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Katar elf Jahre vor dem großen Anpfiff

Im Wortlaut von Katrin Kunert,


Frank Tempel (2.v.l.) und Karin Kunert (2.v.r.) mit jungen Nachwuchsfußballern in einem Stadion in Doha, der Hauptstadt von Katar


Von Katrin Kunert, sportpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Im Sommer 2022 wird das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft in Katar in einem noch zu bauenden Stadion angepfiffen. Die Kataren werden das erste Spiel bestreiten und haben sich viel vorgenommen. Nachdem die ersten Emotionen über die FIFA-Entscheidung abgeklungen sind, die WM 2022 in das Emirat am Persischen Golf zu vergeben, wird es Zeit, diese Wahl einem TÜV zu unterziehen - nicht aus der Ferne, sondern vor Ort.

Auch ich hatte den Beschluss der FIFA kritisiert, weil eben bei der FIFA alles andere als transparent entschieden wird. Der Verdacht der Bestechung ist bis heute nicht ausgeräumt. Auch wenn der FIFA-Chef meint, dass der FIFA wertvollstes Produkt - die WM - nun in Länder oder Gegenden der Welt kommt, "wo sich noch etwas mehr bewege als der Kommerz".

Nun ist die Entscheidung aber einmal gefallen. Eine Delegation des Sportausschusses des Bundestages reiste in die Vereinigten Arabischen Emiraten und nach Katar. Das Reiseziel stand schon weit vor der Entscheidung der FIFA fest. Die bundesdeutschen Sportpolitikerinnen und -politiker wollen auf ihren Reisen internationale Kontakte zu Nationalen Olympischen Komitees, zu Sportfachverbänden, zu Projekten mit deutscher Beteiligung und Institutionen des Sports aufnehmen und pflegen. Die Entwicklung des Breiten- und Spitzensports sowie des Sports für Menschen mit Behinderungen, die Vorbereitung von sportlichen Großveranstaltungen oder Möglichkeiten der Zusammenarbeit werden dabei besprochen. Diese Reisen werden vom Bundestagspräsidenten genehmigt.

Auf der Tagesordnung unserer aktuellen Reise standen allein in Katar zwanzig Programmpunkte, darunter Gespräche mit dem Minister für Bildung und Hochschule, der Präsidentin der Katar-Universität und Besuche der Sportakademie, der ersten sportmedizinischen Einrichtung im Nahen Osten sowie des ersten Dopinglabors. Auch das Bewerbungsvideo in 3D konnten wir bestaunen, in dem zwei Deutsche als Befürworter der WM in Katar auftraten.

Was nur wenige wissen: Katar bewirbt sich für mehrere Sportgroßereignisse und wird auch in 2015 die Handball-WM austragen. Für die Leichtathletik-WM 2017 wird die Bewerbung vorbereitet. Ich frage mich: Warum bewirbt sich ein so kleines Land für Weltmeisterschaften, ohne selbst im Land weltmeisterliche Leistungen aufbieten zu können?

Katar ist eines der reichsten Länder der Erde. Erst seit wenigen Jahrzehnten nimmt das Land diese wirtschaftliche Entwicklung. Nur sportpolitisch ist es - gemessen an seinen internationalen Erfolgen - ein Entwicklungsland. Katar steht vor der Herausforderung, den arabischen Raum entwicklungsfähig zu gestalten. Die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. Das Bevölkerungswachstum beträgt jährlich 2,3 Prozent. Dieses Land will und muss an die Moderne anknüpfen. Und dies kann auch durch den Sport gelingen.

Beim Organisationskomitee der Fußball-WM hat man uns mit Begeisterung dargestellt, wie die WM vorbereitet wird. Sie berichteten, dass viele Kinder - auch Mädchen - Fußball spielen wollen. Diese Begeisterung wiederum wollen die Verantwortlichen im Bildungsbereich nutzen, um Kindern eine gesunde Lebensweise beizubringen. Zwischen 25 und 40 Prozent von ihnen haben Diabetes. Die Kataren verbinden mit der Weltmeisterschaft darüber hinaus, dass sich Menschen - unabhängig von politischen Problemen in den verschiedensten Regionen - begegnen und gemeinsam das Fußballfest feiern.

Es gab nach der Vergabe an Katar unter anderem folgende Kritikpunkte: Bei den klimatischen Bedingungen ist kein vernünftiger Fußball zu spielen. Wie will ein Land seine Stadien füllen, das in der Weltrangliste auf Platz 113 steht und selbst scheinbar wenig Begeisterung für Fußball hat? Wie sollen die Fans "ordentlich" feiern, wenn in diesem Land Alkohol verboten ist?

Zum Klima: Es gibt derzeit ein Stadion, das bei offenem Dach klimatisiert ist. Nach gleicher Bauart sollen die weiteren acht gebaut werden. Die Energie für die noch zu bauenden Stadien soll durch Photovoltaikanlagen erbracht werden. Die Fanbereiche sollen durch Membrane überdacht und ebenfalls klimatisiert. Technisch sollte dies in elf Jahren möglich sein. Für die Finanzierung wollen die Verantwortlichen Investoren ins Land holen, obgleich sie nicht darauf angewiesen sind. Und die Spielzeiten sollen in die kühleren Tagesstunden gelegt werden. Klimatisierte Busse und Bahnen werden die vielen Fans befördern. Und zur Erinnerung: In Mexiko waren die Temperaturen ähnlich hoch und es wurde gespielt. Deutschland verlor im Finale nur knapp mit 3:2 gegen Argentinien.

Zur Fußballbegeisterung: Am letzten Abend unseres Aufenthaltes konnten wir ein Spiel in der Quatar Stars League – vergleichbar mit der Bundesliga - zwischen dem Tabellensiebten und -achten sehen. Ich habe noch nie Fans erlebt, die von der ersten bis zur letzten Spielminute gesungen und getrommelt haben. Die Stadien werden mit Kapazitäten zwischen 22000 bis 86000 Plätzen recht überschaubar bleiben. Man geht vor Ort davon aus, dass die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem arabischen Raum kommen werden.

Zum Alkoholverbot in der Öffentlichkeit: Viele Fußballfreunde in Deutschland verbinden mit der Sportart auch immer das obligatorische Bierchen. Ohne dem scheint es keinen Spaß zu machen. Hier bin ich davon überzeugt, dass es in den Fanbereichen alle möglichen Getränke geben wird. Und ich bin davon überzeugt, dass Katar sich in seiner Lebensweise ändern wird, es wird sich öffnen. Das Land hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung genommen und wird sich auf die Gäste aus aller Welt einstellen.

Für mich hat sich auf dieser Reise vieles relativiert, viele meiner Vorurteile habe ich abgelegt. Wir dürfen nicht immer alles verteufeln, nur weil uns etwas nicht passt oder nicht nach unseren Vorstellungen geschieht oder wir einfach nicht genug über andere wissen.

Zwei Dinge sind mir noch wichtig: Die Stadien werden nach der WM zurückgebaut und in Länder wie den Libanon, Israel oder Südafrika gebracht. Die Stadien sollen die Freude der WM in die Länder tragen, in denen Sport ein wichtiger Baustein für die Entwicklung und Zukunft der Kinder sein kann. Und Regierungen pflegen weithin diplomatische Beziehungen zwischen den Ländern. Parlamente - konkret die Abgeordneten - sollten dies auch tun.

linksfraktion.de, 6. Februar 2011