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DIE LINKE im Bundestag: einfallsreich, energisch, solidarisch

Interview der Woche von Cornelia Möhring, Sahra Wagenknecht,

 

Cornelia Möhring und Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, haben ein Strategiepapier vorgelegt, das Richtschnur sein soll für die Debatte über die politischen Schwerpunkte der Fraktion in den kommenden zwölf Monaten. Im Interview der Woche erläutern sie ihre Ziele.

 

In dieser Woche treffen Sie sich mit Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen zur Klausur. Es geht um mehr als die tägliche Arbeit. Das Strategiepapier, das Sie beide gemeinsam entwickelt haben, soll Richtschnur sein für die politische Arbeit im Bundestagswahljahr. Welche Erwartungen knüpfen Sie an die Debatten über Ihr Papier auf der Fraktionsklausur?

Cornelia Möhring: Papier ist geduldig. Die Debatte darum hoffentlich umso lebendiger und motivierender - nicht nur für die Fraktion. Wir erleben einerseits in unserer täglichen Arbeit oft politische Frustration, denn bei Leiharbeit, Altersarmut, Eurokrise, leeren Kassen in den Kommunen oder bei steigenden Rüstungsexporten bewegt sich politisch nichts zum Guten. Andererseits gibt es ein wachsendes Interesse an mehr Mitentscheidung vor Ort, zum Beispiel wenn es um Verkehrsplanung, Energie- oder die Gesundheitsversorgung geht. Manche setzen sich für freie digitale Netze, für Stadteilkultur und soziale Sicherheit ein, andere sitzen in Frankfurt vor den Banken und fahren zu Protesten bei Nato-Gipfeln. Als Abgeordnete der Bundestagsfraktion der LINKEN sollten wir gemeinsam erkunden, wie wir diese wichtigen, aber unterschiedlichen politischen Auseinandersetzungen und Kämpfe in wenige, aber entscheidende politische Vorschläge einbinden. Und wir werden konkrete Umsetzungsmöglichkeiten diskutieren.

Sie lassen in Ihrem Papier vieles offen. Es gibt Kritiker, die Ihnen das vorwerfen. Ist denn inhaltlich in der Arbeit der Fraktion noch so viel offen?

Sahra Wagenknecht: Fraktion und Partei sind thematisch breit aufgestellt. Dies zeigt ein Blick auf die Fraktionsseite, außerdem haben wir gerade unser Parteiprogramm verabschiedet. Im Papier ging es uns jedoch darum, gerade im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl thematische Schwerpunkte herauszustellen, die für unsere Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Besonders wichtig sind für uns der Kampf für soziale Gerechtigkeit, also für höhere Renten, für gute Arbeit, was die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 10 Euro einschließt, gegen Hartz IV und für eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Wir wollen die Eurokrise lösen, aber nicht auf Kosten der Bevölkerung, sondern indem diejenigen zahlen, die bisher den großen Reibach gemacht haben, also Banken und Millionäre. Und natürlich bleibt DIE LINKE die einzige Friedenspartei Deutschlands, die Bundeswehreinsätze im Ausland konsequent ablehnt. Uns ging es in dem Papier darum, Schwerpunkte zu benennen, die das unverwechselbare Profil der LINKEN ausmachen.

Die politischen Schwerpunkte, die Sie vorschlagen, sind weit gefasst und führen doch die Kernthemen des letzten Bundestagswahlkampfs fort. Hat sich in der Zwischenzeit nichts verändert?

Cornelia Möhring: Die Bundesregierung handelt in der Eurokrise gelinde gesagt abenteuerlich. Merkel, Altmaier und Rösler fahren bei der Energiewende Achterbahn. Diese Politik trifft zugleich immer ins Herz ungelöster sozialer Fragen, die bestimmt nicht in einer Wahlperiode gelöst werden. Arbeitshetze, kaum Lebenszeit für Einmischung, Muße und Erholung oder anhaltende Erwerbslosigkeit, soziale Ängste – mal als unmenschlicher Erwartungsdruck, mal als Perspektivlosigkeit – haben zum Teil neue Gesichter. Wir wollen die politischen Schwerpunkte dort setzen, wo wir über notwendige Abwehrkämpfe gegen Sozial- und Demokratieabbau hinaus gehen: bei der Umverteilung der Lebenschancen, bei einem guten Leben für alle – hier und auch als Politik globaler und sozialer Gerechtigkeit. Wohnen, Gesundheit, Kultur und Bildung, Mobilität gehören nicht unter die Räder von Schuldenbremse, Effektivitätsanalysen und Steuerungerechtigkeit, von Privatisierung und demokratischem Substanzverlust. Die Bundesrepublik als Teil der europäischen Gemeinschaft muss bei der Lösung sozialer und ökologischer Fragen vorangehen. Mit unseren politischen Schwerpunktsetzungen werden wir zeigen: Mehr demokratische Freiräume und mehr soziale Sicherheit sind lebenswerter und zukunftssicherer als eine Angstgesellschaft. Unsichere Lebenssituationen, prekäre Jobs - das betrifft erstaunlich viele, und das können wir nicht länger hinnehmen.

Die sich immer mehr zuspitzende Finanzkrise prägt diese Legislaturperiode stark. Welche Konsequenzen haben sich daraus für die Arbeit und Schwerpunktsetzung der Fraktion ergeben?

Sahra Wagenknecht: Die Eurokrise wird eines der bestimmenden Themen bleiben. Stichworte sind die weitere Entwicklung in Griechenland oder die auf dem letzten Eurogipfel der Regierungschefs beschlossene Bankenunion. Durch die Bankenunion droht der ESM-Rettungsschirm zu einer Frischgeldtankstelle für Zockerinstitute zu werden. Während die Bundesregierung für Banken Milliardenbeträge der Steuerzahler verpulvert, ist ihr jeder Euro für den Sozialbereich zu viel. Diese Ungerechtigkeit werden wir ins Zentrum stellen. Wie wichtig das ist, wurde jüngst durch offizielle Horrorzahlen aus dem Arbeitsministerium belegt: Durch die Rentenkürzungen der letzten Regierungen werden 2030 ein Drittel der Arbeitnehmer nach 35 Jahren Vollzeittätigkeit lediglich eine Rente auf Hartz-IV-Niveau erhalten. Das ist nicht hinnehmbar.

Einen hohen Stellenwert hat in Ihrem Papier der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Cornelia Möhring: Auch die Debatte um die politischen Schwerpunkte zeigt, dass wir Politik entwickeln, die Antworten für einen differenzierten gesellschaftlichen Strukturwandel sucht. Die Antworten können nur im Dialog entstehen. Es ist unklar, wie tief die Eurokrise sich auch hierzulande in den Alltag frisst und ob andere Herausforderungen, wie Bildung, Klimawandel oder die Bekämpfung des Rechtsextremismus dann von der Bundesregierung links liegen gelassen werden. Jede und jeder stößt automatisch auf offene Fragen, auch wenn Wählerinnen und Wähler zu Recht Vorschläge von uns erwarten. Doch das hat auch seinen Vorteil. Linke Politikerinnen und Politiker, die alles besser wissen, obwohl sich im Alltag vieler Menschen die Baustellen häufen - vom Strompreis bis zur Mieterhöhung, vom Jobverlust bis zum fehlenden Kitaplatz - sind am Ende keine Gesprächspartnerinnen. Wir wollen Politik mit und für Erwerbslose und Facharbeiterinnen, mit und für Lehrerinnen und Studenten, mit und für Selbstständige und verantwortungsvolle Unternehmen entwickeln. Natürlicherweise prallen im Dialog Weltsichten aufeinander, nur geschieht dies lösungsorientiert, wenn wir Erwerbslose zur Arge zu begleiten, unseren Plan B im Stadtteilzentrum zur Debatte stellen oder Filmproduzenten oder Umweltaktivisten unterstützen. Und - wir müssen unsere Instrumente als Parlamentarierinnen beherrschen: Anfragen, Anträge, Anhörungen. Da geht überall mehr, keine Frage…

Sie schreiben, dass die Fraktion mit vielen verschiedenen Initiativen und Bewegungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zusammenarbeitet, mit denen Sie ihre politischen Schwerpunkte debattieren wollen. An welchen Stellen machen Sie das jetzt schon?

Cornelia Möhring: Natürlich stehen Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen mit Sozialverbänden und Gewerkschaften im Dialog. Sonst wäre der Mindestlohn bis heute nicht in der öffentlichen Debatte, würde die Bekämpfung von Altersarmut nicht nachdrücklich zum politischen Thema. Und selbstverständlich sind Energieexperten mit Umweltverbänden und den kommunalen Energieversorgern und  Netzpolitiker mit Netzaktivisten im Kontakt. Und von Zeit zu Zeit gelingt es aus diesen Spektren auch Expertinnen und Experten für die Regierungsenquêtes – wie zum Internet, zum Wachstum oder vormals zur Kultur - zu gewinnen, damit qualifizierte Wachstumskritik, Netzneutralität und Kultur für alle nicht auf der Strecke bleiben. Im Übrigen ist es auch gut und vernünftig, wenn Sozialverbände und Initiativen Druck machen und auch uns unter Druck setzen. Dabei geschieht viel Informationsaustausch, gibt es Synergien, es entstehen Sachdebatten für gesetzliche Vorhaben. Wir können da an Erfolge anknüpfen und wir haben da auch noch eine Menge vor uns.

Transparenz hat für Ihre Arbeit und Kommunikation einen hohen Stellenwert. Wie wollen Sie sich dadurch von anderen Fraktionen abheben?

Sahra Wagenknecht: Ganz einfach. Wir haben keine miesen Deals zu verbergen. Wir kungeln nicht mit Wirtschaftsmächtigen und erhalten von ihnen auch kein Geld. Das unterscheidet uns bereits von den anderen - auch die Grünen haben Spenden aus der Wirtschaft erhalten. Darüber hinaus fordern wir Transparenz von den Reichen und Mächtigen ein, indem wir sie mit kritischen Fragen belästigen, zum Beispiel zum Rechtsextremismus, zur Beschäftigung von Wirtschaftslobbyisten in Bundesministerien oder zum Einsatz von Leiharbeitern in Kernkraftwerken – um nur einige Beispiele zu nennen.

Welche Auswirkungen werden die Beschlüsse der Fraktionsklausur für Ihre tägliche Arbeit in der Fraktion haben? Werden wir in den kommenden zwölf Monaten eine neue LINKE im Bundestag erleben?

Sahra Wagenknecht: Wir werden nicht alles neu, aber hoffentlich einiges besser machen. Dazu zählt, dass wir inhaltliche Schwerpunkte setzen und versuchen werden, für unsere Forderungen gemeinsam mit Bündnispartnern aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen maximalen politischen Druck zu entfalten. Zu diesen Schwerpunkten zählen der Kampf gegen Niedriglöhne, Leiharbeit und für eine armutsfeste Rente, der Einsatz für die Umverteilung des Reichtums und eine Krisenabgabe für Millionäre, die Stärkung von Genossenschaften und öffentlichen Dienstleistungen sowie der Widerstand gegen Waffenexporte und Kriegsvorbereitungen. Ich denke, dass wir in den nächsten Monaten eine einfallsreiche, energische und solidarische Linke im Bundestag erleben werden.