Zum Hauptinhalt springen
Eine Kundin reicht einer Kassiererin einen Zwanzig-Euro-Schein © iStock/pixinoo

Dramatischer Rückgang der Tarifbindung im Einzelhandel

Nachricht von Pascal Meiser,

Zwischen 2010 und 2019 verloren fast die Hälfte (44 Prozent) der Beschäftigten im Einzelhandel den Schutz ihres Tarifvertrags. Das ergaben Zahlen, die Pascal Meiser bei der Bundesregierung erfragt hat (PDF). 2019 waren nur noch 20 Prozent der Betriebe an einen Tarifvertrag im Einzelhandel gebunden – ein Rückgang um ein Drittel in den vergangenen 10 Jahren. Die Stundenlöhne bei Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel ohne Tarifbindung haben zwischen 2009 und 2019 lediglich 8,5 Prozent zugenommen und sind damit real sogar gesunken.

Diese Entwicklung werde den Heldinnen und Helden der Corona-Krise nicht gerecht, kritisiert Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Fraktion: "Der drastische Rückgang der Tarifbindung im Einzelhandel ist hauptverantwortlich dafür, dass viele der so genannten Heldinnen und Helden der Corona-Krise der Supermärkte bis heute extrem schlecht bezahlt werden. Wer es mit dem viel bekundeten Respekt für Verkäuferinnen und Verkäufer ernst meint, der muss jetzt schnell für höhere Löhne im Einzelhandel sorgen. Die Bundesregierung muss zudem die gesetzlichen Grundlagen schaffen, damit Tarifverträge künftig auch gegen die Blockadehaltung der Arbeitgeberseite für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Es ist ein Armutszeugnis, dass allen Lippenbekundungen von Arbeitsminister Hubertus Heil zum Trotz bisher keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden, um die Situation der Beschäftigten im Einzelhandel zu verbessern. In der Krise Beifall für die systemrelevanten Verkäuferinnen und Verkäufer im Einzelhandel klatschen aber dann sehenden Auges zuschauen, wie in genau dieser Branche Tarifflucht und Lohndumping grassieren - das geht gar nicht."

Zur Auswertung der Ergebnisse im Einzelnen:

Der Gewerkschaftspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Pascal Meiser, wollte von der Bundesregierung wissen, wie sich im Einzelhandel im Vergleich zur Gesamtwirtschaft die Tarifbindung bei Beschäftigten und Betrieben in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat. Zudem wollte er wissen, wie sich jeweils die Stundenlöhne in Betrieben mit und ohne Tarifbindung im Vergleichszeitraum entwickelt haben.

Tarifbindung:

Laut der durch die Bundesregierung ausgewiesenen Daten für die Jahre 2009 und 2019 wird deutlich, dass die Tarifbindungim Einzelhandel im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überproportional abgenommen hat: 2019 waren nur noch 20 Prozent der Betriebe an einen Tarifvertrag im Einzelhandel gebunden - ein Rückgang um 33 Prozent gegenüber 2010. Zum Vergleich: In der Gesamtwirtschaft waren 2019 immerhin noch 27 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Der Rückgang gegenüber 2010 lag hier bei lediglich 18 Prozent.

Noch dramatischer fällt der Rückgang der tarifgebundenen Beschäftigten aus: Zwischen 2010 und 2019 verloren fast die Hälfte (44 Prozent) der Beschäftigten im Einzelhandel den Schutz ihres Tarifvertrags, der Anteil fiel auf einen neuen Tiefpunkt von jetzt 28 Prozent (2010: 50 Prozent). Auch in der Gesamtwirtschaft ist der Anteil der Tarifbeschäftigten im Vergleichszeitraum rückläufig gewesen: 2019 fielen noch 52 Prozent der Beschäftigten unter die Tarifbindung. In der Gesamtwirtschaft ist jedoch „nur“ ein Rückgang von 13 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 zu verzeichnen (2010: 60 Prozent).

Überproportionale Entwicklung der Stundenlöhne mit Tarifbindung:

Betrachtet man die Entwicklung der Stundenlöhne sowohl für Vollzeit- als auch Teilzeitbeschäftigte im Einzelhandel wird deutlich, dass sich die Stundenlöhne von tarifgebundenen Beschäftigten deutlich besser entwickelt haben, als von Beschäftigten außerhalb der Tarifbindung: So haben die Stundelöhne zwischen den Jahren 2009 und 2019 für Vollzeitbeschäftigte um 36 Prozent zugenommen (Teilzeit: +30 Prozent). Eine ähnliche, aber doch niedrigere Entwicklung zeigt sich bei den Stundenlöhnen in der Gesamtwirtschaft: Hier haben im Vergleichszeitraum die Stundenlöhne für tarifgebundeneVollzeit- bzw. Teilzeitbeschäftigte um 25 Prozent bzw. 22 Prozent zugenommen.

Dramatische Entwicklung der Stundenlöhne ohne Tarifbindung:

Deutlich niedriger fiel die Zunahme der Stundenlöhneinnicht-tarifgebundenen Betrieben im Einzelhandel, als auch in der Gesamtwirtschaft in den Jahren 2009 – 2019 aus: Im Einzelhandel betrug das Plus bei Vollzeitbeschäftigten 18,6 Prozent (Vollzeit Gesamtwirtschaft: knapp 18 Prozent). Bei Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel, welche dort die Mehrheit stellen, betrug der Zuwachs lediglich 8,5 Prozent, in der Gesamtwirtschaft dagegen 19,5 Prozent. Die Stundenlöhne von nicht-tarifgebundenen Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel dürften somit in den vergangenen zehn Jahren real sogar gesunken sein.

Fazit:

Die Tarifbindung im Einzelhandel lag bereits vor zehn Jahren unterhalb der Werte für die Gesamtwirtschaft. In den vergangenen zehn Jahren hat sich dieser Trend noch verstärkt und die Tarifierung im Einzelhandel hat sich von der Gesamtwirtschaft weiter abgekoppelt. Bemerkbar macht sich diese Entwicklung auch bei den Löhnen: Diese liegen zwischen der Gesamtwirtschaft und dem Einzelhandel deutlich auseinander. Dies betrifft sowohl die Stundenlöhne in den Tarif- als auch nicht tarifgebundenen Betrieben, wobei vor allem Beschäftigte in Teilzeit von niedrigen Stundelöhnen betroffen sind. Diese sind in den vergangenen zehn Jahren faktisch real nicht mehr gestiegen.


Hier können Sie die Antwort der Bundesregierung als PDF herunterladen.