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Die digitale Ungleichheit eindämmen

Im Wortlaut von Jan Korte,

Serie Ungleichheit in Deutschland, Teil 13

 

Von Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Regelmäßig rühmt sich die Bundesregierung, was sie nicht alles zum Schutz der IT-Sicherheit und der Privatsphäre unternehmen würde. Jeder, der etwas genauer hinsieht, stellt jedoch fest, dass es damit nicht weit her ist und dazu auch noch extrem ungleich zugeht. Wenn große Unternehmen und Sicherheitsbehörden immer größere Datenberge anhäufen, Arbeitgeber immer neue Wege finden, ihre Mitarbeiter*innen zu überwachen und selbst Haushaltsgeräte oder Autos Daten an ihre Hersteller senden, besteht dringender Handlungsbedarf. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist kaum mehr das Papier wert, auf das es das Bundesverfassungsgericht 1983 in seinem Volkszählungsurteil schrieb.

Es wäre Aufgabe der Bundesregierung, die Daten von Bürgerinnen und Bürger vor denjenigen zu schützen, die am längeren Hebel sitzen. Das Beispiel Datenschutz am Arbeitsplatz ist leider noch immer das beste Beispiel dafür, wie der Staat beim Schutz privater Daten versagt: Arbeitnehmer*innen haben kaum die Möglichkeit, sich gegen Überwachung zu wehren und riskieren ihren Job, wenn sie sich beschweren. Ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, das seinen Namen auch verdient, ist seit Jahren fällig. Ein anderes Beispiel ist die Digitalwirtschaft. Viele Geschäftsmodelle basieren weitestgehend auf der Vermarktung privater Daten. Zum Grundprinzip dieser Art von Wertschöpfung scheint geradezu die Suspendierung jeglicher Form informationeller Selbstbestimmung zu gehören. Quasi systembedingt sollen alle Google-Suchenden, Facebook-Freund*innen oder Online-Shoppende mit dem ersten Mausklick ihre informationelle Selbstbestimmung abgeben.

Bundesregierung will Datenschutz eindämmen

Aber anstatt den Datenhunger der Unternehmen einzudämmen und den Datenschutz endlich auf die Höhe des 21. Jahrhunderts zu bringen, ein Beschäftigtendatenschutzgesetz zu verabschieden, Verschlüsselungstechnologien zu fördern und die Bürgerinnen und Bürger effektiv vor Ausspähung und den Datenverwertungsinteressen der Unternehmen zu schützen, schlägt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Seite derer, die zentrale Datenschutz-Prinzipien wie Zweckbindung und Datensparsamkeit mit Hilfe des EU-Datenschutzrechts aushebeln wollen. Auf dem 9. IT-Gipfel forderte sie genau wie ihr Kollege, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ein „neues Verständnis“ von Datenschutz. Um den Vizekanzler zu zitieren: Der Datenschutz darf „nicht die Oberhand“ gewinnen. Ins gleiche Horn stößt Ole Schröder (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Ihn stört besonders das 1983 im Volkszählungsurteil vom Bundesverfassungsgericht implementierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Auf einer Konferenz des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) erklärte er in Berlin „Die Aussage: ‚Meine Daten gehören mir‘ ist Unsinn“. Damit Staat und Wirtschaft freie Hand haben fordert er: „Wir müssen aufhören, den Fluss von Daten zu schützen.“

Diese klare Positionierung kommt allerdings nicht wirklich überraschend: Schon auf die Snowden-Enthüllungen vor fast drei Jahren reagierte die Bundesregierung durch Nichtstun, abwiegeln, verschleiern und die Aufrüstung der Überwachungskapazitäten. Merkel und Co. haben den NSA-Skandal offenbar als Machbarkeitsstudie und nicht als Problem für unsere Demokratie verstanden.

Safe Harbor: alter Wein im neuen Schlauch

Das jüngste Beispiel hierfür ist das EuGH-Urteil vom 6.10.2015 über Safe-Harbor-Abkommen. Nicht zuletzt aufgrund der unkontrollierbaren geheimdienstlichen Massenausspähung in den USA erklärten die Richter das Abkommen für ungültig. Dies hat zur Folge, dass Transfers personenbezogener Daten in die USA auf dieser Grundlage nicht mehr möglich sind. Ernsthafte Konsequenzen für Unternehmen und Geheimdienste? Fehlanzeige! Währenddessen fließen die Daten weiter und weiter. Anfang Februar verkündeten EU-Kommission und US-Regierung letztendlich, dass sie sich auf neue Regeln für den Datentransfer von der EU in die USA geeinigt hätten. Wie dies genau aussieht ist allerdings streng geheim. Klar ist, dass die Befugnisse der Sicherheitsbehörden in den USA bleiben. Mit anderen Worten: Safe Harbor heißt jetzt Privacy Shield, sonst ändert sich nichts.

Informationelle Autonomie ist möglich

Doch damit dürfen wir uns nicht abfinden. Überwachungsinteressen von Regierungen und auch wirtschaftliche Interessen dürfen nicht über den Grundrechten der Bevölkerung stehen. Voraussetzung dafür, dass die persönliche Entfaltung des Individuums und nicht dessen vollständige Kontrolle Richtschnur der Politik wird, ist die endgültige Abkehr vom Konzept des präventiven Sicherheitsstaates. Denn meine Daten bei Facebook & Co. gebe ich privat ab oder ich lasse es sein. Statt zu Google kann ich woanders hin, es gibt datenschutzfreundliche Alternativen. Beim Überwachungsstaat funktioniert das nicht. Bei der informationellen Selbstbestimmung ist es so wie in der Gesundheitspolitik: Einerseits ist es wichtig, dass wir uns jeden Tag die Zähne putzen, andererseits hilft uns das allein auch nicht, wenn es keine gut funktionierende staatliche Krankenversicherung gibt und wir uns den Zahnarzt nicht leisten können. Die Regierung könnte uns allen einen besseren Schutz bieten, nur hat sie leider wenig Interesse daran. Verbündete beim täglichen digitalen Zähneputzen können z. B. Unternehmen sein, die sich selbst vor Betriebsspionage schützen wollen oder für die Datenschutz ein lukratives Geschäft ist. Dass sich z. B. Apple mittlerweile einer uneingeschränkten Zusammenarbeit mit den US-Sicherheitsbehörden verweigert, ist ein Hoffnungszeichen. Und es zeigt, dass Überwachung und die digitale Ungleichbehandlung mit den entsprechenden Instrumenten sehr wohl eindämmbar wären. Damit das grundsätzliche Recht auf informationelle Autonomie realisierbar ist, muss aber endlich etwas getan werden:

Neben einer deutlichen Stärkung der unabhängigen Datenschutzaufsicht und einer Aufhebung aller unbrauchbaren und unverhältnismäßigen Sicherheitsgesetze und Eingriffsbefugnisse müssen die Bürger*innen selbst in die Lage versetzt werden, ihre informationelle Selbstbestimmung zu erreichen. Dafür müssen u. a.

  • Vorratsdatenspeicherungen aller Art verboten werden.
  • die Transparenz durch Auskunftsrechte gestärkt und ausnahmslose Benachrichtigungspflichten an Betroffene eingeführt werden.
  • die Öffentlichkeit über den Umfang der heimlichen staatlichen Überwachungsmaßnahmen umfassend informiert werden.
  • Verschlüsselungstechniken gestärkt und im E-Mail-Verkehr verpflichtend werden.
  • Finanzmittel für „Sicherheitsforschung“, die der Überwachung dient, gestrichen werden.