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Hört ihr die Kettensägen? Sie legen die Axt an unser Klima

Im Wortlaut von Lorenz Gösta Beutin, neues deutschland,

Das Geräusch von Kettensägen tönt durch den Wald, als ich am Morgen den Hambacher Forst betrete. Die Wege zu den Baumhäusern werden freigesägt. Eine skurrile Szenerie: Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung weiß, dass der Kohleausstieg für das Erreichen der Klimaschutzziele unausweichlich ist. Und hier setzt RWE, der Dinosaurier des Kohle-Zeitalter, mit aller Gewalt seine Interessen durch. Ja, 2016 haben SPD und Grüne den Weg für die Rodung des verbliebenen Waldes in Nordrhein-Westfalen freigemacht. Doch aktuell tagt die sogenannte Kohlekommission. Sie soll eigentlich einen Weg finden, den Kohleausstieg sozial- und umweltverträglich zu gestalten. Doch die Räumung, der erste Schritt zur Rodung des Hambacher Forsts, schafft hier Tatsachen. Der Rekordsommer hat noch einmal eindringlich vor Augen geführt, dass die Zeit zum Handeln langsam abläuft. Und hier fallen die Bäume, werden die Wege planiert, für die riesigen Kräne, mit denen die Klimaaktivist*innen aus den Bäumen geholt werden.

Am ersten Tag waren noch 3.500 Polizist*innen im Hambi, am Freitag sind es nach Angaben des Pressesprechers der Polizei noch 1.500, darunter Kletter-Einheiten, die aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogen worden sind. Daneben Personal von RWE, Feuerwehren aus Kerpen, Werkschutz von anderen Unternehmen. Die Begründung für die gigantische Aktion: fehlender Brandschutz der Baumhäuser. Kurios, dass bei einer zurückliegenden Razzia gerade Feuerlöscher der Waldbewohner*innen konfisziert wurden. Eine faule Ausrede, um die Staatsmacht für dreckige Kohle und Konzernprofite in Stellung zu bringen. Nachdem das Treffen zwischen RWE und Umweltverbänden gescheitert ist, quasi eine staatliche Strafaktion gegen die resistenten Klimaschützer. Befragt, ob er sagen könne, auf wessen Kosten der Einsatz gehe, die Antwort des Pressesprechers von Team Blau: »Weiß ich nicht.« Da die Anweisung aus dem NRW-Heimatministerium kam, ist leicht zu erahnen, dass Steuergelder für diesen absurd gigantomanischen Einsatz draufgehen.

Als eine Aktivistin aus einem Baumhaus geholt und zu einem Gefangenentransporter am Grubenrand des Tagebaus gebracht wird – Vorwurf: Widerstand gegen die Staatsgewalt – habe ich die Gelegenheit, mit einem Arbeiter von RWE zu reden. Nein, er sehe schon, dass das ein Problem sei, der Kohleausstieg werde kommen und gegen den Klimawandel müsse man was tun. Aber jemand habe doch mal die Tagebaue eingerichtet, und es gebe eine lange Tradition. Außerdem wolle er seine Arbeit behalten. Andere lassen sich nicht auf ein Gespräch ein, teils mit Verweis auf Angst um Job und Familie. Klar ist, hier liegt etwas im Argen. Wo man früher von verallgemeinerbaren Interessen gesprochen hätte, muss überhaupt wieder eine Gesprächsebene hergestellt werden. Dass sich Beschäftigte und Gewerkschaften wie die IG BCE auf die Seite der Kohle-Konzerne stellen, ist nachvollziehbar, wenn es um relativ gut bezahlte Jobs angesichts zunehmender Prekarisierung der Arbeitswelt geht. Eine linke Kommunikation müsste an diesem vermeintlichen Widerspruch ansetzen: Nein, es führt kein Weg am Kampf gegen den Klimawandel vorbei. Das ist eine Menschheitsfrage, nicht allein für die Menschen im globalen Süden. Aber dennoch braucht es Strategien für einen sozialen Ausgleich in den betroffenen Regionen, die Menschen müssen aufgegangen werden. Das Geld wäre da für einen sozial-ökologischen Strukturwandel, allein durch Einsparungen von Umweltkosten, Kohlesubventionen und geringerer Belastung des Gesundheitswesens. Was fehlt, ist der politische Wille, der Mut, den Interessen der Kohlelobby entgegenzutreten.

Spannend ist, dass auch die anwesenden Pressevertreter*innen wenig Verständnis für die teilweise Rodung und Räumung aufbringen. Das spiegelt sich auch in der Berichterstattung wider, die letztlich ein riesiges PR-Desaster für RWE und die NRW-Landesregierung ist. Warum gerade jetzt, wo doch die »Kohlekommission« tagt? Um diese zu boykottieren, zum Scheitern zu bringen? Als bloße Machtdemonstration? Die Gründe scheinen wenig einsichtig. An mangelndem Brandschutz als Auslöser glaubt niemand der anwesenden Journalist*innen. Empörung auch auf der Demo am Donnerstagabend. 1.000 Menschen, die bunt und friedlich für das Ende der Kohle, für den Erhalt des Waldes demonstrieren. Die ganze Absurdität der aktuellen Situation kommt in dem Slogan zum Ausdruck, der immer wieder gerufen wird: »Wo wart ihr in Chemnitz?«

Dieser Text erschien ebenfalls am 17. September 2018 in neues deutschland

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