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Im IOC hat immer noch eine Altherren-Riege das Sagen

Interview der Woche von Jens Petermann,

Jens Petermann, Mitglied im Sportausschuss des Bundestages, sieht die Olympischen Spiele im Interview der Woche als großes Geschäft. Er bedauert, dass der Olympische Gedanke nicht mehr das ist, was er ursprünglich sein sollte: Teil der Olympischen Idee war, dass während der Zeit der Spiele Frieden herrschen sollte. Die Spannung sportlicher Wettkämpfe rechtfertigt nicht, Gesundheit oder sogar Leben der Athleten aufs Spiel zu setzen.

Welche sportliche Leistung und welche menschliche Geste haben Sie besonders beeindruckt?

Begeistert haben mich ich besonders die Erfolge des Bobpiloten Andre Lange, er hat damit seine sportliche Laufbahn am Karriereende gekrönt.

Am Rande der Wettbewerbe, im Zielbereich oder bei den Siegerehrungen waren immer wieder rührende Gesten zu beobachten. Der Verzicht von Magdalena Neuner zu Gunsten Martina Becks in der Frauen-Biathlonstaffel ist aber nicht zu toppen.

Wie wichtig finden Sie den Medaillenspiegel?

Der Medaillenspiegel hat für mich in erster Linie statistische Bedeutung.

Traditionell galten die Olympischen Spiele als Zeit des Friedens. Parallel zum Beginn der Wettkämpfe in Vancouver hat US-Präsident Barack Obama eine gigantische Militäroffensive in Afghanistan gestartet. Inwieweit ist der Olympische Gedanke nur noch ein Mythos, der werbewirksam verkauft wird?

Teil der Olympischen Idee war, dass während der Zeit der Spiele Frieden herrschen sollte. Insofern ist der Olympische Gedanke sicherlich nicht mehr das, was er ursprünglich sein sollte. Das ist bedauerlich, aber derzeit aufgrund der Zusammensetzung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wohl auch kaum zu ändern. Der andere Teil dieser Idee ist der friedliche Wettstreit zwischen den Sportlerinnen und Sportlern. Es ist also schwierig, den Olympischen Gedanken insgesamt für überholt zu erklären.

Der friedliche, Völker verbindende, sportliche Wettstreit lockt Milliarden Menschen an die Fernseher. Kritiker der Olympischen Spiele beklagen die hohen Kosten. Wer profitiert eigentlich von Olympia?

Die Zeiten, in denen es bei Olympischen Spielen nur um Ruhm, Ehre und Medaillen ging, sind lange vorbei. Olympia ist ein großes Geschäft, die Ausrichter lassen sich dieses Ereignis richtig was kosten. Manches Mal profitiert die betroffene Region davon; es gibt aber auch genügend Gegenbeispiele. Wie das in Vancouver sein wird, wird man erst in einigen Jahren sagen können. Zudem zählen selbstverständlich die offiziellen Olympia-Sponsoren - oftmals große Konzerne - zu den Gewinnern der Spiele. Letztlich profitiert aber auch der Sport an sich von Großereignissen: Erfolgreiche Athleten können sich so ihre Zukunft sichern.

Beim Rodeln starb ein Athlet. Zahlreiche Unfälle und viele Verletzte prägten auch die Wettbewerbe im Bobfahren und in den alpinen Disziplinen. Wird das Motto »schneller, höher, weiter« hier ad absurdum geführt?

Sportliche Wettkämpfe leben von ihrer Spannung. Das rechtfertigt aber nicht, die Gesundheit oder sogar das Leben der Athleten aufs Spiel zu setzen. Die Zuschauer sehen schließlich nicht, ob beispielsweise die Alpinen mit 100 oder 140 Stundenkilometern ins Tal rasen. Hier müssen sich die Verantwortlichen etwas einfallen lassen, Funktionäre und Sportindustrie sind gefordert. Auch die Sportlerinnen und Sportler sollten umdenken. Noch ist dieses Bewusstsein nicht ausgeprägt genug. Und wir, als Zuschauende, müssen unsere Erwartungen an das Spektakel »Sport« entsprechend reduzieren.

In vielen Ländern ist die Gleichberechtigung im Vergleich zu Zeiten der ersten Olympischen Spiele 1896 weit voran geschritten. Dennoch dürfen bei Olympia im Skispringen Frauen weiterhin überhaupt nicht starten. Wieso konnte sich das IOC mit dieser unzeitgemäßen Haltung durchsetzen?

Das IOC bestimmt, welche Sportarten zu den Olympischen zählen, nicht der Veranstalter. Deshalb sind die Skispringerinnen mit ihrer Klage vor einem kanadischen Gericht gescheitert. Rechtlich ist daran nichts auszusetzen. Dass sich im IOC selbst die unzeitgemäße Haltung durchgesetzt hat, ist der eigentliche Skandal. Die Begründung war mehr als fadenscheinig und stimmt längst nicht mehr: zu wenig Athletinnen, zu wenig Nationen. Inzwischen springen Frauen aus mindestens 16 Nationen Wettkämpfe. Aber im IOC hat immer noch eine Altherren-Riege das Sagen. Man kann nur hoffen, dass hier endlich ein Umdenken einsetzt und die Sportlerinnen in ihren Bemühungen weiterhin unterstützen.

Kritisiert werden nicht nur von Umweltschützern die Schäden, die durch den Bau der Sportstätten, wie zum Beispiel der Bobbahnen, entstehen. Was müsste passieren, um ein solches Event wie Olympia auch nach ökologischen Kriterien auszurichten?

Wäre man ökologisch konsequent, dürften Olympische Winterspiele in dieser Form nicht mehr stattfinden. Leider sind in Vancouver wohl sämtliche Verpflichtungen in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit nicht eingehalten worden. Bei der Vergabe sollte künftig wieder stärker darauf geachtet werden, dass ein Großteil der Sportstätten vor Ort bereits vorhanden ist. Eine andere Lösung wäre, die Spiele auf verschiedene Orte aufzuteilen. Das widerspräche aber dem Olympischen Gedanken, Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt an einem Ort zu versammeln.

Die Olympischen Spiele in Vancouver sind Geschichte, nun beginnen die Paralympics. Ist die gesellschaftliche Wertschätzung für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen in den letzten Jahren gestiegen?

SpitzensportlerInnen mit Behinderung schinden sich im Vorfeld eines solchen Großereignisses ebenso wie die Olympioniken - dennoch ist die öffentliche Aufmerksamkeit mitnichten so groß. Zudem sind die Erfolgsprämien für die Paralympics-Mannschaft nicht vergleichbar. Der Antrag des Deutschen Behinderten Sportverbandes, die Medaillenprämien leicht zu erhöhen, wurde von der Deutschen Sporthilfe zurückgewiesen. Eine »gesunde« Goldmedaille war dem deutschen Sport bei diesen Winterspielen 15.000 € wert, die ersten drei Plätze zusammen bei den Paralympics bringen 9.000 €. Das ist diskriminierend. Hier müssen der Sport und die ganze Gesellschaft endlich umdenken.

www.linksfraktion.de, 2. März 2010