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Falsches Spiel bei der Debatte um Stabilitätspakt

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

 

Von Sahra Wagenknecht, Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Leider ist immer äußerste Vorsicht geboten, wenn Sozialdemokraten mit politischen Vorschlägen in die Offensive gehen. Bei Sigmar Gabriels jüngstem Vorstoß zum Europäischen Stabilitätspakt ist es nicht anders. Der Vizekanzler möchte offensichtlich als Gegenleistung für  weitere "Reformen" den europäischen Ländern ein höheres Schuldenmachen erlauben. Damit steht der deutsche SPD-Chef in einer Reihe mit den Regierungen in Paris und Rom, die ebenfalls von Parteien geführt werden, die zum sozialdemokratischen Lager zählen. Auch sie haben sich dafür ausgesprochen ebenso wie die sogenannten Sozialisten im EU-Parlament.

Das bringt Akteure der Union auf den Plan. Der Generalsekretär der CSU sieht seine Chance, der Öffentlichkeit glauben zu machen, dass hier ein Drama ablaufe, in dem Gabriel die Rolle des Brutus spiele, der die ehrliche schwäbische Hausfrau Merkel und gute Gouvernante Europas mit dem Schuldendolch dahinmeuchelt.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben durch Agenda 2010 zugenommen

Auf dieses Schmierentheater sollte jedoch niemand hereinfallen. Zwar spielen Konservative und Sozialdemokraten nach außen mit verteilten Rollen nach dem Schema Good Cop, Bad Cop. Sie haben aber das gleiche Ziel: Die deutsche Agenda 2010 soll für alle Staaten der EU zum verbindlichen Programm gemacht werden. Zitat Gabriel: "Wir Deutschen stehen heute besser da als viele andere Staaten, weil wir uns mit Gerhard Schröders Agenda 2010 ein hartes Reformprogramm auferlegt haben." Wenn die Sozialdemokraten durch die patriotische Brille blicken, wird es meistens wunderlich, so auch diesmal. Denn wer sind "wir Deutsche"? Sicher, den Genossen der Bosse geht es heute besser. Zum Beispiel Wolfgang Clement, der als zuständiger Wirtschafts- und Arbeitsminister maßgeblich die Agenda 2010 umsetzte. Danach regnete es für ihn Posten in der Wirtschaft. Zum Beispiel im Aufsichtsrat einer großen deutschen Leiharbeitsfirma, die durch seine Gesetzesänderungen als Minister profitierte. Und den Superreichen und Aktionären geht es auch besser. Aber das ist eine verschwindende Minderheit von "uns Deutschen". Dagegen leiden viele Arbeitnehmer darunter, dass prekäre und befristete Beschäftigungsverhältnisse stark zugenommen haben und die Reallöhne im Durchschnitt heute niedriger als vor der Agenda 2010 sind. Auch an Sozialdemokraten dürfte dies nicht vorüber gegangen sein.

Doch Merkel und ihr Vizekanzler Gabriel wollen gemeinsam die deutsche Agenda 2010 in ganz Europa durchsetzen. Für die europäische Sozialdemokratie wäre es allerdings fatal, sich daran zu beteiligen, den Menschen das Gift von Lohn- und Sozialkürzungen durch eine Erlaubnis zu mehr öffentlicher Verschuldung schmackhaft machen zu wollen. Denn das ist schlicht unverantwortlich.

Die Agenda 2010 ist Gift für Deutschland und die Eurozone

Das deutsche Lohn- und Sozialdumping der Agenda-Politik hat nach 2003 die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone massiv verstärkt und damit die Eurokrise entscheidend mitverursacht. Eine gleichzeitige Ausweitung des Niedriglohnsektors, der weitere Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialleistungen in noch mehr Ländern würde nun dazu führen, dass aus der bereits bestehenden Deflationsgefahr in der Eurozone ein sehr realer Deflationsprozess wird – mit all seinen katastrophalen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Sigmar Gabriel ignoriert zudem den elementaren volkswirtschaftlichen Grundsatz, dass das deutsche Modell rein exportgetriebenen Wachstums nicht verallgemeinerbar ist. Was für Schröder galt, gilt für den Schröder-Klon Gabriel nicht minder: Die Agenda 2010 war und ist Gift, für Deutschland ebenso wie für die Eurozone. Stattdessen brauchen wir steigende Löhne, die Eindämmung prekärer Arbeit und mehr Arbeitnehmerrechte statt Raubtierkapitalismus. Und zwar in Deutschland und in Europa.

linksfraktion.de, 25. Juni 2014