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DIE LINKE findet mit ihren Forderungen Gehör

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Steueroasen und Finanzexzesse, die Regierungszeit der SPD, die den Reichtum der Reichen mehrte, Banken, die bei Steuerflucht helfen, und die Notwendigkeit einer Bundesfinanzpolizei


Seit den jüngsten Enthüllungen über Steueroasen ist die Aufregung überall auf der Welt groß. Dabei ist die Existenz von Steueroasen doch eigentlich seit Jahren bekannt. Politiker machen jetzt Versprechungen, etwas dagegen zu unternehmen, während viele Bürgerinnen und Bürger denken, das wird eh nix. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Gregor Gysi: Weltweit ist die Sensibilität bei Steuerhinterziehungen gewachsen, die die Regierungen, angefangen von den USA bis zur Schweiz und Luxemburg, veranlassen, wenigstens gegen diese Straftaten von Vermögensbesitzern vorzugehen. Denn immer weniger lassen sich Kürzungsdiktate gegenüber den Bevölkerungen zur Rettung von Banken rechtfertigen, wenn diejenigen, die die Bankenkrise verursachten, nicht nur ungeschoren davon kommen, sondern darüber hinaus teils legal, teils illegal Steuern sparen.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat erklärt, die Nonchalance gegenüber reichen Steuerbetrügern und Steueroasen müsse endlich beendet werden. Hat Steinbrück in seiner Zeit als Bundesfinanzminister etwas gegen Steueroasen unternommen?

Nein, eher das Gegenteil. Er und seine Partei haben entscheidend zur Mehrung des Reichtums der Reichen seit der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder durch die Senkung des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer von 49 auf 42 Prozent, durch die steuerliche Freistellung von Veräußerungsgewinnen, durch die sogenannte Abgeltungssteuer von nur 25 Prozent auf Kapitalerträge und die Senkung der Körperschaftsteuer beigetragen.

Steueroasen – das klingt immer so exotisch, dabei gibt es sie sogar in Europa. Wie ist das eigentlich möglich?

Das war und ist möglich in einem Europa eines unbeschränkten und freien Kapitalverkehrs, der nach dem EU-Vertrag von Lissabon keinen Beschränkungen und Kontrollen mehr unterliegt. Hinzu kommt, dass Europa nach dem Willen dieser Bundesregierung über mehr Wettbewerb organisiert wird, was dazu führt, dass Länder wie Zypern, Malta, Irland und Großbritannien durch möglichst niedrige Steuersätze für Vermögende erfolgreich Kapital anlocken, dass sich dort dann auch gern niederlässt.

Wer nutzt Steueroasen? Sind das nur reiche Privatleute oder auch große Unternehmen?

Steueroasen werden von vermögenden Privatleuten ebenso genutzt wie von großen Konzernen und Banken, die Filialen in den Ländern und Regionen unterhalten, in denen möglichst geringe Steuerbelastungen für sie anfallen. Aber genau das war ja politisch gewollt. Es hat aber inzwischen Ausmaße angenommen, die nunmehr selbst konservative Regierungen zum Handeln veranlassen, weil diese Finanzexzesse die Akzeptanz des Systems bei den Bürgerinnen und Bürgern untergraben.

Auf die neuen Enthüllungen hat Bundesfinanzminister Schäuble routiniert reagiert. Deutschland wolle ja Steueroasen bekämpfen, nur leider könnten schärfere Maßnahmen nicht von einem Land allein durchgesetzt werden. Zieht dieses Argument?

Das Argument zieht insofern nicht, weil der Bundesfinanzminister Änderungen im bundesdeutschen Steuerrecht vornehmen und vom Deutschen Bundestag beschließen lassen könnte, die den Reichen und Vermögenden die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Steuerzahlung ebenso auferlegt wie jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer.

Was kann auf nationaler Ebene denn schon heute getan werden?

Man kann ein Gesetz beschließen, in dem alle deutschen Staatsbürger, egal wo sie leben und wo sie sich aufhalten, gegenüber ihren Finanzämtern ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse vollständig offenlegen müssen. Auf dieser Basis können dann die Steuern unter Abzug der im Ausland bezahlten Steuern erhoben werden.

DIE LINKE hat bereits einen Antrag auf Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei im Bundestag gestellt, nun ist auch die Rede davon, einen Untersuchungsausschuss in Sachen Steuerflucht einrichten zu wollen. Was will DIE LINKE damit erreichen?

Unser Antrag zur Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei wurde vor einigen Monaten noch belächelt oder einfach ignoriert. Nun wird er von anderen Parteien und Organisationen positiv aufgegriffen. Das zeigt, dass DIE LINKE mit ihren Forderungen Gehör auch bei den anderen findet. Mit einem Finanz-FBI hätten die Finanzbehörden eine ganz andere Durchschlagskraft gegenüber Steuerhinterziehern aller Art, diese Straftaten konsequenter zu verfolgen.

Mit einem Bundestagsuntersuchungsausschuss, den Bernd Riexinger anregte und für deren Einsetzung allerdings 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages votieren müssten, sollen Verstrickungen deutscher Geldinstitute bei ihren Beihilfen zu Steuerhinterziehungen geklärt werden. Jahrelang wurden Aufsichts- und Gesetzeslücken ausgenutzt. DIE LINKE hat in diesem Zusammenhang gefordert, allen Kreditinstituten, die Beihilfe zur Steuerflucht leisten, die Bankenlizenz zu entziehen.

Sprechen wir kurz über Steuerschlupflöcher in Deutschland. Beim Verkauf der bundeseigenen TLG-Wohnungen konnte der Käufer, der Hamburger Immobilienkonzern TAG, die fällige Grunderwerbsteuer in Höhe von 23 Millionen Euro mit Einverständnis des Bundesfinanzministers durch einen sogenannten Share-Deal umgehen. Bei einer Pressekonferenz zum Thema sagten Sie sinngemäß, wer Steuerschlupflöcher aufmache, müsse sich nicht wundern, dass sie ausgenutzt werden. Es ist also keine Frage der Moral, sondern des politischen Willens?

So ist es. Nach geltender Gesetzeslage werden Unternehmen von der Grunderwerbsteuer befreit, wenn weniger als 95 Prozent der Anteile eines Unternehmens an ein anderes übertragen werden. Die TLG Wohnen wurde zu 94,9 Prozent an die Hamburger TAG Administrationen und zu 5,1 Prozent an die TAG Beteiligungs-GmbH verkauft, eine völlig legale Einladung zur Steuerhinterziehung. Das Gleiche geschah bei noch teureren TLG Immobilien.

Unten kürzen, oben entlasten. Steuerflucht im großen Stil, zeitgleich finden Sparorgien in ganz Europa statt. Wie gefährlich ist das für die Demokratie in Europa?

Das ist sehr gefährlich. Über die Hälfte junger Menschen in Spanien und in Griechenland sind arbeitslos und finden keine Ausbildungsplätze. Welche Perspektiven bietet ihnen die EU? Gar keine. Höchstens noch die, ihre Länder zu verlassen, um in einem anderen Land der EU nach Ausbildung und Arbeit zu suchen. Aber das kann ja nicht der Sinn und Zweck der EU sein.

In Portugal hat das Verfassungsgericht kürzlich einige von der Troika diktierte Sparbeschlüsse kassiert. Die deutsche Antwort folgte prompt. Schäuble forderte, die Regierung müsse weiter sparen – trotz Massenprotesten der Bevölkerung. Es scheint egal, was in Europa passiert, die Antwort ist die immergleiche. Wie autoritär ist das deutsche Modell für Europa?

Die vor allem von der Bundesregierung mit Unterstützung von SPD und Grünen, die allen bisherigen Kürzungspaketen im Bundestag zustimmten, favorisierte Politik, Gelder für die Rettung von Banken nur gegen harte Sparauflagen zu vergeben, kannte man in der Vergangenheit nur aus dem Umgang der reichen Industriestaaten mit Ländern in der so genannten Dritten Welt.

Die Kürzungsdiktate gegenüber Griechenland, Portugal, Irland und nun auch gegenüber Zypern sind zutiefst undemokratisch, denn sie lassen den Regierungen und Parlamenten in den betroffenen Ländern überhaupt keine Wahl. Dort spüren die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar die Diktatur der Finanzmärkte, die von einer Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds exekutiert wird. Wir sollten Europa aufbauen und nicht die Steuerzahler die Schulden der Banken begleichen lassen.

linksfraktion.de, 16. April 2014