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Internet-Enquete: Online-Demokratie benachteiligt sozial Schwache

Nachricht von Herbert Behrens, Halina Wawzyniak,

Die Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" hat sich am 19. März im Rahmen einer Anhörung mit der Frage befasst, ob digitale Partizipationsangebote zu mehr Demokratie führen. Bei welchen politischen Themen ergibt es Sinn, Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen? Und wo gerät das Mitmachen in Konflikt mit dem Prinzip der Repräsentativität? Denn schließlich sind Parlamentarier gewählte Volksvertreter, die für ihre Entscheidungen letztlich auch geradestehen müssen.

  Der von der LINKEN eingeladene Sachverständige Markus Linden von der Uni Trier war in dieser Hinsicht eher skeptisch: Die Krise der politischen Repräsentation lässt sich durch E-Partizipation nicht bekämpfen, meint Linden. Politik lebe von Wertdifferenzen, die man nicht einfach begradigen kann. Auch seien Online-Beteiligungsangebote nicht neutral, sondern würden etwa von Frauen weniger genutzt als von Männern. Auch Bildungs- und Einkommensunterschiede spielten eine große Rolle.    Das beste Beispiel dafür, dass bei direktdemokratischen Verfahren Minderheiten benachteiligt würden, sei die gescheiterte Schulreform in Hamburg. Hier sei eine vom Rat demokratisch getroffene Entscheidung von den Bürgerinnen und Bürgern gekippt worden. "Aber diejenigen, die es betroffen hat, sind nicht hingegangen", meint Linden. Vielmehr hätten die besser gestellten sozialen Schichten einseitig ihre Interessen durchgesetzt. 

Harte Kritik an Merkels "Bürgerdialog"   Mit bestehenden Angeboten wie dem "Bürgerdialog" der Kanzlerin ging Linden hart ins Gericht. "Frau Merkel fragt die Bürger: Wie wollen wir zusammenleben? Sie fragt natürlich nicht: Sollen wir den Griechen Geld geben?" Wenn schon Beteiligungsangebote, dann müssten sie bei "entscheidungsrelevanten Ausschüssen" angesiedelt sein. Entscheiden sollte am Ende aber das Parlament, meint Linden. Denn Parlamentarier müssten schließlich auch für ihre Entscheidungen verantwortlich gemacht werden können.   Auch Daniel Reichert vom Verein Liquid Democracy wies darauf hin, dass es bei der politischen Beteiligung stets ein Bildungsgefälle gebe. Dies sei jedoch kein Internet-spezifisches Phänomen. Liquid Democracy stellt der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" derzeit die Software Adhocracy kostenfrei zur Verfügung. Reichert bemängelte jedoch, dass die Bürgerinnen und Bürger zu wenig Feedback erhielten und in der Regel die Texte erst dann zu lesen bekämen, wenn sie in der jeweiligen Projektgruppe bereits abgestimmt seien. Auch DIE LINKE hatte diese Missstände in der Vergangenheit vielfach kritisiert.

Unwürdige Informationspolitik der Bundesregierung   Stefan Wehrmeyer von fragdenstaat.de berichtete davon, dass innerhalb weniger Tage 7.000 Euro an Spenden zusammengekommen seien, um eine Anfrage zu ACTA nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu ermöglichen. Die Informationspolitik der Bundesregierung sei "dem Computerzeitalter unwürdig", so Wehrmeyer. Ausdrücklich sprach sich Wehrmeyer gegen reine Online-Wahlen aus. In den USA habe es mehrfach große Probleme mit Wahlcomputern gegeben – die Manipulationsgefahr sei einfach zu groß.    Gerhard Vowe von der Uni Düsseldorf meinte, dass das Netz politische Stimmungsumschwünge offenbar erheblich beschleunige. Die FDP sei in Umfragen innerhalb kürzester Zeit auf zwei Prozent gefallen, die Piraten seien jedoch auf bis zu 14 Prozent hestiegen. Ein derartiges Auf und Ab habe es vor dem Internetzeitalter nur selten gegeben.   Neben Linden, Wehrmeyer und Reichert waren auch Christoph Neuberger von der Uni München sowie Christoph Kappes von der Fructus GmbH zu der Anhörung eingeladen, bei der nicht zuletzt auch die großen Chancen zur Sprache kamen, die Instrumente der Online-Partizipation zweifellos heute schon bieten. Die linken Abgeordneten Halina Wawzyniak und Herbert Behrens sowie Annette Mühlberg, die als Sachverständige der Linken in der Enquetekommission vertreten ist, diskutierten nach der Anhörung angeregt mit den Gästen weiter. Man darf gespannt sein, welche neuen politischen Beteiligungsformen sich im Zuge des Medienwandels entwickeln werden.