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Sahra Wagenknecht © Benjamin ZibnerFoto: Benjamin Zibner

»Die Axt wurde an einen Grundpfeiler unseres Sozialstaats gelegt«

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht, seniorenbedarf.info,

Gastkommentar von Sahra Wagenknecht

 

Mit der Teilprivatisierung der Rente und damit verknüpften Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus wurde vor knapp 20 Jahren die Axt an einen Grundpfeiler unseres Sozialstaats gelegt. Es war ein sozialpolitisches Verbrechen mit schwerwiegenden Folgen. Wer nicht kontinuierlich und überdurchschnittlich verdient, wird inzwischen mit einer Rente abgespeist, die sich auf Sozialhilfeniveau oder nur knapp darüber bewegt – ab 2030 wird dies etwa jeden Zweiten betreffen. Die von der Bundesregierung eingeführte Grundrente ändert daran nichts. Denn auch mit einem Grundrentenzuschlag von durchschnittlich 80 bis 90 Euro werden die meisten Rentnerinnen und Rentner unterhalb der von der EU anerkannten Armutsschwelle von 1.136 Euro netto bleiben. Viele werden trotz des Zuschlags nicht einmal aus der Grundsicherung im Alter, die derzeit bei 826 Euro liegt, herauskommen.

Die Riester-Rente hat nur den Finanz- und Versicherungskonzernen genutzt. Gegen Altersarmut hilft sie nicht, da Geringverdiener kaum etwas sparen können. Außerdem rentiert sich eine Riester-Rente in der Regel nicht, was mit einem Zinsniveau nahe Null sowie mit horrenden Abschluss- und Vertriebskosten zu tun hat, die die Konzerne den Kunden in Rechnung stellen. Trotzdem halten die herrschenden Parteien am Irrweg einer kapitalgedeckten Rente fest – mehr noch: Mit einer „Riester-Revolution“ möchte die Union der Finanzlobby ein weiteres Mal zu Diensten sein. So sollen Finanzkonzerne künftig nicht mehr garantieren müssen, dass Kunden die eingezahlten Riester-Beiträge und Zulagen zu 100% zurückerhalten, außerdem soll das Geld der Kunden verstärkt in Aktienspekulationen fließen dürfen. Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, geht noch weiter und würde gern alle Deutschen zur privaten Altersvorsorge zwingen. Sein einstiger Arbeitgeber Blackrock, der schon jetzt als mächtigster Konzern der Welt 7-8 Billionen US-Dollar an Kundengeldern verwaltet, dürfte mit der Lobbyarbeit von Merz zufrieden sein.

800 EUR mehr Rente – Das Vorbild Österreich

Wer massenhafte Altersarmut verhindern will, der darf nicht noch mehr Steuergelder in Riester-Produkten versenken. Stattdessen muss die umlagefinanzierte, gesetzliche Rente endlich repariert werden! Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent steigen und spätestens mit 65 sollte man ohne Abschläge in Rente gehen können. Dass der Sinkflug der gesetzlichen Rente nicht alternativlos ist, sieht man in Österreich. Dort ist die Durchschnittsrente rund 800 Euro höher und vor Altersarmut schützt eine Mindestrente von 1030 Euro. Wie ist das möglich? Zum einen hat man in Österreich frühzeitig Selbständige, Beamte und Politiker in die Pensionsversicherung einbezogen. Zum anderen hat man nie den Irrweg einer Teilprivatisierung beschritten, sondern setzt auf ein Umlageverfahren, bei dem starke Schultern sogar etwas mehr tragen: So beträgt der Beitragssatz zur Pensionsversicherung in Österreich 22,8 Prozent, wobei die Arbeitgeber 12,55 Prozent zahlen und die Beschäftigten 10,25 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 18,6 Prozent, die paritätisch, also jeweils zur Hälfte von Arbeitgebern und Beschäftigten finanziert werden. Da die Beschäftigten zusätzlich 4% ihrer Einkünfte in die kapitalgedeckte Rente stecken sollen, wird von ihnen also erwartet, dass sie mit 13,3 Prozent ihres Einkommens zur Altersvorsorge beitragen, Arbeitgeber sollen dagegen nur 9,3 Prozent beisteuern.

Eine gute Rente, die den Lebensstandard im Alter sichert und jede/n vor Armut schützt, wäre auch in Deutschland finanzierbar. Dazu bräuchte es eine große Rentenreform, die sich am Vorbild Österreich orientiert: Mit einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung, in die auch Selbstständige, Beamte und Politiker einzahlen, wobei man die ungerechte Beitragsbemessungsgrenze abschaffen und Arbeitgebern etwas mehr abverlangen könnte. Statt Riester-Produkte bzw. Versicherungskonzerne mit jährlich 3-4 Milliarden Euro zu subventionieren, müssten die gesetzlichen Rentenansprüche von Geringverdienern und Eltern aufgestockt werden. Schließlich und vor allem muss man Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen den Kampf ansagen. Die zentrale Voraussetzung für eine gute Rente ist eine sichere Arbeit zu guten Löhnen: daher muss der Mindestlohn auf 13 Euro angehoben, muss Lohndumping über Werkverträge und Leiharbeit verboten und für eine flächendeckende Tarifbindung gesorgt werden.

seniorenbedarf.info,