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Für einen deutsch-französischen Motor von links

Im Wortlaut von Andrej Hunko,

Von Andrej Hunko, Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

 

 

Am 22. Januar werden der Bundestag und das französische Parlament, die Assemblée Nationale, in einer gemeinsamen Sitzung den 50. Jahrestag der Elysée-Verträge feiern. Auch wenn die Unterzeichnung von Adenauer und de Gaulle im Jahre 1963 nur im Kontext des kalten Krieges zu verstehen ist, ist diese begonnene Kooperation auch aus linker Sicht grundsätzlich begrüßenswert: Drei Kriege kennzeichneten die deutsch-französischen Beziehungen in den vorangegangenen 100 Jahren, die durch eine dauerhafte enge Kooperation beider Staaten in Zukunft vermieden werden sollten.

Die Elysée-Verträge sehen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen, im militärischen Bereich sowie der Bildung vor. Die Begriffe „Abstimmung“, „Konsultation“, „Kooperation“ und „Koordination“ prägen den Vertragstext: Ziel war die Aussöhnung und (Wieder-)Annäherung beider Länder. Die Tatsache, dass die deutsch-französischen Beziehungen in den vergangenen 50 Jahren frei von kriegerischen Auseinandersetzungen blieben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Problematisch ist, dass diese Kooperation mit zur heutigen deutsch-französischen Dominanz à la Merkozy in der EU geführt hat, und weiter auf einen Vorrang ökonomischer und militärischer Interessen der EU in den internationalen Beziehungen hinausläuft.

Auch aus zivilgesellschaftlicher und linker Sicht waren die Entwicklungen im jeweilig anderen Land prägend: Die französische Revolution und ihre Werte, die in der Folge entstandenen Ideen des utopischen Sozialismus und nicht zuletzt die Pariser Kommune mit ihrer Praxis der direkten Demokratie prägten nachhaltig die Ideen der sozialistischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland. In jüngerer Zeit war es die gute innerlinke Zusammenarbeit und der Erfolg der französischen Linken beim Nein zum neoliberalen EU-Verfassungsvertrag im Mai 2005, die in Deutschland das Projekt einer gemeinsamen pluralen LINKEN beflügelte; umgekehrt waren es die Gründung der LINKEN und ihre ersten Erfolge, die in Frankreich zum Startschuss des „Front de gauche“ führte. Auch die globalisierungskritische Organisation attac fand ihren Ausgangspunkt in Frankreich, verbreitete sich dann aber in Deutschland am stärksten.

Angesichts der Eurokrise und dem Druck der internationalen Finanzmärkte auf die in Frankreich noch höher entwickelte Sozialstaatlichkeit wird die linke deutsch-französische Kooperation in den kommenden Monaten und Jahren noch wichtiger. Der sozialdemokratische Präsident Hollande steht unter Druck, ein ähnlich weitreichendes Deregulierungs- und Sozialabbauprogramm aufzulegen, wie es Gerhard Schröder vor zehn Jahren mit der Agenda 2010 umgesetzt hat. Ein entsprechendes Papier hat der EADS-Manager Gallois – in Analogie zu Peter Hartz – bereits vorgelegt. Eine wichtige Aufgabe der deutschen Linken wird es dabei sein, die fatalen Auswirkungen der Agenda 2010 sowohl auf die Menschen in Deutschland, als auch auf die Eurokrise deutlich zu machen. Während eigentlich klar ist, dass die deutsche Niedriglohnpolitik für die verschärften Handelsungleichgewichte und die Eurokrise mitverantwortlich ist, werden die deutschen „Reformen“ in der französischen Medienlandschaft oftmals als Vorbild dargestellt. Ich habe auf der anderen Seite auf Veranstaltungen oft die Erfahrung gemacht, dass die Menschen in Frankreich fassungslos sind, wenn ich vom zielstrebig aufgebauten Niedriglohnsektor in Deutschland, der Leiharbeit oder dem Sanktionsregime bei Hartz IV berichte.

Es ist wahrscheinlich, dass Frankreich im Jahr 2013 in den Fokus des autoritären und austeritären Krisenregimes der EU gerät. Aber eine solche Entwicklung würde auf den heftigen Widerstand einer kampffähigen Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften und der französischen Linken stoßen. Darauf gilt es sich auch hier vorzubereiten. Die ausgeprägte europapolitische Erfahrung der französischen Bewegungen, etwa aus den Auseinandersetzungen rund um den Verfassungsvertrag, kann in den notwendigen Auseinandersetzungen um ein anderes Europa impulsgebend sein. „Das Schmettern des gallischen Hahns“ (Marx) könnte den Weckruf für einen europäischen Neustart auf sozialer, friedlicher, demokratischer und ökologischer Grundlage bilden.

 

linksfraktion.de, 16. Januar 2013