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Koalition offen - Wähler für Rot-Rot-Grün - Zeit nicht reif

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, sieht nach dem angekündigten Rückzug Franz Münteferings als SPD-Chef neue Voraussetzungen für die Koalitionsverhandlungen.

«Jetzt kann vieles wieder offen sein», sagte Gysi am Dienstag in einem dpa-Gespräch in Berlin. «Natürlich gibt es unter den Wählern einen Teil, der Rot-Rot-Grün will. Aber die Zeit und die SPD sind nicht reif dafür. Die Agenda 2010, Hartz IV und der internationale Einsatz der Bundeswehr widersprechen unseren politischen Zielen.» Komme es zu einer Koalition von Union und SPD, werde diese aber nun auf noch wackeligeren Füßen stehen.

«Ich bin aber sicher, dass in der SPD eine Diskussion über die Gründe der politischen Niederlagen in den letzten Jahren nicht mehr zu verhindern ist. Diese könnte zu einer Sozialdemokratisierung der SPD führen, die eine Zusammenarbeit mit uns in einigen Jahren möglich macht», sagte Gysi. Die Nominierung der Parteilinken Andrea Nahles zur Generalsekretärin der SPD gegen den Willen von Müntefering bezeichnete Gysi als «leider geheim und nicht offen artikulierte Kritik am Diskussionsverbot über die Ursachen der SPD-Niederlagen».

Nach der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai habe Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sofort die Vertrauensfrage mit dem Ziel der Neuwahl im Bund gestellt. Nach der verlorenen Bundestagswahl habe er gleich den Anspruch erhoben, Kanzler zu bleiben. Beides habe Diskussionen unmöglich gemacht.

«Jetzt wird ein anderes Denken in der SPD wieder artikuliert werden, auch gegen den Ausschluss einer wann und wie auch immer möglichen Zusammenarbeit mit der Linkspartei, wie er von Schröder und Müntefering gefordert war.» Das sei auch möglich, weil die SPD eine andere Rolle spiele, wenn sie nicht mehr den Kanzler stellt. «Der Druck, einer Führungsperson zu folgen, ist dann so nicht vorhanden.»

Auch ein Teil der SPD werde wohl finden, dass die sozialen Einschnitte auf der einen und Steuererleichterungen für Besserverdienende und Konzerne auf der anderen Seite die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen. Jetzt könnte eine Debatte in der SPD beginnen, dass die Schröder-Politik sozial- und wirtschaftspolitisch falsch war. Stattdessen erhöhten die Anhebung der Reallöhne und mehr soziale Gerechtigkeit die Kaufkraft, kurbelten die Konjunktur an, gebe den Menschen wieder Zukunftsperspektiven und damit auch den kleineren und mittleren Unternehmen eine reale Chance. Mit der Niederlage für Müntefering sei in der SPD etwas geschehen, was in jeder Partei passieren könne: «Irgendwo platzt ein Ventil.»

Er hoffe, dass sich die Frustration in SPD und Union nicht erneut an dem Linksparteikandidaten für einen der Stellvertreterposten des Bundestagspräsidenten, Lothar Bisky, entlade, sagte Gysi. Bisky war bei der Wahl vor zwei Wochen überraschend und beispiellos in allen drei Wahlgängen durchgefallen. Bisky habe eine «anständige DDR-Biografie und viel für die Integration Ostdeutscher nach 1990 getan», sagte Gysi. Union und SPD sollten sich bei ihren Brandenburger Fraktionen umhören, welches Ansehen Bisky dort als Politiker und bisheriger Landtagsvizepräsident habe.

dpa, 1. November 2005