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»Es gibt viele Özils, Khediras oder Cacaus hierzulande«

Im Wortlaut von Katrin Kunert,

Von Katrin Kunert, sportpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Bei den Vorrundenspielen in Südafrika gab es so manche Überraschung und Zitterpartie. Im Spiel gegen Ghana machten es die Deutschen spannend, und an die Nerven ging es überdies. Ein Name ist in aller Munde. Ein junger Mann traf zum 1:0 gegen Ghana. Mesut Özil - 21 Jahre, in Gelsenkirchen geboren, Sohn türkischer Einwanderer - schießt Deutschland ins Achtelfinale.

Deutschland jubelt und es scheint völlig selbstverständlich, dass ein Mann türkischer Abstammung zum deutschen Team gehört, genauso wie Khedira oder Cacau. Und es wird in den nächsten Wochen sehr viele Jungen geben, die ihrem Mesut nacheifern wollen.

Was im Sport gelingt, muss in der Gesellschaft zur Normalität werden. Sport fördert die Integration. Die Funktion des Sports bei der Integration ist unbestritten, aber der Sport kann nur im Rahmen der Gesellschaft dieser Funktion gerecht werden. Bisherige Anstrengungen in der Integrationsarbeit beschränkten sich meist auf Projekte, die zeitlich begrenzt sind.

Es gibt zwar einen Nationalen Integrationsplan, bei dem der Sport eine hervorgehobene Rolle spielt, aber es fehlen so wichtige Fakten wie Einbürgerungsrechte, Einbürgerungsentwicklungen und das Wahlrecht. Ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger aus Staaten, die nicht der EU angehören - also aus der Türkei - lehnt die Mehrheit im Bundestag ab. Das Recht, zur Wahl zu gehen, bedeutet Teilhabe von Menschen mit einem Migrationshintergrund. Im so genannten Nationalen Integrationsbericht fehlt die Rücknahme der Einschränkungen beim Ehegattennachzug. Und auf die Integration von Flüchtlingen wird gänzlich verzichtet.

Die Koalitionsfraktionen tragen gern die Losung vor sich her, Sport werde für die internationale Verständigung genutzt. Das strenge deutsche Visumsrecht allerdings versagt Sportlerinnen und Sportlern, die keine Spitzensportler sind, die Einreise. Sie könnten die Gelegenheit für die Flucht nutzen, wird ihnen unterstellt. So hat man im Rahmen der Fußball- WM 2006 in Deutschland Mannschaften aus Ghana und Nigeria zur Teilnahme am Straßenfußball in Kreuzberg nicht einreisen lassen.

Es gibt eine Reihe von Projekten „ Integration durch Sport“. Ich kenne eine Familie aus Bitterfeld, deren Kinder in Deutschland geboren wurden. Alle drei sind in Sportvereinen und nehmen an diesen Projekten teil. Trotzdem sollte die Familie ausgewiesen werden. Nur durch diplomatische Umwege konnte die Familie mit gültigen Papieren nach Deutschland wieder einreisen. Diskriminierungsfreie Integration sieht wahrlich anders aus.

Aber nehmen wir die positiven Momente einer Fußball-Weltmeisterschaft mit. Was im Sport, speziell im Fußball möglich ist, sollte in die Gesellschaft getragen werden. Es gibt viele Menschen, die nach Deutschland kommen, um eine bessere Zukunft zu haben. Wir sollten sie teilhaben lassen an unserem Leben. Es gibt viele Özils, Khediras oder Cacaus hierzulande, nur können nicht alle Fußballprofis werden.

Für das Achtelfinalspiel gegen England bin ich optimistisch, denn so überragend waren die Engländer bisher nicht. Auch wenn ich von einer Fraktionskollegin weiß, dass sie Englandfan ist, bleibe ich der deutschen Mannschaft treu. Sie ist jung und motiviert. Und um noch einmal auf Özil zu kommen: Er braucht umso mehr Unterstützung. Seine Oma ist verstorben. Kopf hoch Mesut!

linksfraktion.de, 27. Juni 2010