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Karlsruher Richter im Friedenstest

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Oskar Lafontaine,

Verhandlung über Tornado-Klage der Linksfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht

Im Verfahren um den Tornado-Einsatz in Afghanistan hat die Linksfraktion gestern vor dem Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung eine Verletzung des Friedensgebots im Grundgesetz vorgeworfen - diese verteidigte die Entsendung erwartungsgemäß.

Karlsruhe (Agenturen/ND-Dümde). Die am Sonntag aufgenommenen Aufklärungsflüge dienten auch der Unterstützung der US-geführten Operation »Enduring Freedom«, für die es sechs Jahre nach dem 11. September 2001 keine völkerrechtliche Rechtfertigung mehr gebe, sagte Bundestagsfraktions-Chef Gregor Gysi in Karlsruhe bei einer Anhörung im Bundesverfassungsgericht. »Irak und Afghanistan beweisen, dass der Krieg gegen den Terror nur zu mehr Terror führt«, erklärte Gysi. Wenn das Gericht die Organklage abweise, werde sich das Völkerrecht verändern, ohne dass das deutsche Parlament darauf Einfluss nehmen kann, sagte er.

Die Linke beanstandet mit der Organklage, durch weltweite Einsätze werde der NATO-Vertrag über den Kopf des Bundestages hinweg fortentwickelt. »Die NATO wurde vom Verteidigungsbündnis zum weltweiten Sicherheitsdienstleister gemacht«, kritisierte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Dadurch seien Rechte des Bundestags verletzt, weil die Umwandlung nicht mehr vom deutschen Zustimmungsgesetz von 1955 gedeckt sei. »Die NATO des Jahres 2007 ist nicht die NATO des Jahres 1955«, bekräftigte Gysi. Trotzdem sei seither kein einziger Artikel des NATO-Vertrags geändert worden.

Die Bundesregierung widersprach: Der Tornado-Einsatz sei nicht völkerrechtswidrig, sagte Außenstaatssekretär Reinhard Silberberg. Nicht die NATO habe sich geändert, sondern das sicherheitspolitische Umfeld. Seit 2001 gehörten der internationale Terrorismus und die Probleme instabiler Staaten zu den Herausforderungen des Verteidigungsbündnisses, so Silberberg. Ziel des Bündnisses sei aber nach wie vor die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit. Für die Bundesregierung gehe es in dem Verfahren darum, sich die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu bewahren. »Es geht um die Bündnisfähigkeit unseres Landes.«

Udo Di Fabio, als Berichterstatter im Zweiten Senat federführend für das Verfahren, diagnostizierte eine gewisse Entwicklung des NATO-Vertrags: »Es fällt doch auf, dass immer einen Schritt weiter gegangen wird, dass immer noch etwas dazu kommt.« Für das Gericht stelle sich die Frage, was dies für das Grundgesetz bedeute: »Müssen wir den verfassungsrechtlichen Rückzug antreten?«

Unklar ist, ob der Zweite Senat überhaupt zu einer inhaltlichen Prüfung der Klage gelangt. »Es gibt vielleicht ein Problem mit der Zulässigkeit der Organklage«, sagte Senatsvorsitzender Winfried Hassemer. Grund dafür ist eine Sechsmonatsfrist: Die Klage müsste plausibel machen, dass die entscheidenden Schritte für die Fortentwicklung des Vertrags im letzten halben Jahr vor ihrer Einlegung unternommen worden sind.

Linksfraktionschef Oskar Lafontaine erinnerte an die Kriterien, die das Gericht selbst in seinem Urteil von 2001 zur Organklage der PDS-Fraktion aufgestellt hatte und konstatierte, die Bundesregierung verstoße durch Zustimmung zu den Beschlüssen des NATO-Gipfels von Riga im November 2006 und die Entsendung der Tornados gegen die Artikel 1 und 5 des NATO-Vertrags: das Gewaltverbot und das Konzept des Verteidigungsbündnisses. Es gehe darum, »ob das Völkerrecht Grundlage der Außenpolitik der Bundesrepublik ist«. Mit dem Urteil wird nicht vor Frühsommer gerechnet.

Neues Deutschland, 19. April 2007