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Fit-for-55-Paket: Sozialfonds muss mehr als ein Feigenblatt sein

Im Wortlaut von Andrej Hunko,

Von Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Die Europäische Union will sich "fit für 55" machen. Die EU-Kommission schlägt endlich konkrete Regelungen vor, um die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Dieses und andere Klimaziele wurden Ende 2019 im "Europäischen Grünen Deal" definiert. Allein das Wie blieb bislang offen. 

Es ist zunächst einmal zu begrüßen, dass heute endlich 12 Gesetzesvorhaben zur Umsetzung vorgelegt wurden. Denn um die Klimakrise abzuwenden, hätten wir  besser gestern als heute handeln müssen.
Zwei Knackpunkte sind dabei entscheidend und in den Vorschlägen der Kommission fragwürdig: Sind die Maßnahmen weitreichend genug, um die proklamierten Ziele zu erreichen? Und sind sie sozial ausgewogen, um eine gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen? In beiden Fällen bleiben große Fragezeichen.

»Neoliberale DNA« der EU

Organisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) melden zum ersten Punkt viele Zweifel an. Das Ziel einer Reduzierung um 55 Prozent sei schon zu niedrig angesetzt. 65 Prozent seien nötig, um die Klimaerhitzung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Hinzu kommt, dass schon das 55-Prozent-Ziel teilweise schöngerechnet wurde, indem anders als zuvor die Landnutzung – zum Beispiel bei Aufforstung oder Verzicht auf Straßen – als CO2-Senken „gegenrechnet“ werden.

Zum zweiten Punkt der sozialen Gerechtigkeit und den gesellschaftlichen Folgen der Maßnahmen wird die "neoliberale DNA" der EU wieder zum Problem, die die EU-Verträge, Richtlinien und Verordnungen grundsätzlich an markwirtschaftlichen Kriterien ausrichtet. Sollte dies auch im Fall der Klimapolitik fortgesetzt werden, ist eine extrem unsoziale Politik zu erwarten. Ein Scheitern bei der Umsetzung der selbstgesteckten Ziele wäre programmiert. 

Dieser Konflikt spiegelt sich in den aktuellen Vorschlägen wider. Einerseits gibt es Vorhaben, über "Marktanreize" die Unternehmen und  – zum Beispiel bei der energetischen Sanierung von Wohnhäusern – auch Privatpersonen dazu bringen, im Sinne der Klimaziele zu handeln. Andererseits sind ordnungspolitische Maßnahmen vorgesehen, wenn es um ein mögliches Verbot von Verbrennungsmotoren geht. Aus Sicht der LINKEN müsste viel mehr ordnungspolitisch gehandelt und staatlich interveniert werden. Denn der Glaube daran, dass der Markt es regelt, hat sich immer wieder als falsch erwiesen. Die vorgesehenen kostenlosen Emissionszertifikate für die Schwerindustrie, Ausnahmen und lange Übergangsfristen hebeln selbst die angestrebten Marktmechanismen noch für lange Zeit aus.

Wer hat wirklich etwas vom Sozialfonds?

Positiv wirkt zunächst, dass die Fit-for-55-Vorschläge auch einen Sozialfonds beinhalten. In diesen soll ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten fließen. Das Geld soll dann weniger wohlhabende EU-Staaten und einkommensschwache Haushalte unterstützen. Damit könnten steigende Energiepreise ausgeglichen werden.

Die Idee ist gut, doch leider noch umkämpft. Es bleibt fraglich, wie umfangreich der Sozialfonds wird und wer schließlich von ihm profitieren kann. Kommt das Geld nicht wirklich und in signifikanter Menge bei den Einkommensschwächsten an, dann könnte der Sozialfonds sich als ein Feigenblatt herausstellen. Die bisherigen Erfahrungen mit EU-Vorhaben in der Sozialpolitik lassen genau das zu befürchten. Immer wieder wurden vollmundig Projekte wie die "Soziale Säule“ der EU angekündigt, um dann weitgehend effektlos zu verpuffen.
 
Dies darf sich nicht wiederholen. Die Schritte zur Überwindung der Klimakrise müssen jetzt eingeleitet werden. Nachhaltig kann dies nur gelingen, wenn die ökologische Transformation sozial gestaltet wird und die Wohlhabendsten sowie Großunternehmen in die Pflicht genommen werden. Die soziale Ungleichheit zwischen den und innerhalb der EU-Staaten ist gigantisch und nimmt weiter zu. Ein "Weiter so" könnte nicht nur die Erreichung der Klimaziele, sondern auch den Bestand der EU infrage stellen. 

Andersrum würde ein Schuh daraus: Wir brauchen – auch auf EU-Ebene – eine wirkliche sozial-ökologische Transformation, um die Klimakrise zu bewältigen und die EU als soziales Projekt zu gestalten, dass eine neue breite Unterstützung der Bevölkerung erreicht.