahrelang hat die politische Klasse in Deutschland die Situation dort schöngeredet. Auch jetzt noch. Während über 100 Journalisten, 10000 Oppositionelle in türkischen Gefängnissen einsitzen und über 700 von ihnen seit Wochen im Hungerstreik sind, spricht der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir davon, dass »der Beitrittsprozess den wirksamsten Rahmen für die Umsetzung EU-bezogener Reformen und damit einer demokratisch-rechtsstaatlichen Entwicklung darstellt«. Die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt versteigt sich gar zur Behauptung, »allein die Beitrittsperspektive hat bereits einen enormen Demokratisierungsschub ausgelöst«. Es sind solche Äußerungen, die der regierenden AKP auch noch den Rücken stärken bei ihren Angriffen auf die Meinungs- und Pressefreiheit, auf Gewerkschafter und Oppositionelle. Sie tragen bei zu einer Unterstützung der minderheitenfeindlichen und militaristischen Politik Erdogans. Dabei: Selbst die EU-Kommission, die in der Vergangenheit Ankara nicht gerade getadelt hat, hat im Oktober ihren bisher kritischsten Report zur Lage in der Türkei verfasst. Amnesty International berichtete bereits 2011 über eine immer besorgniserregendere Menschenrechtssituation in der Türkei. 2012 hat sich die Lage erheblich zugespitzt. Nicht zuletzt der Prozess gegen den Komponisten Fazil Say steht exemplarisch für Tausende andere Verfahren gegen Regierungskritiker in der Türkei, die mundtot gemacht werden sollen. All dies ist kein Thema für Merkel und Co.

Die AKP ist mit Unterstützung aus Washington und Berlin dabei, einen autoritär-islamistischen Unterdrückungsstaat zu etablieren. Wichtig ist scheinbar nur, dass die Türkei als NATO-Frontstaat im Nahen Osten fungiert und funktioniert. So ist es nur folgerichtig, dass die Bundesregierung die Eskalationspolitik Ankaras im Nahen Osten, insbesondere gegenüber Syrien, unterstützt. Berlin übt den Schulterschluss mit der türkischen Regierung, die islamistische Milizen ausbildet und bewaffnet, die im Nachbarland Syrien gravierender Menschenrechtsverletzungen, vor allem gegen Kurden, Christen und Aleviten, beschuldigt werden.

Die Botschaft der Demonstration in Berlin am Mittwoch dagegen war klar: Gegen den Menschenrechtsverletzer und Kriegstreiber Erdogan, gegen die Kumpanei von Merkel und Erdogan! Dass dabei zum ersten Mal Aleviten und Kurden, Linke und Gewerkschafter zusammen demonstriert haben, kann ein Anfang sein. Ein Anfang, den notwendigen Widerstand gegen die Kriegskumpanei in Deutschland wie in der Türkei wirksam werden zu lassen.   junge Welt, 1. November 2012