Zum Hauptinhalt springen

Deutsche Unterstützung für Erdoğan beenden

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,



Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen sowie Migrations- und Integrationspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Diesen Samstag plant der amtierende türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan einen Jubelauftritt in Köln bei der Lobbyorganisation der AKP in Europa, UETD. Dabei geht es auch um die Wahlen des türkischen Staatsoberhauptes am 10. August dieses Jahres. Seit vergangenem Jahr dürfen auch die sogenannten "Auslandstürken" an Wahlen teilnehmen. Da die türkischen Medien, die größtenteils unter der Kontrolle der AKP stehen, im Ausland viel von türkischen Migranten gesehen werden, verspricht sich die AKP dort ein Reservoir an Stimmen, die für die Präsidentschaftswahl in diesem Sommer wichtig sein könnten. Die Bundesregierung leistet mit ihrer Ausgrenzungspolitik gegenüber den türkischen Migranten Wahlkampfunterstützung und treibt sie so in die Arme von Erdogan und der AKP. DIE LINKE fordert gleiche Rechte für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, damit auch Millionen türkische Migranten nicht länger Bürger zweiter Klasse sind und sich für die Wahl in einem Land tausende Kilometer entfernt von ihrem Lebensmittelpunkt interessieren müssen, weil sie nur dort ein Wahlrecht haben.

Menschen statt Profite

Um der innenpolitischen Krise zu entgehen, sucht Erdoğan nun also sein Heil im Ausland bei den "Auslandstürken". Nur weg von Protesten von Arbeitern und Gewerkschaften, die er niederknüppeln und mit Gasgranaten und Gummigeschossen auseinandertreiben lässt. Weg von den Rechtsanwälten, die den Hinterbliebenen der getöteten Kohlekumpel von Soma beistehen wollten und dafür festgenommen und misshandelt werden. Erdoğan hat keine Skrupel. Als vor etwas mehr als einer Woche 301 Bergleute ums Leben kamen, verhöhnte er die Opfer und Hinterbliebenen mit der Aussage, das Grubenunglück von Soma sei eine "gewöhnliche Sache", wie es überall und zu jeder Zeit passieren könne.

Doch der Tod so vieler Menschen hatte seine Ursache in mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen in den privatisierten Betrieben, die Profite maxmimieren wollten. Er hätte verhindert werden können. Gerade einmal 14 Tage vor dem Unglück beantragte die Oppositionspartei CHP im türkischen Parlament eine Sicherheitsüberprüfung aller Kohlegruben in der Türkei und besonders der in der westtürkischen Stadt Soma. Doch die Parlamentarier der AKP in der Nationalversammlung lehnten das mit Verweis auf die angeblich vorbildlichen Sicherheitsvorkehrungen in der Mine mit ihrer Mehrheit ab. Dabei sind die katastrophalen Arbeitsbedingungen in Soma kein Einzelfall. Seitdem die AKP die Regierung stellt, ist die Zahl der Privatisierungen explosionsartig gestiegen. Das viel beschworene türkische Wirtschaftswachstum gründet sich auf der zunehmenden Privatisierung, Flexibilisierung und der größtmöglichen Ausbeutung von Arbeitnehmern, verbunden mit dem rigorosen Abbau von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten.

In einem "Notfallaktionsplan" machte Erdoğan mit seinen Ministern im Jahr 2003 klar, dass sich der türkische Staat auf Kernbereiche wie Bildung, Gesundheit, das Justizwesen und den Sicherheitsbereich beschränken werde. Die vor über zehn Jahren erklärten Ziele verfolgt Erdoğan bis heute – zu Lasten der Arbeiterschaft. Unbeirrt von jeder Kritik setzen denn Erdoğan und sein AKP-Regime auf Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Allein in den ersten sieben Regierungsjahren von 2003 bis 2009 verkaufte die AKP-Regierung frühere Staatsunternehmen im Wert von 28 Milliarden US-Dollar – mehr als das Dreieinhalbfache der Privatisierungen in den 16 Jahren zuvor. Inzwischen kommt es in der Türkei jährlich zu rund 700.000 Arbeitsunfällen. Mit 14.000 tödlichen Arbeitsunfällen in der Regierungszeit der AKP stieg die Türkei zum Spitzenreiter in der Liste der tödlichen Arbeitsunfälle in Europa auf. Die Unfallrate ist siebenmal höher als der EU-Durchschnitt. Weltweit ist die Türkei auf Platz 3 der ILO-Liste.

Bei dieser Politik kann die AKP auf die Unterstützung der EU und allen voran der deutschen Bundesregierung setzen, da diese von der Regierung in Ankara in den Fortschrittsberichten als Voraussetzung für den Beitrittsprozess regelmäßig Deregulierungen und Privatisierungen verlangt.

Geheuchelte Kritik

Die jetzt aufkommende Kritik von Union und SPD an Erdogans Auftritt in Köln ist heuchlerisch. Noch immer halten die Parteien der Großen Koalition an der Waffen-, Militär- und Polizeihilfe für das AKP-Regime fest. Erst kürzlich haben sie die Eröffnung eines neuen EU-Beitrittskapitels befürwortet und Erdoğan in seinem Kurs somit ermutigt. DIE LINKE solidarisiert sich mit den Protesten in der Türkei. Sie solidarisiert sich genauso mit den Protesten gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Köln. Wer die Menschenrechte mit Füßen tritt, der Korruption Tür und Tor öffnet und das Leben von Hunderten Bergleuten der Profitgier ihm nahestehender Unternehmern opfert. Erdoğan gehört vor ein Tribunal in Ankara und nicht auf eine Jubeltribüne in Köln. Die Bundesregierung darf nicht länger an ihrer Kumpanei mit Erdoğan und dem AKP-Regime festhalten.

linksfraktion.de, 21. Mai 2014