Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, zur aktuellen Lage in Belarus:
In Belarus soll es bei den Präsidentschaftswahlen Wahlfälschungen gegeben haben und die Bedingungen für faire und demokratische Wahlen wurden nicht erfüllt. Bei allen autoritären Regimen entsteht irgendwann der Druck aus der Bevölkerung, zur Demokratie zu wechseln.
Eine immer größere Zahl von Menschen in Belarus will den Wechsel und demonstriert friedlich. Inzwischen hat die Bewegung auch viele Betriebe erfasst, auch Funktionsträger des Staates reihen sich ein. Lukaschenko hat zwar versucht, sich der Unterstützung Russlands zu versichern, aber Putin hat klar signalisiert, dass er nur einzugreifen gewillt ist, wenn von dritter Seite von außen versucht würde, in Belarus auf welche Art auch immer zu intervenieren. Der Westen wäre also gut beraten, auf eine direkte oder indirekte Intervention zu verzichten, wenn er Verhältnisse wie in der Ukraine ausschließen will.
Angesichts der Breite der Protestbewegung steht Lukaschenko vor der Frage, ob er seine Macht mit Gewalt zu sichern versucht, wie es anfangs schien, oder ob er im Interesse des Landes den Weg zu Neuwahlen frei macht. Es hat wenig Sinn, sich auf ein Wahlergebnis zu berufen, dass derart stark angezweifelt wird und unter fragwürdigen Bedingungen zustande kam. Die Runden Tische aus der Wendezeit in der DDR könnten ein Muster sein, wie man diesen Weg in einem breiten demokratischen Prozess beschreiten kann.
Neuwahlen, gegebenenfalls mit Unterstützung und Kontrolle der OSZE, sind meines Erachtens der einzig demokratische und friedliche Ausweg aus der entstandenen Situation. Deren Ergebnis muss dann allerdings von allen Seiten akzeptiert werden. Von Sanktionsdrohungen und -entscheidungen kann ich nur abraten. Sie treffen meist nicht die Regierenden, sondern die Bevölkerung.