Zum Hauptinhalt springen

Der Putsch der Finanzmärkte gegen die Demokratie

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Die Demokratie gilt auf den Finanzmärkten als Störfaktor. Dem Putsch der Banker gegen demokratisch gewählte Regierungen muss das Primat der Politik über die Finanzmärkte entgegengestellt werden.

Von Gregor Gysi

Seit einigen Wochen werden zwei Staaten der Eurozone von so genannten Technokraten regiert, und niemand scheint sich darüber besonders aufzuregen. In Griechenland musste  Ministerpräsident Papandreou einem Ex-Banker namens Papademos weichen, nur weil der gewählte Ministerpräsident es wagte, das griechische Volk über zusätzliche soziale Grausamkeiten abstimmen lassen zu wollen, die der EU-Gipfel im Oktober beschlossen hatte. Die so genannten Märkte reagierten entsetzt, und die Verantwortlichen der neuen unsozialen Spardiktate für Griechenland, Frau Merkel und Herr Sarkozy, übten derart massiven Druck auf Papandreou aus, dass dieser von seinem Amt zurücktrat. Nach dem konservativen Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, erleben wir gerade „das Schauspiel einer Degeneration jener Werte und Überzeugungen, die einst in der Idee Europas verkörpert schienen“. Und er fragt fast schon verzweifelt, ob man nicht sehe, „dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen“. Schirrmacher bringt es auf den Punkt. Aus der Sicht der Finanzmärkte ist die Demokratie genau so „Ramsch“ wie schlecht bewertete Anleihen.

Man kann es auch anders ausdrücken. Zum ersten Mal in der Geschichte des finanzgetriebenen Kapitalismus haben die so genannten Märkte geputscht. Nicht mit Panzern kamen sie daher, sondern in Nadelstreifen. Wenn ein demokratisch gewählter Regierungschef das Volk über die sozialen Gräueltaten abstimmen lassen will, muss er weg, weil die „Märkte“ es anders wollen. Und für den neuen Ministerpräsidenten gelten andere Kriterien für das Amt: Nicht, ob er auf demokratischem Wege gewählt wurde, sondern ob er – so die Zeitungen der so genannten Finanzindustrien – das „Vertrauen der Märkte“ genieße.

Und weil diese unblutige „Degeneration der Werte“ so reibungslos klappte, wurde dieses Schauspiel gleich wiederholt. Italien geriet nach Griechenland unter schweren Beschuss der Finanzmärkte. Sie trieben die Zinsen für italienische Staatspapiere in die Höhe und trauten der Regierung Berlusconi nicht zu, ein ebenfalls hartes, unsoziales Sparpaket durchzusetzen. Auch er wurde weggeputscht, nicht durch Wahlen, sondern durch einen weiteren Ex-Banker, der das „Vertrauen der Märkte“ genießt. Von Herrn Monti, der wie sein griechischer Kollege einst in den Diensten der Chase Manhattan Bank stand. Dass die Regierungschefs in beiden Ländern, das ist eine weitere Gemeinsamkeit, bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr hoch im Kurs standen, steht auf einem anderen Blatt und erleichterte die beiden Regierungsstürze.

Wir sind gegenwärtig Zeugen, wie „moralische Übereinkünfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanzökonomischen Vernunft zerstört werden“, warnte Frank Schirrmacher. Es ist dringend an der Zeit, zu erkennen, dass die Diktatur der Finanzmärkte demokratisch verfasste Gesellschaften als störend betrachtet. Nicht nur aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen, sondern um die demokratischen Errungenschaften zu verteidigen, brauchen wir endlich ein Primat der Politik über die Finanzmärkte, die endlich reguliert werden müssen. Dazu benötigen wir allerdings eine Politik, die das auch will und nicht, wie Union, FDP, SPD und Grüne, willfährig reagiert.

linksfraktion.de, 6. Dezember 2011

Der Artikel erscheint am 16. Dezember 2011 in der gedruckten 22. Ausgabe des Fraktionsmagazins CLARA.