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Heimlicher Coup d’Etat

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Von Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag sowie Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen, und Christian Christen, Referent für Wirtschaftspolitik für die Fraktion DIE LINKE
 

Wer massenhaft Steuergelder verbrennen will, muss die Privatwirtschaft ins Boot holen. Beispiele gibt es reichlich: Etwa das elektronische Mautsystem der Toll-Collect GmbH, das zu spät und fehlerhaft fertig wurde, weshalb der Bund rund sieben Milliarden Euro Schadensersatz fordert. Die Hamburger Elbphilharmonie ist noch lange nicht eröffnet und doch schon längst ein Millionengrab. Ursprünglich sollte sie 77 Millionen Euro kosten, aktuell ist vom Zehnfachen die Rede: 789 Millionen. Die Sanierung eines Teilstücks der Autobahn A1 (Hamburg-Bremen) wird nicht nur teurer als versprochen, sondern hat Tod und Leid gebracht. Der Bauabschnitt wurde zum unfallträchtigsten der Republik.

Ob beim Bau von Autobahnen, Rathäusern, Schulen, Messehallen oder Kliniken – die Kasse klingelt für Unternehmen, Berater und Lobbyisten, die für die Öffentlich-Privaten Projekte (ÖPP) trommeln. Schlampige Planung, geschönte Zahlen und geheime Verträge sind der Sumpf, in dem dieser organisierte Betrug blüht. Die vor jedem Vertragsabschluss präsentierten Zahlen und vollmundigen Versprechen, wie günstig und effizient es mit privaten Leistungsträgern würde, sind Luftnummern. Der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe haben die ÖPP-Abgründe dokumentiert und nachgewiesen, dass die öffentliche Hand in eigener Regie billiger bauen kann, weil sie die günstigsten Zinsen bekommt.

Warum geht es dennoch weiter mit den offenkundig falschen Finanzierungsmodellen? Die Konjunktur lahmt, jetzt auch in Deutschland. Der Privatwirtschaft kurzfristig Chancen zu eröffnen, scheint deshalb ein naheliegender Gedanke zu sein. Richtig ist, dass Investitionen überfällig sind. Deutschland schiebt seit Jahren eine riesige Investitionslücke vor sich her. In Kindergärten, Schulen und Hochschulen fällt nicht nur der Putz von den Wänden. Das Straßen- und Schienennetz ist marode. Allein die Energiewende braucht nach Schätzung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) jährlich rund 40 Milliarden Euro.

Am Geld mangelt es für eine solche Investitionsoffensive nicht. Nur liegt es in privaten Händen. Gemeint sind nicht die Rücklagen von Kleinsparern, sondern die Anlagemilliarden großer Versicherungen, von Banken und Fonds. Diese Anleger wären auch nicht abgeneigt, die Infrastruktur zu finanzieren. Sie plagt nämlich eine eigene Sorge. Wohin mit dem Finanzvermögen in Zeiten mickriger Zinsen und hoher Risiken auf den Finanzmärkten?

Uwe Laue, Vorstandsvorsitzender der Debeka-Versicherung und Chef des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), summiert die flüssigen, anlagesuchenden Mittel allein seiner Branche auf 190 Milliarden Euro. In der Berliner Zeitung klagt Laue: »Langsam gehen uns die Adressen für gute Anlagemöglichkeiten aus, denn wir haben ja hohe Anforderungen an die Sicherheit.« Auch die Allianz möchte in Infrastruktur investieren, verlangt aber sichere Renditen. »Wenn wir Eigenkapital einsetzen, erwarten wir schon etwa sieben Prozent, bei riskanten Investments auch mehr«, meint Markus Faulhaber, Chef der Allianz-Lebensversicherung.

Wolfgang Schäuble hat die Signale verstanden. Dass die öffentlichen Investitionen nicht vorankommen, »liegt nicht an einem Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten«, sagt der Finanzminister. »Wir haben günstige Kreditkonditionen. Es liegt daran, dass wir für Investitionen nicht das nötige Vertrauen in die erwartete Rendite haben. Daran müssen wir arbeiten durch Innovation, durch Strukturreformen und Implementierung.«

Steuergeschenke an Unternehmen und Reiche haben die öffentliche Hand arm gemacht. Gleichzeitig gilt die Kreditaufnahme des Staates selbst in Zeiten von Zinsen nahe Null als unverantwortlich. Nun kommt eine dritte Idiotie hinzu. Die Bundesregierung will Steuergelder auf Jahrzehnte zum Fenster rauswerfen. Genau das passiert nämlich, wenn man privaten Anlegern dauerhaft eine hohe Rendite in Aussicht stellt. Faulhabers »Sieben Prozent plus X« könnten sehr schnell bei 25 Prozent landen – wie viele ÖPP-Vorhaben zeigen. Infrastrukturprojekte werden dann über 15 bis 30 Jahre locker das Doppelte oder Dreifache des Planansatzes kosten.

Solche »Geschenke« wurden bisher schon in Geheimverträgen versteckt. Gleiches lässt sich durch komplizierte Finanzinstrumente erreichen, so dass sich die Kosten über Jahrzehnte strecken und verstecken. Geparkt wird die saftige Rechnung dann in »Schattenhaushalten«. So fällt der ökonomische Unsinn nicht auf.

Schäuble und andere können weiter fröhlich ihre schwarze Null feiern, während Wirtschaftsminister Gabriel die absehbare ÖPP-Umverteilung großen Stils organisiert. Er hat eine Expertenkommission zur »Stärkung von Investitionen in Deutschland« einberufen. Die Finanzbranche sitzt selbstverständlich mit am Tisch. Und am Kampagnengeld mangelt es nicht. Die vermeintlich glänzende Idee einer stärkeren privaten Finanzierung von Infrastrukturprojekten erreicht die Schlagzeilen.

Erzählt wird ein Märchen, das doppelte Not zur doppelten Tugend macht. Der eine hat viel Geld, kann es aber nicht sicher und rentabel anlegen. Der andere braucht viel Geld, damit die Infrastruktur nicht unter den Füßen zerbricht. Gleichzeitig profitiert der kleine Sparer. Seine private Altersvorsorge ist »gerettet«.

An diesem Märchen ist alles verlogen, nur das eine nicht. Märchenhaft sind die Aussichten für Allianz-Chef Faulhaber, seine Kollegen und deren Aktionäre. Ob und wie die Versicherten/Sparer profitieren, ist völlig nebensächlich. Der Gewinn geht erst einmal in den Konzern und an seine maßgeblichen Damen und Herren: Provisionen, Boni, Dividenden. Sollten die Versicherungskunden oder Sparer etwas bekommen, werden sie als Steuerzahler und Bürger (steigende Abgaben, Gebühren und Sozialabbau) an anderer Stelle kräftig zur Kasse gebeten.

Was auch immer Gabriels Expertenkommission in den nächsten Wochen konkret zu Papier bringt – die Leitlinien stehen schon fest. Die stärkere private Finanzierung der Infrastruktur wird die weitere Privatisierung öffentlicher Aufgaben nach sich ziehen. Die Strategie enthält die Aussicht auf hohe Gewinne für die Kapitalgeber, was politisch organisiert und auf Jahrzehnte gesichert werden muss. Die hohe Kapitalrendite bedeutet, dass die Projekte teurer als notwendig werden. Und abschließend zahlen die Bürgerinnen und Bürger für diesen heimlichen Coup d’Etat: höhere Steuern, höhere Gebühren, höhere Abgaben á la PKW-Maut und Einschnitte an anderer Stelle. Der Coup mag modern klingen, weil seine Verpackung gelungen ist. Aber er löst kein einziges Problem und schädigt am Ende unsere Gesellschaft in jeder Hinsicht: politisch, sozial und ökonomisch.

linksfraktion.de, 5. november 2014