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Kein Krieg, keine Toten

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Gastkolumne

Von Sevim Dagdelen

Am Karfreitag starben drei deutsche Soldaten in einem Gefecht nahe Kundus, acht weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Der so genannte "Entwicklungsminister", Dirk Niebel, der just zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan weilte, nahm dies zum Anlass, mit militärischer Kopfbedeckung vor militärischen Wappen und versammelten Truppen Durchhalteparolen zum Besten zu geben. In Deutschland wurden die getöteten Soldaten zum Anlass genommen, eine bessere Bewaffnung der Bundeswehr zu fordern. So soll die Bundeswehr in Afghanistan mit Haubitzen und mehr Hubschraubern ausgerüstet werden, welche die Soldaten in zukünftigen Gefechten unterstützen sollen. Damit entpuppte sich das ohnehin abflauende Gerede von "Wiederaufbau" und dem "Schutz von Zivilisten" endgültig als reine Rhetorik. In Afghanistan herrscht Krieg und da darf auch mal aus der Ferne irgendwas in die Luft gejagt und aus dem Helikopter in Siedlungen geschossen werden. Das bekräftigte nun auch die Bundesanwaltschaft damit, dass sie das Verfahren gegen Oberst Klein einstellte, der mit dem Bombenangriff am 4. September 2010 möglichst viele so genannte Aufständische "vernichten" wollte. Dass sich darunter auch Zivilisten befanden, hätte er schließlich nicht wissen können.

Zusammen mit der Debatte um eine schwerere Bewaffnung der Bundeswehr kommt dies der Aufforderung an die Soldaten gleich, zukünftig noch schneller zu schießen und noch weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. Die Verklärung der Bundesregierung und auch der Meinungsmacher bezüglich der Lage in Afghanistan setzt sich damit ungebrochen fort, denn die deutschen Soldaten sind nicht in der Offensive, sondern in der Defensive. Knapp zwei Wochen später - diesmal war Kriegsminister zu Guttenberg in Afghanistan - fielen erneut drei deutsche Soldaten. Wie es sich für einen richtigen Krieg gehört, waren mittlerweile Gewöhnungseffekte bemerkbar: Der Ausbruch des Vulkans Eyjafjalla dominierte die Schlagzeilen. Der Tod der jungen Männer bot nur noch den Anlass, eine weitere Intensivierung des Krieges zu fordern und die Dolchstoß-Legende wieder aufzuwärmen: Wer jetzt einen Rückzug fordere, der fiele den deutschen Soldaten in den Rücken und spiele den Taliban in die Hände. Von der "Jetzt erst recht-Stimmung", die der scheidende Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, bei der Truppe ausgemacht haben will, war indes bei den Trauerfeierlichkeiten wenig zu sehen. Den Soldaten war die Angst und der Zweifel am Einsatz ins Gesicht geschrieben. Viele werden innerlich gebetet haben, dass der Minister bald wieder abreist, da ein Zusammenhang zwischen den Angriffen und dem Besuch hochrangiger Politiker aus Deutschland sich aufdrängt. Um die Stützpunkte, aus denen die gefallenen Soldaten kamen, steigt der Unmut von Familienangehörigen. Um deren Tod für den Fortbestand einer "glaubwürdigen" NATO zu rechtfertigen, wurden erneut Terrorängste geschürt, die aber nicht mehr greifen. Dieser verlorene Krieg muss beendet werden, um weitere Opfer zu vermeiden. Auf allen Seiten.

Wochenzeitung unsere zeit, 23. April 2010