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"Koalitionen verbieten ist dumm"

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Der Fraktionschef der Linken Gregor Gysi über alberne Sozialdemokraten, reiche Steuerhinterzieher - und DKP-Kandidaten.

Gregor Gysi bekennt sich zur Marktwirtschaft, wirft der Koalition aber eine systematische Aushöhlung des Sozialstaats vor.

Herr Gysi, können wir mit Ihnen ein ernsthaftes Gespräch über Verantwortung führen?

An mir soll es nicht scheitern.

Dann wollen wir es versuchen: Erwächst der Linken aus dem Einzug in die Landtage von Hessen und Niedersachsen eine besondere Verantwortung?

Wir begreifen uns als Korrekturfaktor, nicht mehr und nicht weniger. Korrekturfaktor heißt, gegen den neoliberalen Zeitgeist Stellung zu nehmen, Alternativen aufzuzeigen und schrittweise ein Umdenken in der Gesellschaft zu fördern.

In Regierungsverantwortung oder aus der Opposition heraus?

Als Korrektiv kann man auch in eine Regierung gehen. Man muss aber nicht. Das haben wir im Bund seit 2005 gezeigt. Wir haben als Opposition den neoliberalen Zeitgeist gebrochen. Dass die große Koalition das Arbeitslosengeld I für Ältere verlängerte und die Zwangsverrentungen einschränkte - das hätte es ohne uns nicht gegeben.

Ihr Erfolg im Westen zwingt alle Parteien dazu, über neue Bündnisse nachzudenken. Müsste sich eine verantwortungsbewusste Linke nicht schon heute über Regierungsbeteiligungen im Westen auf ein Linksbündnis im Bund vorbereiten?

Auch Opposition hat Verantwortung. Aber ich sage den Genossen im Westen: Ihr könnt eine Regierungsverantwortung nicht verweigern, wenn ihr damit solche gesellschaftlichen Veränderungen erreichen könnt, für die ihr im Wahlkampf geworben habt. Ich bin sehr froh, dass die Linke in Hessen das verstanden hat.

Ihr Parteichef Oskar Lafontaine hat für ein Linksbündnis in Hessen aber die Bedingung gestellt, dass sich SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vom Bundeswehreinsatz in Afghanistan lossagt. Geht es Ihnen um ernsthafte Politik oder um Symbolik?

Entscheidend für eine Koalition in Hessen ist, dass man sich in der Landespolitik verständigt. Und da gibt es zwischen SPD und der Linken eine Menge Übereinstimmungen. In der Landespolitik hat man die Chance, Bundespolitik auszuklammern. Dazu muss die SPD dann aber auch bereit sein.

Wozu genau?

Es müsste klar sein, dass Hartz IV so großzügig ausgelegt wird wie möglich. So wie das die rot-rote Koalition in Berlin erfolgreich praktiziert. Aber Frau Ypsilanti sieht die Hartz-Reformen ohnehin kritisch. Sonst könnten wir uns eine Zusammenarbeit auch nicht vorstellen.

Das heißt: Die Distanzierung vom Afghanistaneinsatz hat sich erledigt?

Entscheidend ist die Landespolitik. Über Bundeswehreinsätze hat nicht das Land zu entscheiden, sondern der Bundestag. Wir sind bereit, in Hessen ernsthaft mitzumachen.

Wie lautet Ihr Angebot an die Hessen-SPD?

Wenn Andrea Ypsilanti bei der Wahl zur Ministerpräsidentin keine eigene Mehrheit hat, wird sie von uns gewählt. Ganz ohne Bedingungen. Danach muss man reden. Wenn sie nicht mit wechselnden Mehrheiten regieren will, können wir uns auch eine Tolerierung oder Regierungsbeteiligung vorstellen.

Bräuchte eine linke Koalition im Bund überhaupt einen Vorläufer in den West- Ländern?

Wahrscheinlich wäre es leichter. Aber man kann sich das in der Politik nicht aussuchen. Vielleicht wird es das erste rot- rote Bündnis erst 2009 im Saarland geben, womöglich mit Oskar Lafontaine als Ministerpräsidenten. Ich bin jedenfalls sicher, dass die alberne Verweigerungshaltung von Kurt Beck keinen Bestand hat. Im Osten und in Berlin Koalitionen mit uns einzugehen, sie aber im Westen zu verbieten, ist spalterisch oder einfach dumm.

Sehen Sie vor 2013 eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung im Bund?

Im Augenblick sieht es nicht so aus, als ob die SPD unsere Bedingungen akzeptierte. Dazu zählen: der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, eine Reform der Gesundheitsreform, die Rücknahme von Hartz IV und der Rente mit 67, eine neue Rentenformel und die zügige Angleichung der Gehälter, Löhne und Renten in Ost und West.

Das alles ist nicht verhandelbar?

Im Kern nicht. Wir sind dazu da, die Richtung der Politik zu verändern. Sonst würden wir überflüssig. Eine Fortsetzung der neoliberalen Politik zerstört die Gesellschaft. Der Fall Zumwinkel zeigt das schlaglichtartig. Wenn über 1000 Reiche in diesem Land ihr Geld am Finanzamt vorbei nach Liechtenstein transferieren, dann ist das nicht nur ein Offenbarungseid der reichen Eliten. Es ist auch eine Bankrotterklärung für die rot-grüne Steuersenkungspolitik der vergangenen Jahre. Denn die niedrigen Sätze haben die Damen und Herren nicht von der Steuerhinterziehung abgehalten. Wir brauchen gerechte Steuersätze und deutlich bessere Kontrollen mit viel mehr Steuerprüfern.

Wird eine Linke ihrer Verantwortung gerecht, wenn sie Positionen festklopft, die sie in der Praxis regierungsunfähig machen? Glauben Sie, dass eine Bundesregierung tatsächlich auf Auslandseinsätze der Bundeswehr verzichten kann, ohne sich international zu isolieren?

Wir schließen Bundeswehreinsätze nicht kategorisch aus. Wir sagen aber, dass der völkerrechtswidrige Einsatz von Soldaten falsch ist, wie im Irak, in Afghanistan und im Kosovo. Aber generell gilt: Wer Militär einsetzt, schafft nur neue Gewalt.

Nach dieser Logik wäre die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten ausgefallen.

Nein. Deutschland hat einen Angriffskrieg geführt. Da greift das Recht der Völker auf Verteidigung. Aber eben dann. Bloß weil die Menschenrechte in Deutschland verletzt wurden, wäre kein einziger alliierter Soldat einmarschiert.

Wie bitte? Wäre es nicht wünschenswert gewesen, die Nazis früher zu stoppen?

Ich sage: Wir müssen die Selbstbefreiung der Völker organisieren.

Selbstbefreiung aus dem KZ? Das ist doch zynisch.

Umgekehrt, deshalb wäre niemand einmarschiert. Ich argumentiere auch so, weil Kriege immer aus ökonomischen Gründen geführt werden. In Ruanda hätte ich eine Ausnahme gesehen. Dort hätte ich einer Militärintervention sogar zugestimmt. Aber es gab keinen Beschluss der Vereinten Nationen, weil es keine ökonomischen Interessen gab und deshalb niemand zur Intervention bereit war. Deshalb war nichts zu machen.
Ruanda zeigt doch gerade, dass UN-Beschlüsse nicht das Maß aller Dinge sein können, wenn es um Militäreinsätze zur Verhinderung von Völkermord geht.
Wer so argumentiert wie Sie, der achtet das Recht nicht. Wer so argumentiert, muss überall intervenieren, wo Menschenrechte verletzt werden. Wollen Sie in Tibet oder Saudi-Arabien einmarschieren?

Muss man einem Völkermord tatenlos zusehen, weil die Vereinten Nationen sich nicht auf einen Beschluss einigen können?

Für mich gilt: Wenn ein Land A das Land B überfällt, dann darf sich das Land B wehren, und dann dürfen auch andere helfen. Punkt. Befreiung von außen gibt es nicht. Menschenrechte lassen sich nicht mittels Krieg durchsetzen, denn der gebiert immer neue Menschenrechtsverletzungen.

Herr Gysi, viele Sozialdemokraten halten eine Regierungsbeteiligung Ihrer Partei wegen der Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik für undenkbar, andere können sich eine Zusammenarbeit wegen der SED-Vergangenheit nicht vorstellen. Akzeptieren Sie eine besondere Verantwortung Ihrer Partei für das DDR-Unrecht, und können Sie das Unbehagen verstehen?

Natürlich nehmen wir die Verantwortung an. Wir haben uns als PDS immer dieser Geschichte gestellt. Ich kann das aber nicht als Argument gegen Koalitionen akzeptieren. In Berlin koalieren wir mit der SPD, in Mecklenburg-Vorpommern haben wir lange gemeinsam regiert. Durch die Fusion mit der WASG haben wir uns noch stärker von unserer Vergangenheit gelöst.

Warum bestreitet Parteichef Bisky, dass es einen DDR-Schießbefehl gab?

Da ist aus einer Formulierung ein Missverständnis konstruiert worden. Lothar Bisky verurteilt den Mauerbau und die Mauerschüsse genauso wie ich. Ob der Schließbefehl in einem Dokument festgehalten wurde, spielt gar keine Rolle. Es wurde geschossen, und das hat der Befehlsstruktur entsprochen. Und dafür trug die SED-Führung natürlich die Verantwortung. Das sieht auch Lothar so.

Vielleicht war die Aufregung auch deshalb groß, weil Biskys Äußerung einen weit verbreiteten Eindruck bestätigt hat. Nämlich den, dass es Ihrer Partei immer zuerst darum geht, die einstigen DDR-Eliten zu schützen, sie sich aber nicht um die Opfer schert.

Tatsache ist, dass die Eliten aus der DDR von keiner anderen Partei akzeptiert wurden als der PDS. Man muss den Menschen doch zubilligen, dass sie sich neu orientieren, wenn ein Staat gescheitert ist. Aber die Opfer haben wir immer mit bedacht.

Setzt Neuorientierung auch so etwas wie Läuterung voraus?

Es ist doch völlig klar: Die Linke ist durch die Art und Weise des Staatssozialismus beschädigt worden. Der Staatssozialismus ist zurecht gescheitert, und er kommt auch nicht mehr zurück.

Über die offenen Listen der Linken sind im Westen aber DKP-Politiker ins Parlament eingezogen, die mit dem Staatssozialismus keineswegs abgeschlossen haben. Was, glauben Sie, geht in jemandem vor, der in Bautzen inhaftiert war und nun von der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner hören muss, dass nach erfolgtem Umbau der Gesellschaft die Staatssicherheit wieder gebraucht werde?

Was in einem früheren Bautzen-Häftling vorgeht, müssen Sie einen früheren Bautzen-Häftling fragen. Ich weiß, was in mir vorgeht, und das langt schon.

Muss sich Frau Wegner entschuldigen, sollte sie zurücktreten?

Zuerst muss man klarstellen, dass derartige Äußerungen mit unserem Programm nichts zu tun haben. Wir haben auch bei der Gründung der Partei Die Linke beschlossen, dass unsere Abkehr vom Stalinismus mit all seinen Folgeerscheinungen unveräußerlich ist. Natürlich soll sie ihr Mandat niederlegen. Ihre Äußerungen sind mit unseren Positionen unvereinbar.

Trotzdem durfte Frau Wegner auf der Linken-Liste in Niedersachsen kandidieren, und in Hamburg tritt der DKP-Bezirksvorsitzende Olaf Harms unter Ihrer Fahne an.

Ich habe immer davor gewarnt, DKP-Mitglieder auf die Landeslisten zu nehmen, nur damit die DKP nicht selbst antritt. Das Beispiel von Frau Wegner zeigt, dass wir solche Absprachen in Zukunft nicht mehr treffen dürfen. Die Erneuerungswilligen sind doch schon lange aus der DKP aus- und zum Teil bei uns eingetreten.

Was wollen Sie tun, damit sich solche Kandidaturen nicht wiederholen?

Ich glaube, auch die westdeutschen Landesverbände haben es jetzt begriffen. Ich sage Ihnen aber noch was, das werden Sie sich vielleicht nicht trauen, zu veröffentlichen.

Jetzt sind wir aber gespannt.

Ich bin wirklich kein Verfolgungstheoretiker. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine DKP-Politikerin einfach so dumm ist, kurz vor der Hamburg-Wahl ein solches Fernsehinterview zu geben, wohl wissend, dass sie uns damit schaden wird. Das heißt, sie wollte uns schaden. Und das sieht doch sehr komisch und eher nach Verfassungsschutz aus.

Herr Gysi, müssen verantwortliche Politiker in Interviews eigentlich bei der Wahrheit bleiben, oder steht ihnen ein gewisser Spielraum zu?

In Ausnahmefällen steht uns ein Spielraum zu, etwa wenn es um Gespräche geht, über deren Inhalt strenge Vertraulichkeit vereinbart wurde. Aber - ob Sie mir das glauben oder nicht - meine Stärke besteht darin, dass ich in aller Regel genau das sage, was ich auch denke.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Stephan Haselberger.

Der Tagesspiegel, 17. Februar 2008