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Aus einem Guß

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Gegenwärtig hält sich eine große Delegation von EU-Wahlbeobachtern im Sudan auf. Sie werden den Wahlsieg des amtierenden Präsidenten Omar Al-Baschir durch den Verweis auf »Unregelmäßigkeiten« relativieren, um seine Position in den Verhandlungen über die Abspaltung des ölreichen Südens des Landes zu schwächen. Dort sind Deutschland und die EU bereits seit 2004 dabei, eigenständige staatliche Strukturen aufzubauen. Die Aktivitäten werden entwicklungspolitisch flankiert. Unmittelbar vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hatte sich die neue EU-Außenbeauftragte, Catherine Ashton, in Brüssel mit Vertretern der ostafrikanischen Regionalorganisa­tion IGAD getroffen und mit dem ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki in seiner Funktion als Vorsitzender einer Beratergruppe der Afrikanischen Union (AU) zum Sudan, um diese auf die europäische Linie zu bringen. Die AU ist seit 2004 in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur aktiv, finanziert über den Europäischen Entwicklungsfonds EDF. Bereits heute bilden deutsche Polizisten zukünftige südsudanesische »Sicherheitskräfte« aus. Fortan solle die EU »alle bestehenden europäischen Instrumente noch koordinierter zum Einsatz bringen«, heißt es in einer Studie des EU-eigenen Instituts für Sicherheitsstudien, um die Sezession des Südens erfolgreich über die Bühne zu bringen. Hierzu seien »Out-of-the-Box-Maßnahmen«ww- schlüsselfertige Konzepte zum Staatsaufbau - nötig, welche die EU entwickeln müsse.

Ermöglichen soll dies unter anderem der Europäische Auswärtige Dienst (EAD). Geplant ist, die Mammutbehörde mit rund 8500 Mitarbeitern bis Ende des Jahres aufzubauen und durch die Bündelung aller Instrumente der EU zu mehr »Kohärenz« und »Effizienz« in der europäischen Außenpolitik beizutragen. Zukünftig sollen die Vertretungen der EU-Kommission in Vertretungen des EAD umgewandelt werden und in Drittstaaten gar eine gemeinsame Vertretung der Europäischen Union präsent sein und die diplomatischen Beziehungen pflegen. Die Vertretungen unterstehen ebenso dem EAD wie die militärischen und geheimdienstlichen Strukturen, die EU-Militärmissionen planen und führen. Zudem soll der EAD für die Verteilung von Geldern aus der europäischen Entwicklungshilfe zuständig sein. Die Notwendigkeit einer solchen »Außenpolitik aus einem Guß« wird regelmäßig mit dem Aufstieg von Schwellenländern und dem relativen Machtverlust europäischer Großmächte und der USA begründet. Um weiterhin Schurkenstaaten definieren und Sezessionen legitimieren zu können, um genehme Regimes mit Waffen, Ausrüstung und Ausbildung zu unterstützen und widerwillige zu destabilisieren und somit die Regeln des Welthandels weiter diktieren und den Zugriff auf Rohstoffe sichern zu können, müßten diplomatische, entwicklungs- und wirtschaftspolitische sowie geheimdienstliche und militärische Instrumente besser ineinandergreifen.

Mit dem EAD wird ein weiterer Schritt unternommen, den vor allem in Deutschland geltenden Parlamentsvorbehalt hinsichtlich der EU-Militäreinsätze zu schwächen. Alles deutet darauf hin, daß die militärischen Strukturen den EAD dominieren werden und auch sollen. Damit werden die Gestaltungsmöglichkeiten der kleineren und neuen EU-Mitgliedsstaaten erheblich eingeschränkt, denn die leitenden Posten im Beamtenapparat besetzen Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Vor allem aber soll durch den EAD die demokratische Kontrolle der Außenpolitik gänzlich ausgehöhlt werden. Dies zeigt sich schon an seinem Entstehungsprozeß, aus dem die Parlamente der Mitgliedsstaaten systematisch ausgeklammert wurden. Das Europäische Parlament soll nach der Einrichtung des EAD lediglich »angehört« und »konsultiert« werden - wie schon während der Konzeption des EAD. Allerdings bedarf die Aufstellung des EAD eines geänderten Nachtragshaushalts und eines neuen Beamtenstatuts, dem das Brüsseler Parlament zustimmen muß. Das leitet hieraus eine Art Vetorecht ab und fordert gewisse Mitsprachemöglichkeiten. Für die nationalen Parlamente sind in den bisherigen Diskussionen beim Thema EAD bislang keinerlei Mitspracherechte zugesichert worden. Für den Bundestag selbst gibt es - trotz der Stärkung seiner Mitwirkungsrechte in EU-Angelegenheiten aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag - nach wie vor nur sehr eingeschränkte Einflußmöglichkeiten. Die heutige Anhörung im Auswärtigen Ausschuß, auf eine Initiative der Linksfraktion zurückzuführen, ist immerhin ein Anfang, um zumindest eine Öffentlichkeit für dieses Thema zu schaffen.

Von Sevim Dagdelen

junge Welt, 21. April 2010