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»Berlin ist im Jemen indirekt Kriegspartei«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,



Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags für die Fraktion DIE LINKE, im Interview mit der "jungen Welt" über die Lage in Saudi-Arabien und Jemen

 

Saudi-Arabien hat im März 2015 einen Luftkrieg gegen seinen südlichen Nachbarn Jemen begonnen. Was ist der Hintergrund dieser Aggression?

Sevim Dagdelen: Saudi-Arabien positioniert sich mit Hilfe der USA und auch Deutschlands als Regionalmacht. Die von Saudi-Arabien gelenkte internationale Koalition führt diesen Krieg, um die Kontrolle über den Jemen zu behalten bzw. jetzt wiederzuerlangen. Ein strategisches Ziel ist zudem die Kontrolle des Bab AlMandab, der Meerenge im Roten Meer zwischen dem Jemen auf der asiatischen Seite und Djibouti auf der afrikanischen. Die neue Machtkonstellation im Jemen ist
dafür ein Hindernis.

Sie haben dazu eine kleine Anfrage (18/6637) an die Bundesregierung gestellt, die Antworten fallen eher allgemein aus. Warum scheut man sich, Akteure und Verantwortliche beim Namen zu nennen?

Die Bundesregierung ist über ihre Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und Katar indirekt Kriegspartei im Jemen. Deshalb hält man sich auffallend zurück. Saudische Kriegsverbrechen, wie die Bombardierung von UN-Flüchtlingslagern werden weder benannt noch kritisiert. Im Gegenteil: Man ist dem saudischen Herrscherhaus so weit entgegengekommen, dass ein Programmpunkt der jüngsten Saudi-Arabien-Reise des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, an der ich als Vertreterin meiner Fraktion teilnahm, ein Treffen mit der Marionettenregierung des Jemen in der saudischen Hauptstadt Riad war. Die Bundesregierung erkennt diese Regierung an, obwohl die Amtszeit des Präsidenten Hadi abgelaufen ist und eine eigenständige territoriale Kontrolle nicht erkennbar ist.

In der kleinen Anfrage geht es um die Rolle deutscher Außenpolitik und Waffenlieferungen, die humanitäre Situation, die Zerstörung von Kulturgütern und um die Golfstaaten. Sie fragen auch nach Aktivitäten von nationalen Staatsfonds (Saudi-Arabien, Katar, Abu Dhabi) in Deutschland und in der EU. Warum ist dieser Aspekt wichtig?

Die Diktaturen am Golf nehmen mit ihren politischen Staatsfonds Einfluss in Europa, insbesondere in Deutschland. Diese Beteiligungen sind der Schlüssel zur Beantwortung der Frage, warum die Bundesregierung in diesen verbrecherischen Regierungen am Golf ihre treuesten Verbündeten in der Region sieht und warum man bei saudischer Förderung militanter Salafisten in Europa, gerne wegschaut.

Sie sprechen auch Al-Qaida und den sogenannten Islamischen Staat an. Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist offenbar – über jemenitische Stämme – an Al-Qaida weitergeleitet worden. Auf diesen Komplex verweigert die Bundesregierung eine Antwort mit Verweis auf »Gründe des Staatswohls«. Wie interpretieren Sie diese Geheimhaltung?

Al-Qaida fungiert in Teilen als Bodentruppe der saudischen Kriegskoalition. Im Südjemen haben sie bereits große Teile der Region übernommen. Nach der Eroberung der südjemenitischen Hafenstadt Aden durch die saudische Kriegskoalition wurde als erstes die katholische Kirche durch Al-Qaida-Terroristen gebrandschatzt. Es gibt zudem Medienberichte, dass Al-Qaida und der IS im Jemen kooperieren. Für den Fall, dass dies stimmt, wäre eine Unterstützung Saudi-Arabiens, das ja Al-Qaida fördert, mit deutschen Waffen, quasi eine indirekte Unterstützung für den IS.

Was ist Ihrer Ansicht nach erforderlich, um Frieden im Jemen wiederherzustellen? Was kann Deutschland dazu beitragen?

Wenn die Bundesregierung etwas für den Frieden tun wollte, würde sie die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und Katar einstellen. Wenn der Krieg mit deutscher Unterstützung so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich die fünf Millionen Binnenflüchtlinge im Jemen nach Europa aufmachen. Die Golfdiktaturen müssen gedrängt werden, ihre Unterstützung von Al-Qaida und IS aufzugeben. Deutschland kann einen Friedensprozess wirtschaftlich fördern. Das
IWF-Diktat von 1995, das bereits im ersten Jahr dieses Maßnahmenpakets zu einem Anstieg der Ölpreise für die einfache Bevölkerung um 80 Prozent und die Strompreise um 60 Prozent geführt hat, muss weg, sonst werden noch mehr Menschen im Jemen hungern und in ihrem Land keine Perspektive mehr sehen.

junge Welt, 16. Dezember 2015