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Es ist unerlässlich, die Systemfrage zu stellen

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Sieben Antworten der Linken zur Klima- und Energiepolitik

Gastbeitrag von Oskar Lafontaine

I. Klima- und Energiepolitik sind zwingend Sozial- und Friedenspolitik zugleich

Wir halten den gegenwärtigen Umgang mit den Energiereserven dieser Erde nicht für akzeptabel. Man kann ja noch verstehen, dass die Staaten versuchen, die vorhandenen Potenziale dieser Welt zunächst für ihren eigenen Wohlstand zu nutzen. Aber wenn dann diejenigen, die dort leben, wo sich die Energiereserven befinden, andere Vorstellungen von deren Nutzung haben, sehen sie sich den Drohungen und der militärischen Gewalt derer ausgesetzt, die diese Ressourcen für ihren eigenen Lebensstandard beanspruchen. Diese Außenpolitik der kalkulierten Gewalt lehnen wir ab.

Sie ist derzeit ganz konkret im Irak und in Afghanistan zu besichtigen. Die Linke ist die einzige Partei im Bundestag, die sich darauf festlegt: "Es ist nicht zulässig, sich der Energievorräte dieser Erde mit militärischen Mitteln zu bemächtigen."

Dieser Verzicht auf Gewalt unterscheidet uns in besonderer Weise auch von den Grünen: Deutschland ist - auch mit Zustimmung der Grünen - mittelbar am Irak-Krieg beteiligt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt. Deutschland stellt Flughäfen, Überflugrechte und ähnliches zur Verfügung. Deutschland ist am Afghanistan-Krieg beteiligt, mit Unterstützung der Grünen - der Hamburger Parteitag der SPD hat diese Politik gleichfalls erneut durchgewunken.

Der Afghanistan-Krieg wird letztendlich auch als Energie-Krieg geführt, weil es hier um strategische Transitrechte für Öl und Gas geht, woran die Amerikaner nie einen Zweifel ließen. Es ist einfach naiv zu glauben, man wolle dort in erster Linie "Nationenbildung", Demokratie und Rechtsstaatlichkeit voranbringen.

Gerade sind mehrere Studien angesehener Forschungsinstitute in London und Washington zu den Folgen von Energieverknappung und Klimawandel erschienen. Beschrieben wird unter anderem das Risiko bewaffneter Konflikte in 46 Staaten mit 2,7 Milliarden Einwohnern. In weiteren 56 Ländern mit 1,2 Milliarden Menschen erwarten die Forscher politische Instabilitäten schon ab 2040. Somit wären 3,9 Milliarden Menschen von klimabedingten Gewaltausbrüchen bedroht. Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington prophezeit gleichfalls brutale Verteilungskämpfe um schwindende Energiereserven.

Der aufkeimende Streit zwischen Dänemark und Russland um die mutmaßlichen Öl- und Gasvorkommen am Nordpol lässt ahnen, was auf uns zukommt. In den heraufziehenden Verteilungskämpfen sieht das CSIS den freien Welthandel untergehen, wovon der Exportweltmeister Deutschland mit 45 Prozent Exportanteil am Bruttoinlandsprodukt massiv betroffen wäre.

Deshalb ist die Linke für eine Politik der gerechten Lastenverteilung und fühlt sich durch den Friedensnobelpreis für Al Gore und dessen Kampf gegen den Klimawandel bestärkt - Klimapolitik muss eine Politik des Ausgleichs und des Friedens sein.

II. Die Linke verbindet globale Energiepolitik mit der globalen sozialen Frage

Wir diskutieren einen globalen Emissionshandel, der den ärmeren Ländern und ihrer Fähigkeit, Klima schonend zu wirtschaften, zugute kommt. Wie kann das aussehen? Die UNO könnte hier zunächst einmal die Instanz sein, die diesen globalen Emissionshandel in Szene setzt, indem sie festlegt, wie viel CO2-Emissionen global zulässig sind. Aus dieser Menge ergäbe sich dann ein zulässiger Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid, der für alle Erdenbürger gleich ist, weil alle das gleiche Recht haben, die unteilbaren Umweltgüter in Anspruch zu nehmen.

Wenn man diesen Ansatz billigt, ergibt sich für die Entwicklungs- und Schwellenländern ein deutlich geringerer Ausstoß von CO2 als für die Industriestaaten. Dieses Missverhältnis würde dadurch entschärft, dass diejenigen, die mehr emittieren als ihnen pro Kopf zusteht, entsprechende Beträge bei einer UN-Instanz oder der Weltbank einzahlen und damit quasi bei den Entwicklungsländern Ausstoßrechte kaufen. Diese Erträge sollten jedoch nicht einfach auf die Konten der jeweiligen Machthaber fließen, sondern den betroffenen Ländern nur für den Import moderner Umwelttechnologien und zum Schutz der Menschen vor den Folgen des Klimawandels zur Verfügung stehen.

III. Das Herumfummeln an den Laufzeiten der Atomkraftwerke ist nicht verantwortbar

Die Forderung der Energie-Oligopolisten und besonders von der Union, man solle die Laufzeiten gerade der Kraftwerke verlängern, die den größten Risikofaktor darstellen, da die Anlagen veraltet seien, ist der Bevölkerung nicht zuzumuten. Wir bleiben dabei: Die Nutzung der Atomkraft ist nicht geeignet, die Energieversorgung der Zukunft zu sichern. Ungelöst sind die Abfallprobleme - nicht beherrschbar ist die gefährliche Gratwanderung zur militärischen Nutzung. Die Linke will daher eine Energieversorgung ohne Atomkraft.

Der Verweis auf die Notwendigkeit längerer Laufzeiten von Kernkraftwerken, wenn man keine Kohlekraftwerke baut, ist nicht richtig. Geht man von den Gesamtkapazitäten der Bundesrepublik für die Energieerzeugung aus, zeigt sich: Auch Verbrauchsspitzen lassen sich problemlos bedienen. Wir haben noch Luft, Atomkraftwerke stillzulegen, ohne weitere Großanlagen bauen zu müssen. Und wenn man schon neue Kraftwerke plant, dann kleine Anlagen, dann Blockheizkraftwerke mit Kraftwärmekopplungen - keine Großprojekte. Hier ist die Linke die einzige politische Kraft, die sich konsequent gegen die Oligopole in diesem Land stellt. Die anderen Parteien, einschließlich der Grünen, haben es in den vergangenen Jahren versäumt, gegen die Monopolisierung der Energiemärkte vorzugehen und durchgreifende Vorschläge zu machen, wie man dem hätte begegnen können.

Dies hat etwas mit Lobbyismus im Bundestag zu tun. Werden irgendwelche Energiegesetze vorgelegt, treten die Energiefachleute der Fraktionen an, die oft über enge Verbindungen zu den vier großen Energiekonzernen verfügen, so dass Gesetze verabschiedet werden, die deren Interessen entsprechen. Nur sind das eben nicht die Interessen der Verbraucher, auch nicht die Interessen der Wirtschaft, geschweige denn der Umwelt.

IV. Eine Rekommunalisierung der Energieversorgung ist ein Markenzeichen der Linken

Wir sind gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, weil dies zu höheren Preisen, sozialen Unzumutbarkeiten und privaten monopolartigen Strukturen führt. Als - zum Beispiel - der Hamburger Senat noch seine Anteile bei der HEW besaß, konnte er natürlich von deren Einnahmen profitieren. Die wiederum ließen sich für den öffentlichen Nahverkehr verwenden, wie das früher in allen großen und mittleren Städten der Bundesrepublik üblich war - bis hin zur Finanzierung eines Sozialtickets. Womit es nach dem Verkauf der HEW-Anteile prompt vorbei war.

Die von der Linken geforderte Rekommunalisierung hat viele Vorteile. Ich will das am Beispiel der Stadt Saarbrücken darstellen. Ich war dort Oberbürgermeister und weiß daher, wovon die Rede sein muss. Diese Stadt war nie abhängig von E.on, RWE oder Vattenfall, sie hatte eine eigene Energie-Erzeugung und konnte die auch steuern. Da gab es den Anteil an einem Kohlekraftwerk - kein Wunder in einem Land, in dem Kohle gefördert wurde -, da gab es auf der anderen Seite eben ein Heizkraftwerk, das mehrere Brennstoffe einsetzen konnte. Es stand mitten in der Stadt und stellte sehr früh eine ganz moderne Form der Energieversorgung dar. Es gab eine Gasturbine, um für den Spitzenverbrauch gerüstet zu sein. Das Entscheidende aber war: Saarbrücken konnte selbst seine Energiepreise festlegen. Niemand brauchte Umsatzrenditen von 20 bis 30 Prozent, wie sie heute von den Energiemonopolisten angestrebt werden und als brutale Abzocke nur möglich sind, weil weder die EU-Kommission noch die Bundesregierung rechtzeitig eine stringente Wettbewerbsordnung geschaffen haben.

Die Rekommunalisierung der Energieversorgung ist ein Markenzeichen der Linken. Nur in kommunaler Verantwortung kommen auch kleine Anlagen zu ihrem Recht - kleine Blockheizwerke, die Strom- und Wärmeerzeugung koppeln, bis hin zum Gebrauch von Solaranlagen und Erdwärme.

Es glaube doch niemand, dass EnBW, RWE, E.on oder Vattenfall, ernsthaft bereit wären, eine dezentrale, kleinräumige Energieversorgung zu unterstützen. Sie sind aufgrund ihrer Interessen umweltschädlich und nicht umweltfreundlich, so sind sie strukturiert, und so sind sie aufgebaut.

V. Exakte Preisregulierung muss die schamlose Abzocke bei den Verbrauchern beenden

Ein weiterer Punkt, in dem wir uns von allen anderen Parteien unterscheiden, ist die Preiskontrolle, die es in der Bundesrepublik Deutschland über viele Jahrzehnte gab. Als ich Ministerpräsident des Saarlandes war, musste jede Strompreiserhöhung selbstverständlich angemeldet und genehmigt werden - heute ist das von allen anderen Parteien abgeschafft worden. Die Linke fordert daher wie die Monopolkommission eine exakte Preisregulierung, um das schamlose Abkassieren bei den Verbrauchern zu beenden und einen funktionierenden Wettbewerb zu sichern.

VI. Die überregionalen Netze in öffentliche Verantwortung überführen

Dass die großen vier Energiekonzerne neben den Großkraftwerken auch noch die Netze in der Hand haben, das ist - wenn man so will - eine Einladung zur Preistreiberei. Deshalb müssen die Netze in öffentliche Verantwortung überführt werden, damit der Staat tatsächlich so etwas wie Wettbewerb organisieren kann und nicht die Kartellabsprachen der Großen weiterhin die Netze beherrschen. Deshalb ist die Linke gegen eine Regelung, die sich die Bundesregierung von den marktbeherrschenden Großen Vier hat einreden lassen. Diese Anreizregulierung heißt, statt die Netze in öffentliche Verantwortung zu geben, soll eine Art gebremster Kostensenkungswettbewerb veranstaltet werden, der natürlich wieder die Großen bevorteilt, weil sie mehr und größere Möglichkeiten der Kostensenkung haben. Die kleinen Erzeuger - wenn es die überhaupt noch gibt -, also die Stadtwerke, geraten in Schwierigkeiten und die KonzentrationÊwird forciert.

Das dauernde Wortgeklingel der großen Koalition zu Energiefreundlichkeit, Umwelt- und Klimaschutz entlarvt sich als Augenwischerei, wenn es um konkrete Lösungen geht. Daher unsere Position: Kein Anreizsystem zur Förderung der Interessen der Großkonzerne, sondern Überführung der Netze in öffentliche Verantwortung, damit ein funktionierender Wettbewerb organisiert werden kann.

VII. Ist dieses Wirtschaftssystem geeignet, unsere Zivilisation zu bewahren?

Wir sind die politische Kraft, die die Systemfrage stellt. Die Frage: Ist der herrschende Finanzkapitalismus, der auf die kurzfristige Rendite zielt und auf größeren Umsatz sowie größeren Gewinn orientiert - ist ein solches Wirtschaftssystem geeignet, die Umwelt zu schützen und unsere Erde zu bewahren? Die Formulierung der Grünen von der grünen Marktwirtschaft ist ein Placebo. Wer ernsthaft will, dass dem Anspruch, die Zivilisation zu erhalten, auch eine irgendwie tragfähige Antwort gegenübersteht, der muss diese Wirtschaftsordnung hinterfragen, die nicht auf Nachhaltigkeit hin orientiert ist. Die Antwort der Linken ist nun nicht: Alle Elemente unserer marktwirtschaftlichen Ordnung lehnen wir ab, aber sobald es um vorausschauende Weichenstellungen unserer Gesellschaft geht - Strom und Gas und Wasser sind nun einmal elementare Güter nicht nur der Wirtschaft, sondern der Zivilisation insgesamt -, da brauchen wir die öffentliche Verantwortung. Da brauchen wir staatliche Regulierung. Der bisherige Irrweg der Deregulierung bis zur Gesetzlosigkeit und der Privatisierung - sprich: der Auslieferung an das kurzfristige Gewinnmaximierungsdogma des Finanzkapitals - hat die Umwelt immer stärker belastet, die soziale Frage verschärft und notwendige Veränderungen verzögert.

Die Linke möchte den besseren Weg gehen, dafür werben wir.

Von Oskar Lafontaine

Wochenzeitung Freitag, 30. November 2007