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Afghanistankrieg am Theater Potsdam

Periodika,

Das Theaterstück »Potsdam–Kundus – Der schwierige Weg zum Frieden in Afghanistan« stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Seit zehn Jahren führt die Bundeswehr Krieg in Afghanistan, seit zehn Jahren werden in diesem Krieg täglich Menschen getötet, verwundet, traumatisiert. Der Krieg ist längst Teil des Alltags geworden, in Afghanistan ebenso wie in Deutschland. Das Theaterstück »Potsdam–Kundus – Der schwierige Weg zum Frieden in Afghanistan«, das im Februar seine Uraufführung am Hans-Otto-Theater in Potsdam hatte, versucht sich an einem Gesamtbild dieses Konflikts.

»Afghanistan ist viel tiefer in der Gesellschaft angekommen, als den meisten bewusst ist«, sagt Ute Scharfenberg. Sie ist Chefdramaturgin am Hans-Otto-Theater. Gemeinsam mit Regisseur Clemens Bechtel entwickelte sie das Dokumentarspiel. Gewagt wird der Blick hinter die Kulissen: Wer sind die Menschen, die im deutschen Auftrag in das fremde Land gehen? Welche Erfahrungen machen sie? Wie kommen sie zurück? Was macht der Krieg mit ihnen?

Dafür recherchierten beide fast ein ganzes Jahr lang. Sie sprachen mit Soldaten, Offizieren vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam, mit Ärzten, zivilen Helfern, Politikern, Diplomaten. Sie lasen unzählige Zeitungsartikel, Protokolle, Regierungspapiere, Briefe, Bücher, Tagebücher, Reportagen, Erlebnisberichte. »In den Medien«, erzählt Ute Scharfenberg, »erfahren wir immer nur den militärischen Aspekt. Es gibt Einzelmeldungen, was fehlt, ist das große, zusammenfassende Bild.«

Dieses Bild entsteht auf der Bühne, in zwei kompakten Stunden. Sechs Schauspieler schlüpfen in unzählige Rollen, sie wechseln in Zeiten, Orte und Ereignisse, ohne dabei die Bühne zu verlassen. Mal lesen sie aus Akten, mal erzählen sie Episoden, mal spielen sie kleine Szenen. Jeder Text ist authentisch. Dazwischen treten in Videoeinspielungen UN-Berater, ein Arzt, Politiker, Entwicklungshelfer auf. Von politischen Fehlern ist die Rede, von Warlords, Langeweile in den Bundeswehrlagern, von fehlenden Särgen und davon, »was hätten wir gedacht, wenn wir mit Pappsärgen angereist wären«. Die afghanische Provinz Kundus, die Gespräche auf dem Bonner Petersberg, die traditionelle Ratsversammlung Loya Jirga – zehn Jahre Krieg im Zeitraffer.

Mit auf der Bühne steht auch Terishkova Obaid. Sie ist Afghanin, 35 Jahre alt, lebt seit 1987 in Berlin und arbeitet ehrenamtlich im afghanischen Kulturverein. Sie ist keine Schauspielerin, hatte Lampenfieber zu Probenbeginn. »Ich traute mich nicht«, erzählt sie. In »Potsdam–Kundus« spricht sie von ihrer eigenen Familie. Vom aus der Schule entführten kleinen Bruder, vom Vater, der zurück nach Kabul ging und heute ein gebrochener Mann ist. Sie sagt: »Für viele Afghanen sind die Bundeswehrsoldaten Besatzer.«
 
Die vorläufig letzte Aufführung vor der Theatersommerpause fand in Potsdam nur wenige Tage nach dem Tod von Osama bin Laden statt. Er galt als Anführer von al-Qaida, als Anstifter der Anschläge vom 11. September 2001. Und er war einer der vermeintlichen Gründe für den »War on Terror«, den Krieg gegen den Terror in Afghanistan. »Sein Tod ändert nichts für mein Land«, sagt Terishkova Obaid. Inzwischen sind fünf Millionen Menschen auf der Flucht. Am Ende der Aufführung fragt sie: »Wer hilft eigentlich meinem traumatisierten Volk, wenn endlich Frieden ist? Und wann wird das sein?«

Danach bleibt es lange still. Niemand traut sich zu klatschen. Behutsam setzt irgendwann der Beifall ein. In einem Publikumsgespräch schlägt ein Bundeswehrsoldat vor, mit dem Theaterstück nach Afghanistan zu reisen, es den dort stationierten Soldaten zu zeigen. Auch der Deutsche Bundestag wäre ein guter Aufführungsort, zum Beispiel vor der nächsten Debatte über die Verlängerung des Kriegseinsatzes in Afghanistan.