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Atomwaffenverbot: Wissenschaftliche Dienste widersprechen Bundesregierung

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Von Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Am 22. Januar tritt der internationale Vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Kraft. Das ist ein historischer Tag: Nach der Ratifizierung von mittlerweile 51 Staaten sind die zerstörerischsten der Massenvernichtungswaffen nun erstmalig in der Geschichte völkerrechtlich geächtet. Anders als die 122 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, die den Atomwaffenverbotsvertrag im Juli 2017 verabschiedet haben, blieb die Bundesregierung der Abrüstungsinitiative von Anfang an fern. Ihren Boykott begründet sie bis heute mit der Behauptung, der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) würde den bestehenden Nichtverbreitungsvertrag (NVV) und dessen Verifikationsregime schwächen. Ein in meinem Auftrag erstelltes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags widerspricht ausdrücklich der Bundesregierung und bestärkt die Position der Fraktion DIE LINKE.
 
„[D]er Verbotsvertrag droht dem NVV und dem mit ihm verbundenen Kontrollregime zur Verhinderung nuklearer Proliferation nachhaltigen Schaden zuzufügen sowie das globale Nonproliferations- und Abrüstungsregime zu gefährden“, lautet das von der Bundesregierung seit Jahren gebetsmühlenartig vorgetragene Argument gegen das Atomwaffenverbot, zuletzt in einer Antwort auf meine Kleine Anfrage. Das WD-Gutachten stellt demgegenüber klar: Der AVV steht „juristisch nicht in Widerspruch zum NVV“. Die beiden Verträge stünden „weniger in einem rechtlichen Konkurrenz-, als in einem Komplementärverhältnis zueinander“.
 
Die Bundesregierung behauptet weiter, der Verbotsvertrag unterlaufe „die Bemühungen der Staatengemeinschaft um Abschluss und Inkraftsetzung ausstehender Zusatzprotokolle und um Universalisierung des heute maßgeblichen Verifikationsstandards“. Richtig ist, dass der AVV in Bezug auf die Überprüfung der Verifikationspflichten nur die „umfassenden Sicherheitsabkommen“ als Mindeststandard festschreibt. Diese müssen, sofern noch nicht geschehen, bei einem Beitritt zum AVV mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) abgeschlossen werden, nicht jedoch die weitergehenden Zusatzprotokolle, die derzeit für 136 NVV-Staaten in Kraft sind.
 
Der AVV steht dem NVV in nichts nach
 
Was die Bundesregierung jedoch verschweigt: Der AVV verpflichtet mindestens zur Beibehaltung bereits bestehender Verifikationsabkommen. Das heißt: Für Staaten, die bereits ein Zusatzprotokoll abgeschlossen haben, bleibt dieses verpflichtend. Staaten, die nur ein umfassendes Sicherheitsabkommen unterzeichnet haben, sind weiterhin an dieses gebunden und werden darin bestärkt, weitergehende Verpflichtungen abzuschließen. In diesem Sinne stellt der WD klar: „Rechtlich gesehen liegen die Verifikationsbestimmungen des AVV auf dem Niveau des NVV und fallen jedenfalls nicht dahinter zurück.“
 
Außerdem täuscht die Bundesregierung die Öffentlichkeit, wenn sie suggeriert, der NVV fordere eine Ratifikationspflicht des Zusatzprotokolls. Die erweiterten Kontrollmöglichkeiten durch das Zusatzprotoll erfolgen also weder aufgrund einer völkerrechtlichen Verpflichtung nach dem NVV noch aufgrund einer gewohnheitsrechtlichen Verfestigung des Nichtverbreitungsregimes – sie basieren einzig und allein auf der freiwilligen Vereinbarung der NVV-Staaten. Das Gutachten warnt außerdem vor „[a]podiktische[n] Feststellungen und Vorhersagen einer (mutmaßlichen) Unterminierung oder Schädigung des NVV durch das Verifikationsregime eines Vertrages, der noch nicht einmal in Kraft getreten ist“.
 
Die Verträge verfolgen zudem unterschiedliche Zielsetzungen: Während der NVV die Proliferation von Atomwaffen verhindern will, hat der AVV zum Ziel, Atomwaffen langfristig abzuschaffen – und dadurch die im NVV zementierte Zweiklassengesellschaft aus Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten zu überwinden. Der Verbotsvertrag schließt dadurch eine Lücke im Nichtverbreitungsvertrag und bringt neuen Schwung in die seit Jahren festgefahrenen Abrüstungsbemühungen.
 
Was fehlt, ist der politische Wille
 
Besonders hanebüchen ist vor diesem Hintergrund die Behauptung der Bundesregierung, der Verbotsvertrag könne eine „Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen im nuklearen Bereich“ zur Folge haben. Das Gegenteil ist der Fall: Der Verbotsvertrag bezieht sich explizit auf die die rechtlich nicht verbindliche Abrüstungsverpflichtung aus Artikel 6 des NVV und schreibt diese zu einer völkerrechtlichen Norm fort. Auch hier widerspricht der WD den weit hergeholten Ausflüchten der Bundesregierung: „Der AVV ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu.“
 
Doch genau diesen politischen Willen lässt die Bundesregierung vermissen. Zwar bekennt sie sich allenthalben zum Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt. Offen bleibt jedoch, wie sie diesem mit ihrer Boykotthaltung wirklich näher kommen will. Erst kürzlich beklagte Außenminister Maas die Rückschläge bei der nuklearen Abrüstung und warnte vor einer erneuten Aufrüstungsspirale: „Und wenn wir weiterhin nur dasitzen und zugucken, wird das fatale Folgen haben.“
 
Ungeachtet dessen boykottiert die Bundesregierung die wichtigste Initiative im Bereich der nuklearen Abrüstung, den Atomwaffenverbotsvertrag, der von einer überwältigen Mehrheit der Staatengemeinschaft unterstützt wird und laut UN-Generalsekretär António Guterres eine „bedeutende Verpflichtung hin zu einer kompletten Elimination von Nuklearwaffen“ darstellt. Durch ihr Fernbleiben vom Atomwaffenverbotsvertrag macht die Bundesregierung genau das, wovor sie selbst warnt: dasitzen und zugucken.
 
Auf Lippenbekenntnisse müssen Taten folgen
 
Ein zentraler Grund für die Tatenlosigkeit der Bundesregierung: Ihr fehlt der Wille, den Abzug der im Rahmen der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten US-Atomwaffen durchzusetzen. Ein Beitritt zum Atomwaffenverbot, der von einer deutlichen Mehrheit von 92 Prozent (!) der Bevölkerung befürwortet wird, hätte nämlich genau dies zur Folge: Die Atombomben müssten von deutschem Boden verschwinden.
 
Das Beharren auf Doktrin der nuklearen Abschreckung ist nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern gefährdet Frieden und Sicherheit in Deutschland und weltweit. DIE LINKE fordert daher den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag und den Abzug der US-Atomwaffen. Die Bundesregierung muss aufhören, die historische Abrüstungsinitiative durch billige Täuschungsmanöver weiter zu torpedieren.