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Eine andere Migrationspolitik ist möglich – sozial gerecht, solidarisch, auf Basis der Menschenrechte

Im Wortlaut von Michel Brandt,

Von Michel Brandt


Als Delegation für DIE LINKE waren Janine Wissler, Sofia Leonidakis, Clara Bünger, Gökay Akbulut, Cornelia Ernst und ich vergangene Woche auf Lesbos, um uns über die aktuelle Situation schutzsuchender Menschen in den Lagern der EU zu informieren. "Ich lebe in der Hölle“, so fasst ein geflüchteter Mensch im Gespräch das Leben in Kara Tepe zusammen. "In unserem Land stirbt man nur einmal, hier stirbt man jeden Tag."

»Die EU erzeugt hier bewusst menschenfeindliche Zustände«

Die Phase der oberflächlichen Solidaritätsbekundungen, der Betroffenheitsrhetorik und Selfies für Moria bei den Regierungsparteien ist wieder vorbei. Doch die katastrophale Situation in den Lagern der EU besteht fort. Kein Mensch darf gezwungen sein, unter diesen Bedingungen zu leben, nicht einen Tag. Die Forderung nach der Abschaffung der Lager ist deshalb für DIE LINKE kein Trendthema. "No more Morias“ war das Versprechen der EU-Kommission nach dem Brand im September 2020 und vielfach vorgetragener Konsens. Doch das neue Lager KaraTepe am Standort Mavrovouni bezeugt das Scheitern einer europäischen Migrations- und Asylpolitik auf Basis grundlegender Menschenrechte. Dort müssen rund 6.150 Personen ausharren, ein Drittel davon Kinder, 70 Prozent auf besonderen Schutz angewiesen. Die Menschen sind den Wetterbedingungen fast schutzlos ausgesetzt, von Hitze und praller Sonne bis hin zu Schlamm, Regen und Sturm. Ebenso prekär die medizinische und psychologische Versorgung. Pandemie, kein Strom, kein fließendes und kaum Trinkwasser, Tausende Menschen auf engsten Raum eingesperrt, umzäunt, kontrolliert und überwacht – die EU erzeugt hier bewusst menschenfeindliche Zustände und setzt auf Abschreckung statt Schutz. Auf Lesbos sollen asylsuchende Menschen bald etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt Mytilini mitten im Nirgendwo in einem neuen, geschlossenen Lager isoliert und von der Außenwelt abgeschottet werden, fernab von Städten und für die Augen der Tourist*innen unsichtbar. Die EU hat kein funktionales System der humanitären Aufnahme Schutzsuchender an den Außengrenzen, sie hat bloß ein immer dichteres System der Abschottung.

Was es also braucht, ist ein Paradigmenwechsel. Eine sozial gerechte und solidarische Migrationspolitik muss zusammen gedacht werden mit konsequenter Friedenspolitik, menschenrechtsbasierter Wirtschaftspolitik, einem Ende von Rüstungsexporten und Profiten mit Krieg, einem Ende (post-)kolonialer Ausbeutung und Klimagerechtigkeit. Die Abkommen der EU zur Migrationsbekämpfung mit Drittländern wie Türkei, Libyen und Marokko gehören beendet, denn sie lösen keines der bestehenden Probleme. Stattdessen verschieben sie das Leid an für uns weniger sichtbare Orte und delegieren die Verantwortung nach außen. An die Stelle von Externalisierung und die Vorverlagerung von Grenzen müssen stabile Korridore für legale und sichere Einreisewege asylsuchender Menschen treten. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass Migration schon immer Mutter aller Gesellschaften und Motor gesellschaftlicher Entwicklung war und ist – sie ist Normalität, nicht Abweichung. Es muss Schluss sein mit ideologisch aufgeladener Dämonisierung von Migration als Sicherheitsrisiko und Gefahr. Nationalistische Politikentwürfe und das gegeneinander ausspielen marginalisierter und ausgebeuteter Menschen tragen nur zu dieser Dämonisierung bei und erschweren Perspektiven internationaler Klassensolidarität.

Eine solidarische Migrationspolitik ist möglich

Die Unterbringung schutzsuchender Menschen an Orten mit dynamischen Migrationsgeschehen muss dezentral, menschenwürdig und selbstbestimmt organisiert werden. Selbstorganisierte und autonome Projekte wie das im vergangenen Jahr zwangsgeräumten Camp Pikpa auf Lesbos zeigen, wie es funktionieren kann und wie Alternativen aussehen. Hauptziel dürfen nicht Kontrolle und Abschiebungen sein, sondern die Ermöglichung einer schnellstmöglichen Weiterreise. Das europaweite Netzwerk von mehr als 600 solidarischen, aufnahmebereiten Städten und Kommunen ist Beispiel transnational organisierter Migrationspolitik von unten. Dieses Netzwerk muss ausgebaut und ausgestaltet werden – und vor allem muss die Blockade der nationalen Regierungen aufgegeben werden, damit systematische und kontinuierliche kommunale Aufnahme möglich wird.

Als DIE LINKE sind wir überzeugt: eine menschenrechtsbasierte, solidarische und sozial gerechte Migrationspolitik ist möglich. Mit Seenotrettung statt der EU-Grenzschutzagentur Frontex, mit sicheren Korridoren statt Abschottung, mit Wohnungen statt Lagern. Bleiberecht statt Abschiebungen!