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Aufstieg in Brüssel

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Die Hohe Vertreterin für die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die Britin Lady Ashton, will heute das Organigramm für den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) vorstellen. Die Megabehörde in Brüssel soll in Umsetzung des Lissabon-Vertrags bis zu 8000 Beamte umfassen. Während bereits feststeht, daß der Europäische Militärstab (EUMS), das Europäische Nachrichtendienstzentrum (SITCEN), das Direktorat für Krisenmanagement und Planung (CMPD), der zivile Planungs- und Durchführungsstab (CPCC) wie auch der Vorsitz und die Koordination des wichtigsten Organs der militärischen Führung, das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), Teil dieses diplomatischen Dienstes werden sollen, tobt hinter den Kulissen ein unbarmherziger Kampf zwischen den drei großen EU-Mitgliedstaaten, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, um die entscheidenden Führungsposten.

Strippenzieher

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schickt mit ihrem Berater Christoph Heusgen ein Schwergewicht ins Rennen. Er soll, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht, EAD-Generalsekretär und damit Stellvertreter Ashtons werden. Damit wäre einer der wichtigsten Männer in Brüssel ein enger Vertrauter Berlins. Während Ashton auf der Weltbühne Europa ein Gesicht verleiht, würde Heusgen in Brüssel die Fäden ziehen. Für weitere führende Posten sind die ehemalige Büroleiterin von Exaußenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), Helga Schmid, und der Direktor der EU-Kommission für Außenbeziehungen (GD RELEX) verantwortlich für Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien, Gunnar Wiegand, vorgesehen. Deutschland würde damit den Aufbau des EAD wesentlich mitprägen, und die deutsche Außenpolitik wäre ihrem Ziel nahe. Es war, wie die Bertelsmann-Stiftung bereits 2003 stolz berichtete, eine deutsche Initiative im Europäischen Verfassungskonvent, welche die Konzeption des EAD auf die Brüsseler Agenda setzte. Mit dem EAD soll aber nicht nur ein militärisch-diplomatischer Dienst »sui generis« (eigener Art) etabliert werden, sondern der EAD soll auch weitreichende Vollmachten zur Programmierung der Europäischen Entwicklungsfonds mit einem Gesamtvolumen von über 30 Milliarden Euro sowie weiterer Finanztöpfe erhalten. Durch die Bündelung und Koordina­tion aller außenpolitischer Instrumente der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, von den Geheimdiensten über Militär- und Polizeieinsätze bis hin zur Nachbarschafts-, Visa- und Entwicklungspolitik, soll, so Ashton, endlich eine »umfassende« und »vernetzte« Strategie realisierbar werden. Dafür wäre Heusgen der richtige Mann. Er gilt als einer der Ideengeber für die europäische Sicherheitsstrategie und für das Konzept der »vernetzten Sicherheit«, das mit der Verzahnung ziviler und militärischer Mittel zunehmend auch im Afghanistan-Krieg zur Anwendung kommt.

Ashton plant für den ihr unterstellten EAD neben dem Generalsekretär die Einrichtung von zwei Vizegeneralsekretären und insgesamt sechs Generaldirektoren, welche die einzelnen Abteilungen des EAD leiten sollen. Während Merkels Mann in Brüssel die Arbeit der Generaldirektoren überwachen würde, wäre er zudem verantwortlich für den EU-Militärstab und das Nachrichtenzentrum. Gleichzeitig würde er die Verantwortung für die Planung der EU-Auslandsmissionen tragen. Allerdings kämpfen auch die anderen großen Mitgliedsstaaten um die zentralen Posten. Frankreich hat seinen Hut in den Ring geworfen und will durch die Kontrolle einzelner Abteilungen eine europäische Verstärkung seiner Außenpolitik erreichen. Den Kürzeren ziehen die kleinen und mittleren EU-Mitgliedstaaten. Ihnen werden nicht viel mehr als Brosamen vom Tisch der großen Drei bleiben.

Maulkorb

Um die Plazierungsstrategie der Bundesregierung abzuschirmen, ist den Abgeordneten der Koalition im Bundestag ein regelrechter Maulkorb verpaßt worden. Den Unionsmitgliedern in Brüssel geht es nicht anders. Hatte der Merkel-Vertraute und in den Medien beliebtester Wortgeber aus dem Europäischen Parlament, Elmar Brok, am 9. Juli 2003 noch als Mitglied des EU-Verfassungskonvents geurteilt, »ein neuer Auswärtiger Dienst außerhalb der bestehenden Institutionen, ein Vorschlag von Bundesaußenminister Fischer, würde die mühevoll erreichte institutionelle Balance zwischen Rat, Kommission und Parlament gefährden«, so ist jetzt nur noch Schweigen zu registrieren. Dazu paßt, daß eine geplante Beteiligung der Abgeordneten im Deutschen Bundestag regelrecht verschleppt wird. Staatminister Hoyer gestand auf Anfrage lediglich zu, daß nach Vorlage der Konzeption der Bundestag angemessen beteiligt werde.

Mit dem EAD als »Herzstück« des Lissabon-Vertrags wird ein politisch-militärischer Apparat geschaffen, der auf Dauer angelegt ist und der die europäische Außenpolitik wie die der Mitgliedstaaten grundlegend auf wenn nötig auch militärische Interessens- und Wertedurchsetzung ausrichten wird. So bekannte sich Ashton, die auch Vizepräsidentin der EU-Kommission und Vorsitzende der Europäischen Rüstungsagentur ist, vergangene Woche auch zur neuen »Machtpolitik aus einem Guß« (vgl. auch jW vom 23.12.2009). In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament sagte sie: »Im Herzen all unserer Bemühungen liegt eine einfache Wahrheit: Um unsere Interessen zu wahren und unsere Werte zu verbreiten, müssen wir uns im Ausland engagieren.«

Von Sevim Dagdelen

junge Welt, 17. März 2010