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Gezeitenwechsel in Südeuropa

Im Wortlaut von Andrej Hunko,


Von Andrej Hunko

 

Der Erfolg von Podemos in Spanien setzt den Trend anti-neoliberaler Entwicklungen in Südeuropa fort. Nach den Wahlen in Griechenland und Portugal wurden nun auch in Spanien Merkels konservative Musterschüler abgestraft. Deren Job war es, Sozialkürzungen, Privatisierungen und Strukturreformen im Dienste der Wettbewerbsfähigkeit gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen.

Wie schon zuvor in Griechenland wurde nun auch in Spanien das alte Zweiparteiensystem, das seit den 70er Jahren bestand, zu Grabe getragen. Mit der begrenzten Ausnahme von Chrysi Avgi in Griechenland blieben rechtsextreme Parteien von der Krise trotz Massenarbeitslosigkeit und Flüchtlingskrise in Südeuropa chancenlos. Die südeuropäischen Gesellschaften, insbesondere deren Jugend, drängen nach links.

In Spanien und Griechenland, zum Teil auch in Portugal, gingen dem parlamentarischen Aufstieg der Linken breite gesellschaftliche Bewegungen von unten gegen Austerität und für mehr Demokratie voraus. So die 15m-Bewegung und die Bewegung gegen die Zwangsräumungen in Spanien oder die Syntagma-Bewegung 2011 in Griechenland. Dort besetzten bis zu 3 Millionen Griechinnen und Griechen mehrere Wochen lang den zentralen Syntagma-Platz vor dem Parlament.

Podemos verzichtete auf traditionelle linke Symbolik

Die parlamentarischen Ausdrucksformen dieser Bewegungen waren jedoch unterschiedlich: In Griechenland gelang es SYRIZA in den Jahren 2011 und 2012 ein produktives Wechselverhältnis zu den Bewegungen aufzubauen und damit den Grundstein für den späteren Aufstieg zu legen, in Spanien wurde Podemos Anfang 2014 neu unter weitgehendem Verzicht auf traditionelle linke Symbolik und linkes Vokabular gegründet.

Spezifisch kommen in Spanien noch die konstitutionelle Frage und ein besonders unfaires Wahlsystem hinzu. Katalonien und das Baskenland drängen nach Unabhängigkeit, die traditionellen spanischen Parteien lehnen genau das ab und wollen nicht einmal ein Referendum zulassen. Es ist bemerkenswert, dass Podemos, das nicht für die Unabhängigkeit, wohl aber für das Recht auf ein Referendum und für als "zweite Transition" beschriebene Verfassungsänderungen eintritt, in Katalonien und im Baskenland stärkste Kraft wurde.

Auch eine Änderung des spanischen Wahlsystems, das große Parteien und ländliche Regionen bevorzugt, steht jetzt zur Disposition: Für einen Abgeordneten brauchte die konservative Partido Popular (PP) 56.000, die sozialdemokratische PSOE 58.000, Podemos 71.000, Ciudadanos 82.000 und die traditionelle Linke (Izquierda Unida), die unter dem Namen Unidad Popular angetreten war, gar 437.000 Stimmen. Diese extreme Verzerrung ist mit dem gewachsenen Demokratiebedürfnis nicht vereinbar.

Barbarischer Prozess der Austerität

Was die linken Kräfte betriff, ist es bedauerlich, dass es nicht spanienweit zu einer gemeinsamen Kandidatur von Podemos und Izquierda Unida gekommen ist. Denn dort, wo sie gemeinsam antraten, in Katalonien, in Galicien und in Valencia, erzielten sie spektakuläre Erfolge. Diese Bündnisse lagen etwa 7 Prozentpunkte über dem Ergebnis von Podemos im restlichen Spanien.

Es ist völlig unklar, wie die künftige Regierungsbildung aussehen wird. Die einzig denkbare Variante ist zurzeit eine große Koalition aus PP und PSOE, die aber politisch viel weiter auseinanderliegen, als etwa in Deutschland CDU/CSU und SPD. Eine solche Koalition würde wahrscheinlich von Brüssel präferiert, wäre aber vermutlich für die PSOE politischer Selbstmord. Das Scheitern einer Regierungsbildung würde den Weg für Neuwahlen im Frühjahr ebnen.

Spanien steht mit Blick auf diese Situation vor einer Phase der Instabilität. Die alte politische Ordnung ist schwer ins Wanken geraten, die Unabhängigkeitsbewegungen von Madrid insbesondere in Katalonien und dem Baskenland bleiben stark. Es ist eine Phase großer Herausforderungen für die linken Kräfte, aber auch für die EU: Soll der barbarische Prozess der Austerität unter der "monströsen Euro-Architektur" weiter fortgesetzt werden oder soll es zumindest Korrekturen geben?

Griechische Welle wurde gebrochen, aber nicht die anstehende Flut

Südeuropa drängt nach links, auch in Irland deuten die anstehenden Wahlen auf eine Stärkung der Anti-Austeritätskräfte hin. In Großbritannien wurde im Sommer ein Linker zum Labour-Chef gewählt. Auch die jüngsten Vorstöße des italienischen Mnisterpräsidenten Renzi können auch als Versuch gewertet werden, das insbesondere von Deutschland durchgesetzte Austeritätsregime zu hinterfragen. Auf der anderen Seite stehen die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Frankreich, Dänemark, Niederlande, Polen und zuletzt leider auch in Deutschland. Sie verknüpfen Elemente berechtigter Kritik an der Entwicklung der EU mit rassistischen und autoritären "Lösungen". Der Ausgang dieses Prozesses ist ungewiss. Eine rein EU-affirmative Herangehensweise im Kampf gegen den Aufstieg der Rechten wird jedoch zum Scheitern verurteilt sein.

Die spanischen Wahlen stellen eine beachtliche Welle im Gezeitenwechsel dar, der zumindest in Südeuropa zu beobachten ist. Die erste griechische Welle wurde gebrochen, aber noch nicht die anstehende Flut.

linksfraktion.de, 22. Dezember 2015