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Kann die SPD überhaupt noch Opposition?

Interview der Woche von Jan Korte,

Jan Korte, Mitglied des Innenausschusses, errang am 27. September eines von 16 Direktmandaten für DIE LINKE. Im Interview umreißt er, wie DIE LINKE ihre Oppositionsarbeit erfolgreich fortsetzen wird, welche Möglichkeiten einer Zusammenarbeit er mit SPD und Grünen dabei sieht und welche Erwartunngen er an die Liberalen beim Rückbau des Überwachungsstaates hat, wie ihn DIE LINKE fordert.

Die Wahllokale waren noch keine Stunde geschlossen, als sich der gescheiterte Kanzlerkandidat Steinmeier am 27. September zum Oppositionsführer ausrief. DIE LINKE freut sich doch sicher über eine Verstärkung durch die oppositionelle SPD im Bundestag.

Na ja, das wird sich - glaube ich - erst in den kommenden Monaten zeigen. Die Frage ist zum einen, ob die SPD überhaupt noch Opposition kann. Zumindest nach der zahnlosen Politik der Partei bei vielen Sachfragen in der Großen Koalition habe ich da doch einige Zweifel. Und in Thüringen geht die SPD lieber in der Gefangenschaft der CDU landespolitisch unter, als über Thüringen für einen Politikwechsel bundesweit zu kämpfen. Traurig ist doch, dass es für Schwarz-Gelb im Bund gereicht hat und die SPD nicht einmal in der Lage ist, über den Bundesrat mit einer rot-rot-grünen Landesregierung für ein Stück Opposition zu sorgen.

Wird DIE LINKE ihre Oppositionsarbeit weiter auf sich gestellt fortsetzen oder gibt es Anknüpfungspunkte mit Sozialdemokraten und Grünen?

Nun, DIE LINKE wird auch in der aktuellen Legislatur die stärkste Oppositionskraft sein, zumindest was die inhaltlich klar erkennbaren Positionen angeht. Man wird sehen, inwieweit eine Zusammenarbeit aller drei Oppositionsparteien möglich sein wird. Ich glaube aber, dass sich dies auf einige Sachfragen konzentrieren wird, beispielsweise im Bereich der Innen- und Bürgerrechtspolitik mit den Grünen. Bei der SPD fallen mir dagegen im Moment keine Themen ein. Grüne und SPD müssen wohl erst noch einen wirklichen Abstand zwischen das Heute und das Gestern ihrer Regierungszeit bringen.

Merkel und Westerwelle können im Grunde genommen doch aber alles durchziehen, worauf sich Union und FDP in ihren bevorstehenden Koalitionsverahndlungen einigen werden. Die rechnerische Mehrheit, die DIE LINKE, SPD und Grüne bisher im Bundestag hatten, ist futsch. Wie will DIE LINKE verhindern, dass die Opposition im Bundestag zum zahnlosen Papiertiger verkommt?

DIE LINKE hat in der vergangenen Legislatur bewiesen, dass wir mit unseren Forderungen die anderen Parteien vor uns hertreiben können. Ohne DIE LINKE im Parlament wäre es unter Schwarz-Rot noch unsozialer zugegangen, als wir es leider erleben mussten. Ein wichtiger Faktor für unsere Oppositionsarbeit wird der außerparlamentarische Raum, das gesellschaftliche Klima sein. Mit anderen Worten: Bekommen wir es gesamtgesellschaftlich hin, mit der neoliberalen Einheitssoße zu brechen?

Bei aller begründeten Skepsis gegenüber Schwarz-Gelb müsste doch aber gerade der Innenpolitiker Korte auch ein wenig Hoffnung haben, dass die Liberalen den Überwachungsstaat ein wenig zurückschrauben.

So unsozial die Liberalen auch sind, sie haben in der Innen- und Rechtspolitik über die letzte Legislatur hinaus eine gute Arbeit abgeliefert. Da gab es einige Anknüpfungspunkte auch zwischen FDP und der Linksfraktion. Nun muss die FDP beweisen, wie wichtig ihnen dieses Themengebiet ist. Der Koalitionsvertrag wird da ein erster Gradmesser sein. DIE LINKE wird in diesem wie auch in den anderen Politikbereichen den ausgehandelten Kompromiss zwischen CDU/CSU und FDP genau lesen und gegenbenenfalls Widerstand organisieren.
Im Moment kann ich mir allerdings kaum vorstellen, wie eine Zusammenarbeit zwischen dem CDU-Law-and-Order-Mann Schäuble als Innenminister und einer freiheitlichen FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger funktionieren soll. Das ist aber auch nicht mein Problem. Mir geht es vielmehr darum, ob wir die FDP in Regierungsverantwortung an ihre Forderungen aus der Oppositionszeit erinnern können. Einzig zuverlässig auch in Sachen Bürgerrechte ist eben DIE LINKE.

Welche innenpolitischen Projekte aus der zurückliegenden Wahlperiode muss DIE LINKE noch abschließen und welche neuen Initiativen sind in den kommenden Wochen zu erwarten?

Ganz oben auf der Agenda steht für uns die Verabschiedung eines Gesetzes für einen wirklichen Arbeitnehmerdatenschutz. Im Windschatten des Wahlkampfes hat die Überwachung und Ausforschung von Angestellten durch die jeweiligen Konzernführungen nicht etwa aufgehört, nein, sie ist fortgesetzt worden. Hier haben SPD und CDU/CSU in der letzten Legislatur vollkommen versagt.
Zweites Ziel ist es, die Vorratsdatenspeicherung und die Onlinedurchsuchung wieder abzuschaffen und für die Trennung von Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten weiterhin vernehmbar zu kämpfen.

Eines der 16 Direktmandate für DIE LINKE haben Sie gewonnen. Werden wir Sie jetzt seltener in Berlin und noch häufiger im Wahlkreis sehen?

Das ist eine Frage, die mir seit Sonntag sehr oft gestellt wird. Und in dieser gibt es natürlich Interessenkollisionen. Einerseits bin ich dafür gewählt worden, die Interessen der Menschen meines Wahlkreises im Bundestag zu vertreten. Dafür muss ich eben auch in Berlin, dem Sitz des Parlaments, anwesend und vor allem vernehmbar sein. Zum anderen aber ist es mir wichtig, den Kontakt zu den Menschen vor Ort zu halten, den ich, wie das Wahlergebnis zeigt, in den letzten vier Jahren aufgebaut und vertieft habe. Dafür muss ich natürlich vor Ort sein. Zerteilen kann ich mich leider nicht. Vieles wird sich also einpendeln müssen. Ich glaube aber, dass mein Büro, die Partei vor Ort und ich selbst auf die vor uns stehenden Aufgaben gut vorbereitet sind.

Direktgewählte Bundestagsabgeordnete gelten ja immer ein wenig als Botschafter ihrer Wahlkreise. Ist das nicht ein enormer Erwartungsdruck, der da plötzlich auf Ihnen lastet?

Der wird in meinem Fall sogar noch dadurch erhöht, dass mit dieser Legislatur nicht mehr zwei Abgeordnete aus dem Wahlkreis in Berlin tätig sein werden. Eine Zeitung bezeichnete mich deshalb schon als „letzten Mohikaner“ des Wahlkreises 72 in Berlin. Die Verantwortung ist gewachsen. Alle Erwartungen werde ich wohl nicht erfüllen können, zumal ich Mitglied einer Oppositionsfraktion bin. Ich habe aber auch klar gesagt, dass ich alle Menschen meines Wahlkreises vertreten möchte, also auch jene, die ihr Kreuz noch nicht bei der LINKEN gemacht haben. Dazu gehören neben der Rentnerin eben auch der Bäckermeister und der Unternehmer. In vier Jahren, wenn der nächste Urnengang stattfindet, wird sich zeigen, ob ich dem Erwartungsdruck gerecht geworden bin. Ich setze dabei aber auch auf meine Partei und hoffe, dass sie weiß, wie wichtig es ist, mit vereinten Kräften die direkt gewählten Abgeordneten in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Wird es 2013 für DIE LINKE bereits zu Direktmandaten in Westdeutschland reichen?

Erst einmal werden wir die nun gewonnenen Direktwahlkreise verteidigen. Wenn uns das gelingt, hoffe ich auf weitere Wahlkreise im Osten. Es gab ja einige, wo das Rennen diesmal äußert knapp ausging. Und vielleicht ist dann auch ein Wahlkreis im Westen drin. Das würde mich riesig freuen, besonders weil ich weiß, welch hervorragende Arbeit viele Genossinnen und Genossen im Westen jeden Tag machen. Verdient hätten sie es auf jeden Fall. Und die Menschen in den alten Bundesländern sowieso.

linksfraktion.de, 6. Oktober 2009