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Ihr Terrorpate

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion ist klar: Die Terroristen sitzen in Ankara. Aber zugleich wird deutlich: Die Terrorhelfer sind in Berlin zu Hause. Jahrelang war Erdogan der Premiumpartner der Bundeskanzlerin. Was tat sie nicht alles, um seine Gunst nicht zu verlieren: ein Besuch Merkels kurz vor den Wahlen in Istanbul mit dem Nebeneffekt der Aufwertung Erdogans, die Vorverurteilung des Satirikers Jan Böhmermann in einem Telefonat mit dem Terrorpaten und die Ermächtigung, nach Paragraph 103 Böhmermann wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts gesondert zu verfolgen. Dabei wusste die Bundesregierung, dass Erdogan der Chef der »Aktionsplattform« für Islamismus und islamistischen Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten war, so zumindest die Erkenntnisse ihres Auslandsgeheimdienstes BND.

Und in der Tat, neu ist das alles nicht. Neu ist daran allein, dass die Bundesregierung dies in einem Papier zusammenstellt, die die Öffentlichkeit nie erreichen sollte. Nach außen verbot sie sich eine Antwort mit Hinweis auf das deutsche »Staatswohl«. Nach innen aber redete man vertraulich Klartext. Denn man wusste selbstverständlich, dass Erdogan die Grenze für den Nachschub nach Syrien zum »Islamischen Staat« offenhielt, damit der Nachschub für die barbarischen Terrorbanden weiter fließen konnte – auch um Jesiden und Kurden zu massakrieren. Informationen über Waffenlieferungen Erdogans an die Seite an Seite mit Al-Qaida operierende Terrortruppe Ahrar Al-Scham lagen der Bundesregierung vor. All die Jahre hatte man zuliebe der privilegierten Partnerschaft mit Erdogan geschwiegen, und man wollte eigentlich auch weiter schweigen.

Und war auf einem guten Weg, wieder einmal die Verbrechen Erdogans zu relativieren. In Talkshows wie »Hart aber fair« konnten Erdogan-Fans vor einem Millionenpublikum fast widerspruchlos ihre Schönrederei verbreiten. Was Erdogan mache, sei nicht anders als das Vorgehen der BRD gegen die RAF, lautet eines der Stücke aus dem Instrumentenkasten der Propagandaabteilung Ankaras. Damit sollten die mehr als 80.000 Entlassenen, die 130.000 Verhafteten, die Verschwundenen, die Gefolterten vergessen werden. Damit sollten der Krieg gegen die Kurden und die furchtbaren Verbrechen türkischer Sicherheitskräfte verharmlost werden. Hinter dieser Nebelwand sollten die Verhaftungen von Journalisten ebenso wie die Prozesse gegen Oppositionspolitiker wie Selahattin Demirtas unsichtbar werden. Keiner, so das Kalkül der Erdogan-Strategen, würde nachfragen, ob das Verbot der kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem wirklich irgend etwas mit dem Putschversuch zu tun hatte. Seit der Veröffentlichung der Geheimpapiere der Bundesregierung aber geht dies Kalkül nicht mehr auf. Erdogan ist ihr Terrorpate. Es gilt, alles dafür zu tun, dass dies nicht so bleibt.


junge Welt, 17. August 2016