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Gabriel würgt Energiewende ab

Interview der Woche von Caren Lay,

 

Caren Lay, Leiterin des Arbeitskreises Struktur- und Regionalpolitik, spricht im Interview der Woche über Energieminister Gabriels "Energiewende", Strompreisbremsen für Verbraucherinnen und Verbraucher und dem Ziel, mit handfesten europäischen Vereinbarungen doch noch einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten.

 

Energieminister Gabriel will die Energiewende auf neue Füße stellen und hat dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt, das das Bundeskabinett bereits beschlossen hat. Kernstück seines Aufschlags ist die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Damit scheint er es eilig zu haben. Warum?

Caren Lay: Die EU-Kommission sitzt Minister Gabriel im Nacken. Sie hat gegen die Bundesregierung ein sogenanntes Beihilfe-Verfahren wegen der Befreiungen der Industrie von der Ökostrom-Umlage eingeleitet. Die Kommission sieht in den Industrierabatten in der bisherigen Form und vor allem Breite eine europarechtlich nicht erlaubte Subventionierung. Kommt die Bundesregierung der Kommission bis zum Sommer nicht entgegen, droht eine komplette Streichung dieser Industrie-Privilegien durch die EU. Deshalb hat es Sigmar Gabriel nun so eilig. DIE LINKE fordert schon lange, die ausufernden Industrierabatte auf den Prüfstand zu stellen und alle ungerechtfertigten Rabatte zu streichen. Denn sie treiben den Strompreis für Verbraucherinnen und Verbraucher und für kleine und mittlere Unternehmen in die Höhe. Außerdem sind die Industrierabatte in ihrer jetzigen Form eine Einladung zur Energieverschwendung für privilegierten Unternehmen und behindern den technologischen Fortschritt. Wir wollen die Gewährung von Energierabatten deshalb auch daran knüpfen, ob ein Energieeinsparplan vorliegt.

Nicht nur die EU, auch Verbraucherinnen und Verbraucher hierzulande haben die vielen Ausnahmen für Industriebetriebe bei der Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien kritisiert. Werden die Kosten der Förderung der erneuerbaren Energien jetzt gerechter verteilt?

Nein. Denn die Bundesregierung würde am liebsten gar nichts bei den Industrie-Rabatten ändern. Bislang hat sie zumindest keine konkreten Vorschläge zur Reduzierung der Ausnahmen gemacht. In den kommenden Wochen wird sie mit Blick auf das Verfahren der EU-Kommission ein paar Zugeständnisse machen, das wird aber eher kosmetischer Natur sein. Letztlich wird alles beim Alten bleiben: Die Kosten der Energiewende werden einseitig bei Privathaushalten und kleineren Unternehmen abgeladen.

Wir wollen die Industrie-Rabatte deutlich zurückfahren. Wenn sich auch die Industrie an den Kosten der Ökostromförderung beteiligt, könnte die EEG-Umlage um einen Cent pro Kilowattstunde sinken. Das macht immerhin 30-40 Euro Ersparnis pro Jahr für einen Durchschnittshaushalt.

Was bedeutet ein möglicher Einschnitt bei den Industrierabatten für Deutschland als Industriestandort?

Die Schreckensszenarien von der Deindustrialisierung Deutschlands beim Streichen der Rabatte sind blanker Popanz der Industrielobby. Momentan ist es doch so, dass viele Industrieunternehmen durch das EEG netto Kasse, also zusätzliche Gewinne machen. Große Unternehmen zahlen nur den Mindestsatz von 0,05 Cent pro Kilowattstunde bei der EEG-Umlage, profitieren aber davon, dass der Strompreis an der Börse durch den zusätzlichen Ökostrom um mehr als einen Cent gesunken ist.

Bislang ist das EEG also für die privilegierten Unternehmen alles, nur kein Grund zum Jammern. Auch die Industrie muss sich deshalb endlich angemessen an den Kosten der Ökostromförderung beteiligen. Wir wollen dabei natürlich keine Arbeitsplätze leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir fordern jedoch, solche Privilegien abzubauen, die mit Standortsicherung nicht das Geringste zu tun haben. Unberechtigte Industrierabatte müssen weg.

Im Übrigen: Wenn wir hier von Arbeitsplätzen reden, dann bitte auch von denjenigen im Bereich der Erneuerbaren Energien. Hier haben wir mit an die 400.000 Arbeitsplätzen eine neue, zukunftsfähige Branche, mit mehr Arbeitsplätzen als bei den konventionellen Energien, die Gabriel jetzt aufs Spiel setzt. Seine Vorschläge sind auch wirtschaftspolitisch völlig rückwärtsgewandt.

Mit der Idee der Strompreisbremse ging im Wahlkampf ja bereits der damalige Kanzlerkandidat Steinbrück hausieren, und auch DIE LINKE fordert, den Kostenanstieg beim Strom zu stoppen. Werden die Verbraucherinnen und Verbraucher von Gabriels Plänen profitieren?

Ich sehe in den Plänen der Bundesregierung nichts, was den Namen Strompreisbremse verdient. Gabriels wesentlicher Vorschlag in Sachen Strompreise ist ja die Kappung der Ökostromförderung und die Drosselung des Ausbautempos. Nur wird das weder die Strompreise noch die EEG-Umlage senken. Denn der Anstieg der EEG-Umlage ging in den letzten beiden Jahren nur zu einem geringen Anteil auf den Zubau neuer Ökostromanlagen zurück. Haupttreiber waren die sinkenden Börsenpreise für Strom und die Industrierabatte. Die von Gabriel vorgeschlagene Deckelung des Ausbaus erneuerbarer Energien wird die Strompreise nicht senken, sondern allein die Energiewende abwürgen.

Wir schlagen stattdessen vor, unberechtigte Industrie-Rabatte zu streichen, die Stromsteuer für Privathaushalte zu senken sowie eine öffentliche Strompreisaufsicht einzuführen. Dadurch würden die Strompreise binnen Jahresfrist um etwa vier Cent pro Kilowattstunden sinken.

Gabriel will ja nicht nur die Kosten deckeln, sondern auch den Ausbau, den Zuwachs bei Erneuerbaren Energien. Können damit noch die Klimaschutzziele erreicht werden, die nötig sind, um die Klimaerwärmung zu stoppen?

Nein. Die Energiewende im Wärmesektor kommt kaum voran, ebenso wenig im Verkehrsbereich und bei der Energieeffizienz. Der Umstieg im Stromsektor lahmt: Die Kohleverstromung stieg 2013 im zweiten Jahr nacheinander an und erreichte eine neue Rekordmarke. Wenn jetzt auch noch der Ausbau der erneuerbaren Energien gedeckelt wird, wäre das Klimaschutzziel der Bundesregierung für 2020 quasi nicht mehr erreichbar.

Auch deshalb wollen wir den Ausbau erneuerbarer Energie konsequent fortsetzen. Bis zum Jahr 2020 kann die Hälfte des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.

Gabriel setzt auf Kohleverstromung, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu schaffen. Im letzten Jahr hat die Kohleverstromung in Deutschland einen Rekordwert erreicht. Kann man das Energiewende nennen?

Nein, natürlich nicht. Neue Rekorde bei der Kohleverstromung, aber den Ausbau von Ökostrom drosseln – das ist eher Energiewende absurd. Es zeigt aber auch, dass nicht allein das EEG über Wohl und Wehe der Energiewende entscheidet. Wir müssen auch für ein geordnetes Auslaufen der konventionellen Kraftwerke sorgen. Der Kohlestrom erreicht ja nicht deshalb neue Spitzenwerte, weil die Stromnachfrage in Deutschland ansteigt. Nein, die Kohlestromzuwächse fließen ins Ausland. Deutschland hat 2013 mehr Strom exportiert als je zuvor. Da fasst man sich doch an den Kopf. Wir fordern deshalb ein Kohleausstiegsgesetz, dass den Neubau von Kohlekraftwerken verbietet und feste Restlaufzeiten für die bestehenden Kraftwerke festschreibt.

Welche Rolle spielen die Bundesländer in der Energiewende-Debatte? In Bayern und Baden-Württemberg gibt es Widerstände gegen den Ausbau von Stromtrassen. Ist der Netzausbau sinnvoll, vielleicht sogar notwendig?

Klar, wir wollen einen grundlegenden Umbau der Stromversorgung weg von Atom- und Kohlekraftwerken hin zu erneuerbaren Energien. Da bleibt es nicht aus, dass sich auch die Netzinfrastruktur ändern muss. Hier und da werden die Stromnetze modernisiert werden, an anderer Stelle werden auch neue Netze gebraucht. Die Netzausbauplanung der Bundesregierung jedoch, der im Übrigen auch Seehofers CSU zugestimmt hat, ist völlig überdimensioniert. Dies ist auch kein Wunder, sieht die Planungsgrundlage für die Zukunft nicht nur einen weiteren Ausbau erneuerbarer Energien vor, sondern auch ein Weiterlaufen der Kohleverstromung im Hochbetrieb. Wer die Netze auch deshalb ausbauen will, damit auch noch in zehn Jahren Kohlestrom auf dem heutigen Rekordniveau durch die Republik fließen kann, braucht sich über Proteste von Bürgerinnen und Bürgern nicht zu wundern.

Zwischen dem Kohlestromland Polen im Osten und dem Atomstromland Frankreich im Westen  – wie kann Deutschland die Energiewende auch in Europa voranbringen?

Derzeit werden in Brüssel die Ausbauziele für erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 verhandelt. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass nicht nur ein ambitioniertes EU-Ziel beschlossen wird, sondern dass dieses auf nationale Ausbauziele in den EU-Mitgliedsstaaten heruntergebrochen wird. Das war für das 2020er Ziel der Fall, jetzt aber soll auf nationale Vorgaben verzichtet werden.

Das schlagende Argument zum Ausbau erneuerbarer Energien in allen EU-Mitgliedsstaaten aber ist: Wind- und Solarstrom aus neuen Anlagen ist heute nicht mehr teurer als die Stromerzeugung neuer Kohle- oder Atomkraftwerke. Die hiesige Erfolgsgeschichte des Ökostromausbaus hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Kosten erneuerbarer Energien so rasant gesunken sind. Über kurz oder lang wird also jede kostenorientierte Energiepolitik auf Wind- und Solarstrom setzen. Mit einer möglichst starken Fraktion im Europaparlament wollen wir dafür sorgen, dass dies EU-weit kurzfristig statt langfristig passiert.

 

linksfraktion.de, 18. Februar 2014