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Jeder einzelne Mensch, der an Hunger stirbt, wird ermordet

Kolumne von Niema Movassat,

Von Niema Movassat, für DIE LINKE Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages

Zwölf Millionen Menschen sind von der Hungersnot in Ostafrika betroffen. Bei gleichbleibender Sterberate sind in Somalia in 16 Monaten alle Kinder tot. Das sind Dimensionen, die man sich kaum vorstellen kann.

Diese Hungersnot kam nicht über Nacht. Seit Januar 2011 war klar, dass es zu einer Dürre kommen und dass Hilfe notwendig sein würde. Damals schon hätten die reichen Staaten der Welt handeln müssen. Doch nichts geschah. Und selbst jetzt, im Angesicht der Katastrophe, kommt ihre Hilfe nur zögerlich und in viel zu geringem Umfang. Insgesamt sind laut UN bis Jahresende 1,1 Milliarden Euro notwendig, um Schlimmeres zu verhindern. Die Bundesregierung hat gerade einmal 30 Millionen Euro gewährt, was zum Teil nicht mal neues Geld ist. Wenn Entwicklungsminister Niebel (FDP) die deutsche Hilfe bei Sterberaten in Somalia von 22 Prozent als "gezielt und bedarfsangemessen" bezeichnet, dann ist das zynisch.

Die wahren Gründe für die Hungerkatastrophe liegen tiefer. Die Erntevorräte in den Hungerregionen gingen bereits im April zu Ende, woraufhin massive Preissteigerungen einsetzten. Die Preise für Mais stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 154 Prozent, die für Hirse um 240 Prozent. Gleichzeitig fiel der Preis für Vieh. Daher konnten sich arme Menschen - meist Viehhirten - das Essen auch nach Verkauf ihrer Tiere nicht mehr leisten. Fortan mangelte es weniger an Nahrung, denn am Geld, um sie zu kaufen. Denn der grenzüberschreitende Handel - Reis wird aus dem Norden Somalias nach Äthiopien exportiert - floriert bis heute trotz der Hungerkatastrophe.

DIE LINKE hat in Anträgen zur Unterbindung von Landraub und zum Verbot von Nahrungsmittelspekulationen bereits vor Monaten auf die verheerenden Folgen dieser beiden Praktiken hingewiesen. Die Bundesregierung hingegen ließ zu, dass der Anteil der Nahrungsmittelspekulation am Getreidepreisanstieg lauf 15 Prozent anwuchs. Dass mit EU-Subventionen geförderte Dumpingexporte lokale Märkte in Afrika weiter zerstörten. Dass statt Nahrungsmitteln Agrotreibstoffe angebaut wurden. Verlierer war die ländliche und arme Bevölkerung, die Folge unter anderem die aktuelle Hungersnot in Ostafrika.

Natürlich sind viele Regierungen in Ostafrika korrupt, natürlich haben sie die Landwirtschaft vernachlässigt, natürlich verkaufen sie ihr Land an ausländische Investoren. Aber woher kamen die Gelder für Korruption? Wer hat die Regierungen jahrzehntelang mit Strukturanpassungsmaßnahmen gegängelt? Wer drängt Privatinvestoren auf afrikanische Märkte, auch wenn diese den Profit und nicht die Ernährungssicherheit im Sinn haben? Über Wirtschaftsabkommen wird westlichen Unternehmen der Zugang zu Afrikas Rohstoffreichtum gesichert. Unausgesprochen bleibt dabei, wie diese rücksichtslos die lokale Umwelt und damit die Existenzgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstören, während sie den Großteil der Gewinne außer Landes schaffen. Eine nachhaltige Entwicklungspolitik müsste die europäischen Exporte regulieren und mitunter einschränken, Nahrungsmittelspekulationen und Landraub verbieten und die Machenschaften europäischer Unternehmen kontrollieren.

Statt die Ursachen für die Hungersnot der Al-Schabaab-Miliz in die Schuhe zu schieben – auch wenn das Verhalten der Miliz, Helfer nicht in von ihr kontrollierte Gebiete zu lassen, klar zu verurteilen ist – sollten die Industriestaaten erst einmal ihre eigenen Hausaufgaben machen. Und positive Signale aussenden. Zum Beispiel nach Somalia, das seit 20 Jahren im Bürgerkrieg lebt. Wo es keine funktionierende Regierung und Verwaltung gibt. Und wo eine Entwicklungspolitik, die den Aufbau von Institutionen befördert, die Basisdienstleistungen für die Bevölkerung bieten, entscheidend wäre.

Angesichts der aktuellen Katastrophe geht es um entschiedenes Handeln. Aber auch um Moral. Denn es ist die westliche Handels- und Wirtschaftspolitik, die Hunger verursacht. Deshalb gilt, wie Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, in seiner verbotenen Salzburger Rede sagte: "Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet". Mehr noch: Jeder einzelne Mensch, der am Hunger stirbt, wird ermordet.