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Susanne Ferschl am Rednerpult des Bundestages © dpa/Christoph SoederFoto: dpa/Christoph Soeder

Billigfleisch geht auf den Rücken aller

Im Wortlaut von Susanne Ferschl, Augsburger Allgemeine,

Jüngst haben die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen durch Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben wie Tönnies und anderen bundesweit für Empörung gesorgt. Doch nicht erst seit der Covid19-Pandemie sind die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie Gegenstand heftiger Kritik, insbesondere die ausbeuterischen Verhältnisse, unter denen die oftmals osteuropäischen Werkvertragsarbeiter leiden. Susanne Ferschl hat im Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung erläutert, welche Auswirkungen die Dumpinglohnpolitik in diesem Sektor hat und was geschehen muss, um diese oft mafiaähnlichen Strukturen aufzubrechen.

Die Corona-Krise legt viele Missstände in der Fleischindustrie schonungslos offen. 92 Prozent der Bürger fordern schärfere Gesetze, die Regierung setzt auf eine Tierwohl-Abgabe. Aber die Kritik an den Zuständen ist alt. Warum ändert sich nichts daran?

Susanne Ferschl: Man hat bei den Zuständen in der Fleischindustrie viel zu lange auf freiwillige Selbstverpflichtungen gesetzt, anstatt die gesetzlichen Regelungen zu verschärfen. Vor allem ging man nicht an das Kernproblem der Werkvertragsstrukturen. Laut Industrie sind bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze im Kernbereich über Werkverträge vergeben, die Gewerkschaft NGG spricht von bis zu 80 Prozent. Das heißt, man lagert den Großteil der wichtigsten Arbeit an Subunternehmen aus und wäscht sich hinterher die Hände in Unschuld, was Bezahlung, Arbeitsbedingungen und Unterkunft anbelangt. Deshalb ist es richtig, dass diese Art der Werkverträge in der Branche verboten wird. Aber das hat viel zu lange gedauert.

Reicht es aus, das System der Subunternehmen trockenzulegen?

Ferschl: Nein. Ein Hauptproblem ist, dass viel zu wenig kontrolliert wird. Im Nahrungsmittelbereich kommt nur alle 17 Jahre ein Kontrolleur in ein Unternehmen, um die Arbeitsverhältnisse zu kontrollieren. Da ist es logisch, dass hier Wildwuchs ohne Ende herrscht. Man hat die Behörden kaputtgespart. Es ist ein Skandal, wenn es sich rentiert, sein Geschäftsmodell auf schlechten Arbeitsbedingungen aufzubauen und damit enorme Gewinne macht.

Sie wollen mit einem Antrag im Bundestag diese Woche vor allem die Rechte der Arbeitnehmer stärken. Warum halten Sie das für den richtigen Hebel?

Ferschl: Wir brauchen einen Dreiklang: Schärfere verbindliche gesetzliche Regelungen, die zweitens strenger von den Behörden kontrolliert werden, und zum Dritten müssen wir von innen heraus die Mitbestimmung stärken. Das heißt, wir müssen die Wahl von Betriebsräten erleichtern. Arbeitnehmervertreter haben einen sehr guten Einblick, was in ihrem Betrieb läuft und haben per Gesetz die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die gesetzlich geltenden Rechte der Mitarbeiter eingehalten werden. Wir wissen, dass überall in tarifgebundenen Unternehmen mit Betriebsrat die Löhne und Arbeitszeiten besser sind. Das ist der bessere Weg, als wenn man wie die Grünen einen Mindestpreis für Fleisch fordert. Auch eine Tierwohl-Abgabe rollt das Problem nur von hinten auf. Wir brauchen neben klaren Regelungen in der Landwirtschaft und in den Unternehmen auch ein Lieferkettengesetz, an das der Einzelhandel gebunden ist. Nur so löst man die Probleme und nicht umgekehrt.

Haben derzeit Gewerkschaften überhaupt eine Chance, an die Arbeiter der Subunternehmen heranzukommen?

Ferschl: Die Werkvertrag-Arbeitnehmer kommen vor allem aus osteuropäischen Ländern und sind meist unserer Sprache nicht mächtig. Häufig haben sie einen Vertrag unterschrieben, ohne zu wissen, was genau drinsteht. Es gibt vom DGB die Beratungsstelle „Faire Mobilität“, wo sie sich auch in ihrer Muttersprache hinwenden könnten. Aber es ist extrem schwierig, an die Menschen heranzukommen, weil sie sehr stark unter Druck gesetzt werden. Bei den Werkverträgen gibt es häufig keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Stattdessen müssen Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen, die länger krank sind. Da ist es kein Wunder, dass sich die Leute, obwohl sie sich krank fühlen, zur Arbeit schleppen, weil sie Angst vor den Folgen haben. Das hat auch zu der großen Zahl an Corona-Infektionen beigetragen.

Es werden Zustände bekannt, wie man sie in Deutschland außerhalb des Rotlichtgewerbes kaum für möglich gehalten hätte. Ist das mit einer sozialen Marktwirtschaft noch vereinbar?

Ferschl: Hier handelt es sich tatsächlich um kriminelle und mafiöse Strukturen. Das fängt schon an, wenn man sieht, mit welchen Versprechungen und schönen Filmchen man versucht, die Menschen in ihrer osteuropäischen Heimat anzuwerben. Dann bringt man sie her und zwingt sie in ein skandalöses Abhängigkeitsverhältnis – bis hin zu 16- Stunden-Schichten. Ich habe Bilder von Unterkünften gesehen, die man sich kaum vorstellen kann. Schimmel an den Wänden, Kakerlaken im Haus. Zum Teil müssen sich die Menschen in Mehrbettzimmern abwechselnd ein einzelnes Bett teilen, wenn sie in unterschiedlichen Schichten arbeiten und schlafen. Solche hygienischen Zustände sind katastrophal. Deutschland muss sich für diese Zustände vor den europäischen Nachbarn schämen. Es ist absurd, dass Deutschland das europäische Schlachthaus geworden ist, weil nirgendwo so billig geschlachtet werden kann wie hier. Das geschieht auf dem Rücken dieser Arbeitnehmer. Deshalb muss man dieses Geschäftsmodell so schnell wie möglich verbieten.

Sind die Zustände gar nicht die Folge ausländischen Konkurrenzdrucks?

Ferschl: Nein, auch im Ausland leidet man unter dem deutschen Billigfleisch-System. In Dänemark herrschen ganz andere Verhältnisse. Hier sind Stundenlöhne von 25 Euro üblich. Die Schichten sind auf 7,5 Stunden begrenzt, das ist teilweise die Hälfte von dem, was in der deutschen Fleischindustrie gearbeitet wird. Wir brauchen hier in Deutschland endlich mehr Regulierung, damit sichere, feste Arbeitsverhältnisse entstehen, die ordentlich entlohnt werden und der Staat das entsprechend kontrolliert. Nur dann wird von vornherein solchen Geschäftsmodellen der Riegel vorgeschoben.

Die Debatte läuft wie Schwarzer Peter: Landwirte klagen über die Preise der Abnehmer, die verweisen auf den Druck der Discounter und der Handel richtet den Finger auf die Verbraucher.

Ferschl: Deshalb brauchen wir Regulierung. Das beginnt mit verbindlichen Regelungen in der Landwirtschaft. Es blutet einem ja das Herz, wenn man beispielsweise die Schweine in diesen Kastenständen sieht. Hier muss es klare Verbote geben. Logisch kann ein Landwirt dann nicht mehr so billig Fleisch produzieren. Man muss mit Regeln die Marktmacht der Einzelhandelsketten beschränken und die Arbeitsbedingungen in der Industrie verbessern. Dann steigt unter Umständen der Preis. Wir sagen, dass parallel dazu auch die Löhne und Einkommen steigen müssen, damit das Schnitzel am Ende nicht zur sozialen Frage wird.

Die Fleischpreise sind in den letzten 30 Jahren fast nicht gestiegen. Ist Billigfleisch wirklich eine soziale Frage oder ein deutscher Fetisch?

Ferschl: Man muss sehen, dass Deutschland mittlerweile den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa hat und dass sehr, sehr viele Bürger wirklich jeden Cent umdrehen müssen. Da entsteht tatsächlich die Frage, kaufe ich mir ein Stück Fleisch im Angebot oder gehe ich zu einem Metzger, wo ich für ein gutes Stück ein paar Euro mehr zahlen muss. Die Lösung ist, dass man nicht die Preise extrem billig hält, sondern, dass wir raus aus diesem Niedriglohn System müssen und wieder die Tarifbindung stärken, damit die Leute sich ordentlich versorgen können. Billigfleisch geht auf den Rücken aller: Vom Tier, vom Landwirt, den Beschäftigten der Fleischindustrie und den Verbrauchern, die nicht wissen, was sie da zu sich nehmen. Das kann wirklich kein Geschäftsmodell sein.

Das Interview erschien am 30. Juni 2020 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

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