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Die Geister, die sie riefen

Kolumne von Dorothée Menzner,

Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Die Ironie der Geschichte kann manchmal grausam sein. Ende März gibt US-Präsident Obama gegen sein Wahlkampfversprechen das OK für Ölbohrungen vor der Ostküste der Vereinigten Staaten. Drei Wochen später explodiert die Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und reißt elf Arbeiter in den Tod.

Was dann folgte, war eine ebenso unendliche wie unglaubliche Geschichte von Intransparenz und Inkompetenz. Sprach BP in den ersten Stunden nach dem Unfall von tausend, später von fünf- bis zehntausend Barrel Öl, die ins Meer strömten, so gehen die Schätzungen gegenwärtig - zwei Monate nach der Explosion - von sechzigtausend Barrel aus. Täglich! Zahlreiche Versuche, das Loch am Grunde des Meeres zu stopfen, scheiterten kläglich.

Die Rede von der größten Umweltkatastrophe der USA verschleiert jedoch die unterschiedliche Betroffenheit der Menschen. Wie so oft leiden vor allem die Armen und Wehrlosen unter den Folgen der Ausbeutung der Natur. Es sind die Fischer, die ihrer Existenz beraubt wurden, von tausenden ölverschmierten Meeresvögeln und verseuchten Küstenfeuchtgebieten ganz zu schweigen. Zudem häufen sich Berichte über erkrankte Rettungsarbeiterinnen und -arbeiter - Hautausschlag und Atmungsprobleme, während sich BP weigert, Atemschutzmasken auszugeben. Derweil diskutiert BP noch zwei Monate nach dem Unfall um die Höhe der Dividendenzahlungen für seine Aktionäre: Shareholder value über alles!

Eine zweite Lehre lässt sich aus der Öl-Katastrophe ziehen. Von Hochrisikotechnologien, deren mögliche Folgen unbekannt oder unbeherrschbar sind, sollte man die Finger lassen. Die Alarmglocken müssen spätestens dann schrillen, wenn auch der Chef von ExxonMobil, dem weltweit größten Ölkonzern, vor dem US-Kongress zu Protokoll gibt: „Wenn diese Dinge passieren, sind wir nicht dafür ausgerüstet.“ Und dies gilt nicht nur für das ferne Amerika. Erst letzte Woche berichtete ein Beamter des Bundesumweltministeriums vor dem Umweltausschuss von einem Unfall vor der britischen Küste vor zehn Jahren. Seitdem tritt dort Gas aus, genauere Informationen dazu habe das Ministerium aber nicht. Nach zehn Jahren!

Das alles erinnert fatal an die hiesige Debatte um die Atomkraft. Eine sichere Endlagerung hochradioaktiven Mülls steht nach wie vor in den Sternen. Trotzdem will die schwarz-gelbe Koalition die Laufzeiten der Atommeiler verlängern und damit mehr strahlenden Müll produzieren. Das Abenteuer Atomkraft gleicht damit einer Flugreise, die man beginnt, ohne zu wissen, wo eine Landebahn ist oder ob es überhaupt eine Landebahn gibt.

Was geben uns die Explosion der Deepwater Horizon und die dramatischen Folgen für die hiesige Politik mit auf den Weg? Erstens: Hochrisikoexperimente wie Atomkraft und die unterirdische CO2-Verpressung müssen beendet werden. Sonst droht uns das gleich Schicksal wie Goethes Faust in seinem Kampf gegen die Geister, die er rief und die nun nicht mehr weichen wollen. Zweitens: Es muss auf erneuerbare Energie umgestiegen werden und zwar schnell. Dies sichert nicht nur eine saubere, wenig riskante Energieversorgung, sondern führt zu regionaler Wertschöpfung statt dass jährlich Milliarden Euro für Kohle-, Öl- und Gas-Importe außer Landes fließen.

„Weg vom Öl“ bedeutet aber auch, dass andere Formen von Mobilität jenseits der Automobilität aktiv vorangetrieben werden müssen. Warum gibt es kostenfreien öffentlichen Nahverkehr in einigen französischen Innenstädten, aber so gut wie gar nicht in Deutschland? Auch hier läge das Win-win auf der Hand: nicht nur weniger Autoverkehr und damit weniger Ölverbrauch, Klimagasausstoß und saubere Luft, Sondern auch die Voraussetzung für ein Grundrecht auf Mobilität für alle - auch für jene mit geringem Einkommen.