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»Griechenland braucht Investitionen, keine Kürzungsprogramme«

Interview der Woche von Diether Dehm, Barbara Höll,

Barbara Höll, steuerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, und Diether Dehm, europapolitischer Sprecher der Fraktion, über die griechische Krise und ihre politischen Konsequenzen

Mehr vom Gleichen – das ist das Rezept der EU und der deutschen Bundesregierung, um den griechischen Staatsbankrott abzuwenden. Griechenland soll härter sparen und erhält im Gegenzug weitere Milliarden. Kann das klappen?


Barbara Höll: Nein, das kann nicht funktionieren und zwar aus folgenden Gründen. Durch die Kürzungsmaßnahmen, die besonders stark einkommensschwache Schichten treffen, wird Kaufkraft entzogen. Experten bestätigen, dass die Konsolidierungsmaßnahmen Griechenland tiefer in die Rezession drücken. Und Griechenland vorzuwerfen, sie würden nicht genug konsolidieren, geht klar an der Wirklichkeit vorbei. Es kann nicht sein, dass die Bevölkerung Griechenlands weiter derart erpresst wird. 

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der EU-Ratssitzung?   Diether Dehm: Die Ergebnisse sind wenig überraschend: Griechenland soll weitere Kredite bekommen, gegen nochmals verschärfte Spar- und Privatisierungsauflagen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit von EU-Kommission, EZB und IWF ausgehandelt wurden. Die von der Kommission in Aussicht gestellten Konjunkturhilfen in Höhe von rund einer Milliarde Euro fallen mager aus. Der Beschluss zur Einrichtung des ESM ab 2013 und das Versprechen, die vorerst gescheiterte Verschärfung des neoliberalen Stabilitäts- und Wachstumspakts weiter voranzutreiben, zeigen, dass die EU-Regierungen ihren gescheiterten Kurs fortsetzen.
Viele Entscheidungen während der Euro-Krise wurden auf mehr oder weniger heimlichen Gipfeltreffen ausgehandelt. Was muss getan werden, um derartige Demokratiedefizite auf EU-Ebene zu beheben?   Diether Dehm: Im Zuge der Euro-Krise haben sich die Demokratiedefizite sogar noch verschärft: Das betrifft vor allem die Krisenländer, deren gewählte Regierungen nun detaillierte Sparauflagen von EU-Kommission und EZB und massive Souveränitätseingriffe akzeptieren müssen, um Kredite zu bekommen. Beispielhaft für die Entdemokratisierung steht die Einrichtung des sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der bewusst außerhalb der EU-Strukturen angelegt ist, um selbst die schwach ausgebildeten EU-Kontrollinstrumente umgehen zu können. DIE LINKE fordert daher eine EU-Verfassung, die eine umfassende Demokratisierung der Entscheidungsverfahren, mehr Einflussmöglichkeiten von Europa- und nationalen Parlamenten und mehr Bürgerbeteiligung vorsieht.   Durch einen Schuldenschnitt könnte Griechenland zumindest ein Teil seiner Schulden erlassen werden: Ist der Schuldenschnitt nötig? Und wie groß sind die damit verbundenen Risiken?   Barbara Höll: Bevor ein Schuldenschnitt erwogen wird, muss alles Mögliche dafür getan werden, um Griechenland in die Lage zu versetzen, sein Gemeinwesen selbst zu finanzieren. Dazu muss die Staatsfinanzierung von den Launen der Kapitalmärkte abgekoppelt werden. Die Märkte berufen sich auf die Urteile weniger Ratingagenturen, die überhaupt nicht in der Lage sind, die finanzielle Situation eines Staates einzuschätzen. Um die Staatsfinanzierung kostengünstig und finanzmarktunabhängig zu gestalten, brauchen wir eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen. Ebenso wichtig ist die Schaffung einer europäischen Ratingagentur und die Einführung von Euroanleihen, um spekulative Angriffe auf Euro-Staaten zu vermeiden. Wenn die Finanzierung Griechenlands erst einmal sichergestellt ist, ist ein Schuldenschnitt dann vielleicht nicht mehr nötig.

Einige EU-Länder müssen auf Teufel komm raus sparen, andere Milliarden bereitstellen. Eine Zerreißprobe für die Zukunft der Union?   Diether Dehm: Krise und neoliberale Sparprogramme spitzen die wirtschaftliche und soziale Spaltung Europas zu. Die Krisenländer laufen Gefahr, wirtschaftlich abgekoppelt zu werden. Drastische Einschnitte in die Sozialsysteme kommen auch auf die Bevölkerungen der "starken" EU-Staaten zu, denn die milliardenschweren Bankenrettungsprogramme treiben die öffentliche Verschuldung weiter in die Höhe. Die politischen Folgen dieser wirtschaftlichen und sozialen Desintegration werden am Vormarsch von Nationalismus, Neofaschismus sowie Wahlerfolgen von rechtspopulistischen Parteien wie zuletzt in Finnland sichtbar. Linke Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen müssen die politische Initiative zurückgewinnen und Strategien für eine sozialere und demokratischere EU aufzeigen.

In Spanien und Griechenland wird seit Monaten gegen Sparpolitik und politische Eliten protestiert. Wie schätzen Sie die Protestbewegung ein?   Diether Dehm: Es ist absolut richtig, dass sich die Menschen in Spanien und Griechenland – auch in Portugal – gegen die Spardiktate von EU, IWF und ihren Regierungen zur Wehr setzen. Wir solidarisieren uns mit den DemonstrantInnen und unterstützen über die Europäische Linke (EL) und unsere Schwesterparteien die Proteste. Ich hoffe, dass sich daraus eine starke politische Bewegung entwickelt, dass sich die zum Teil spontanen Aktionen vor allem junger Menschen stärker mit den Gewerkschaften, linken sozialen Bewegungen und Parteien verzahnen. Die Macht der Banken und des Finanzsektors muss gebrochen, die gescheiterten neoliberalen Reformen und die unsinnigen Sparprogramme müssen beendet werden. Dafür ist der Druck von der Straße unerlässlich.    Die Fraktion DIE LINKE. Im Bundestag hält die inzwischen angestrebte Beteiligung privater Gläubiger für eine Farce. Welche Wege gibt es, um private Gläubiger und Banken wirksam an den Kosten der Krise zu beteiligen?    Barbara Höll: Während die griechische Bevölkerung nicht gefragt wird, ob sie sich beteiligen will oder nicht, lässt man es den privaten Gläubigern offen. Aber auch hier muss eine Beteiligung verpflichtend sein. Zur Finanzierung der Krisenkosten ist vor allem eine ausreichend hohe Bankenabgabe, die jetzige hat mit ihren geringen Einnahmen von maximal 1,3 Milliarden Euro eher Symbolcharakter. Wir benötigen eine Bankenabgabe - wobei der Abgabesatz, die auf die Bilanzsumme der Banken erhoben wird und progressiv mit der Bilanzsumme steigt - sicherstellt, dass Verursacher der Krise für die Kosten der Krise aufkommen. Von dieser müssen Sparkassen, Genossenschaftsbanken sowie Förder- und Bürgschaftsbanken ausgenommen werden, da sie die Krise nicht zu verantworten haben. Ebenso notwendig ist eine Finanztransaktionsteuer, die Geschäftsmodelle, die auf kurzfristige Spekulation abzielen, unattraktiv machen würde. Des Weiteren ist eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre und Multimillionäre nötig. Das alles würde die Gefahr von Vermögenspreisblasen verringern.   DIE LINKE fordert eine Wirtschafts- und Sozialunion, um die Krise des Euro zu meistern. Welche politischen Schritte sind dafür nötig?   Barbara Höll: Möchte die Europäische Union weiter solide bestehen, ist eine Koordinierung der europäischen Staaten hinsichtlich steuerlicher, wirtschaftlicher sowie sozialpolitischer Fragen notwendig. Der noch stattfindende Wettbewerbsdruck und Unterbietungswettlauf muss ein Ende haben. Zum Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte schlagen wir vor, dass diejenigen Länder mit ständigen Leistungsbilanzüberschüssen mit Sanktionen belegt werden, zum einen Strafgebühren, zum anderen die Aufforderung Korrekturmaßnahmen auszuarbeiten. Die so gesammelten Einnahmen sollten zur Förderung des sozialökologischen Strukturwandels verwendet werden.    Was halten Sie von einem Marshallplan für EU-Krisenländer?     Barbara Höll: Die Idee des Marshallplans, ursprünglich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Krediten, Rohstoffen und Waren, als großes Wirtschafts- und Wiederaufbauprogramm gedacht, kann uns heute wieder nützen. In Anlehnung an diese Idee schlagen wir ein EU-weites Investitionsprogramm in Höhe von 2 Prozent des BIP der EU-Mitgliedstaaten vor. Dadurch würde die Wirtschaft in Griechenland gestärkt und das Fundament, um alleine aus der Krise herauszukommen, wäre gelegt. Was Griechenland dringend zur Krisenbewältigung braucht, sind nämlich Investitionen, nicht Kürzungsprogramme, die die soziale und wirtschaftliche Situation noch verschlimmern.

Diether Dehm: Eine wirtschaftspolitische Kehrtwende ist unerlässlich, denn das Beispiel Griechenlands hat gezeigt, dass Sozialkahlschlag und Sparorgien auch die Wirtschaft abwürgten. Nötig ist stattdessen ein Investitionsprogramm zur Unterstützung der Wirtschaftsentwicklung, das über die Besteuerung Reicher, zum Beispiel durch eine Millionärssteuer, zu finanzieren ist. Durch die Einführung von Euro-Bonds sowie die Finanzierung von Staatskrediten über eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen müssen Wucherzinsen privater Banken vermieden werden.      linksfraktion.de, 27. Juni 2011