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Sahra Wagenknecht © Steffi Loos/CommonLens/ddp imagesFoto: Steffi Loos/CommonLens/ddp images

»Alle sind dann immer so geschockt«

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Die Fraktionschefin der Linkspartei über die Zukunft der USA und die Lehre, die Europa aus der Wahl Trumps mitnehmen sollte.

 

taz: Frau Wagenknecht, was bedeutet der Wahlsieg von Donald Trump für den Rest der Welt?

Sahra Wagenknecht: Es ist davon auszugehen, dass Donald Trump als Präsident die Weltpolitik verändern wird. Allerdings ist er dabei relativ unberechenbar. Auf der einen Seite hat er im Wahlkampf martialische Sprüche geklopft, zum Beispiel, dass Atomwaffen dazu da sind, auch eingesetzt zu werden. Da kann einem natürlich angst und bange werden. Auf der anderen Seite hat er sich von Clinton abgesetzt und gesagt, er wolle mehr Kooperation, keine neuen Kriege. Letzten Endes hängt viel von seinem Stab ab. Es ist ja noch unklar, wer etwa Außenminister wird.

Immerhin gab es im Vorfeld diverse Ankündigungen, zum Beispiel die, dass Trump eine Mauer zu Mexiko bauen wolle. Wird er sich daran halten – schon allein, um für seine WählerInnen glaubwürdig zu bleiben?

Trump ist auch gewählt worden als einer, von dem man wusste, dass er in vielen Fragen die Unwahrheit sagt. Aber sogar dabei wirkte er offenbar für viele immer noch authentischer als Hillary Clinton, die im Lichte ihrer gesamten Biografie als korrupt und verlogen dastand. Man hatte also zwei Kandidaten, die nicht den Ruf hatten, auch nur halbwegs ehrlich zu sein. Ob Trump jetzt wirklich seine Ankündigungen einlöst, ist völlig offen.

Eine gewisse Angst besteht. In Mexiko sind am Mittwoch die Börsenkurse stark gefallen – die Befürchtung, dass er diese Drohung wahrmacht, gibt es also.

Trump wird auf jeden Fall eine restriktivere Einwanderungspolitik betreiben. In welcher Form – also ob demnächst weitere Mauern gebaut werden –, wird sich zeigen. Man muss das vielleicht auch etwas relativieren: Mauern an der Grenze zu Mexiko zu bauen ist nicht originär Trumps Idee, schon heute wird an dieser Grenze teilweise scharf geschossen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich heute Morgen „geschockt“ von Trumps Wahl. Was bedeutet das für das transatlantische Verhältnis?

Ach, sie sind dann immer alle so geschockt, beim Brexit war das genauso, und dann machen sie trotzdem weiter wie bisher. So überraschend finde ich das Ergebnis nicht. In den USA liegen die mittleren Löhne heute niedriger als vor 40 Jahren, alle Zugewinne sind in die Taschen der oberen Zehntausend geflossen. Wenn man in einer Demokratie über viele Jahre hinweg immer Politik gegen die Mehrheit macht, rebellieren die Menschen irgendwann. Wenn sich das nicht ändert, werden wir in den nächsten Jahren noch sehr oft „geschockt“ sein. Zentral für die deutsche Außenpolitik muss jetzt sein, eine eigenständige Politik zu machen, sich aus der Unterwürfigkeit gegenüber den USA zu lösen. Das wäre längst nötig gewesen, jetzt umso mehr: Europa darf nicht jede Pirouette, die Herr Trump vielleicht dreht, mitmachen, sondern es muss seine eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen.

Das dürfte Trump ja gar nicht so fern liegen. Die Nato-Partner müssten sich künftig stärker selbst um ihre Verteidigung kümmern, hatte er im Vorfeld gesagt.

Es wäre ja nur gut, wenn es nicht noch mehr US-geführte Interventionskriege gäbe, sie haben nur Unheil auf dieser Welt angerichtet. Wenn sich die USA in dieser Hinsicht zurücknehmen würden, wäre das ein großer Fortschritt. Das sollte für Europa aber nicht heißen, dass es dann auf eigene Faust Kriege führt, sondern dass es endlich auf friedliche Konfliktlösungen, auf Diplomatie setzt. Das ist dringend notwendig. Aber auch da müssen wir abwarten: In allen Kriegen ging es um wirtschaftliche Interessen, um Rohstoffe, Öl, Einflussnahme. Ob sich Trump wirklich von dem Establishment der USA löst, das genau das fordert, müssen wir sehen.

Zumindest TTIP dürfte vor dem Aus stehen.

Ja, hoffentlich. Wahr ist allerdings auch: Die US-Wirtschaft braucht TTIP nicht mehr, wenn es Ceta gibt. 80 Prozent der US-Konzerne haben Filialen in Kanada, weshalb sie ganz bequem alle Vorteile dieses Abkommens nutzen können.

Gibt es Hinweise darauf, wie eine Syrienpolitik unter Trump aussehen könnte? Präsident Putin hat Trump bereits gratuliert.

Ich hoffe, dass es keine Eskalation geben wird, wie sie unter Clinton zu erwarten gewesen wäre, und dass der Weg, den am Schluss ja auch Obama beschritten hat, weitergegangen wird: Der Versuch, auch mit Russland zu kooperieren, um den IS zu bekämpfen.

Bedeutet Trumps Wahl Auftrieb für Europas Rechte?

Wäre Bernie Sanders der Gegenkandidat der Demokraten gewesen, würden wir über einen Präsidenten Trump jetzt nicht sprechen. Für Europa heißt das: Mit Kandidaten, die wie Clinton für ein „Weiter so“ neoliberaler Politik stehen, verstärkt man den Rechtstrend. Das sollte vor allem der SPD zu denken geben. Wenn wir nicht wollen, dass nationalistische Kräfte stark werden, müssen wir endlich eine andere Politik machen und den Sozialstaat wiederherstellen, der die Menschen vor dem sozialen Absturz schützt. Wenn uns das nicht gelingt, ist der Blick in die USA auch ein Blick in Europas Zukunft.

 

Interview: Patricia Hecht