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Sevim Dagdelen am Rednerpult

Auf Kollisionskurs mit dem Völkerrecht

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen, Berliner Zeitung,

Gastbeitrag von Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss, in der Berliner Zeitung.


Die Bundesregierung sollte den Einsatz der Fregatte „Bayern“ im Indopazifik beenden, meint Sevim Dagdelen von der Linkspartei. 

Bei der Verabschiedung der Fregatte „Bayern“ für die lange Seereise in Richtung China hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang August noch postuliert: „Unsere Partner vor Ort wünschen sich Unterstützung dabei, den Indo-Pazifik als Raum der Sicherheit, Stabilität und Freiheit zu erhalten. Das liegt auch in unserem ureigenen Interesse, als Verfechter einer regelbasierten Ordnung ist es uns nicht egal, wenn geltendes Recht missachtet wird und völkerrechtswidrige Fakten geschaffen werden.“ In diesen Tagen aber legt das deutsche Kriegsschiff in Diego Garcia auf dem Chagos-Archipel im Indischen Ozean an. Die Inselgruppe ist die letzte Kolonie Großbritanniens. Zuletzt hat im Januar 2021 der Internationale Seegerichtshof Großbritannien aufgefordert, die Inseln an Mauritius zurückzugeben.

In den sechziger Jahren waren alle Bewohner von dort deportiert worden, um Platz für eine US-Militärbasis zu schaffen. Der Schriftverkehr, der für die Abtrennung der Inselgruppe von Mauritius und für die Zwangsumsiedelung Verantwortlichen aus der britischen Regierung liest sich wie ein Dokument des brutalen Rassismus, des zynischen Sexismus und kolonialer Menschenverachtung. Hochrangige Diplomaten des britischen Außenministeriums schrieben in einem geheimen Memorandum: „Wir müssen dabei sicherlich sehr hart sein. Das Ziel der Übung ist, einige Felsen zu bekommen, die in unserem Besitz bleiben. Dort wird es keine indigene Bevölkerung geben, außer Möwen, die noch kein Komitee haben. (Der Status von Frauenkomitees schließt die Rechte von Vögeln nicht mit ein.)“ Und weiter: „Unglücklicherweise gibt es außer den Vögeln einige Tarzans und Freitags, deren Herkunft unklar ist und die hoffentlich auf Mauritius erwünscht sind.“

In diese Kolonialgeschichte der Besatzung und Vertreibung schreibt sich die Bundesregierung jetzt mit dem Völkerrecht missachtenden Halt der Bundeswehr in Diego Garcia ein. Die Stiftung Wissenschaft und Politik weist in einer Studie zurecht daraufhin, dass es hier Alternativen für eine Betankung der Fregatte gegeben hätte. Allein, sie wurden von der Bundesregierung bewusst ausgeschlagen. Der Besuch in Diego Garcia hat Kalkül, wobei das Verteidigungsministerium in Reaktion auch auf massive Kritik aus Mauritius zugleich versucht, das Ganze als bloßen „Bunkerstopp“ darzustellen. Doch das trägt nicht. Wie groß wäre etwa der Aufschrei, wenn eine deutsche Fregatte in Sewastopol auf der Krim auftanken würde?

Diego Garcia zeigt, dass das Völkerecht der Bundesregierung allein als Steinbruch zur militärischen Machtprojektion dient. Wer aber das Völkerecht derart instrumentell missbraucht, der wird die Türen für andere öffnen mit fatalen Folgen für die internationale Rechtsordnung. „Im Indopazifik geht es um unsere Werte und Interessen“, rechtfertigt Ministerin Kramp-Karrenbauer die Fahrt der „Bayern“. Das klingt schon ehrlicher, aber umso problematischer, schließt es doch an längst vergangene Zeiten imperialer Flottenpolitik an. Die Kanonenpolitik, verharmlosend auch Flottendemonstration genannt, war ein probates Machtmittel imperialistischer Mächte im 19. Jahrhundert. Mit dem „Bayern“-Besuch in Diego Garcia und der gefährlichen Illusion einer deutschen Machtprojektion gegenüber China im Indopazifik stellt sich die Bundesregierung eher in eine Reihe mit den verunglückten Abenteuern wilhelminischer Flottenpolitik. Denn wie einst beim „Panthersprung nach Agadir“ von Wilhelm II. nach Marokko 1911 ruft man alleine unbeherrschbare Gegenkräfte auf den Plan. Die Machtdemonstration gerät zur gefährlichen Farce.

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung die Seereise der Fregatte „Bayern“ beendet. Dass China die Mission als Provokation empfindet, zeigt die Absage aus Peking an einen geplanten Hafenbesuch des deutschen Kriegsschiffes. Statt die USA in ihrem immer schärferen Konfrontationskurs gegenüber China, Deutschlands größtem Handelspartner, militärisch zu unterstützen, gilt es, auf Diplomatie und Kooperation zu setzen. Wem die viel beschworene wertebasierte Außenpolitik wirklich am Herzen liegt, der sollte stattdessen Großbritannien und die USA auffordern, endlich die Besatzung der Chagos-Inseln zu beenden und auf die Rückkehr der Deportierten drängen. Eine Ordnung, die auf Elend und Unterdrückung gründet, ist weder regelbasiert noch verteidigenswert.


Gemeinsamer Brief von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE an die Nationalversammlung von Mauritius (DEU/ENG/FR)


 

Berliner Zeitung,