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Afghanistan-Fortschrittsbericht ohne Fortschritt

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Von Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 



Der Name "Fortschrittsbericht" Afghanistan ist allein schon eine Mogelpackung, denn von Fortschritt kann keine Rede sein. Im Gegenteil, der Bericht zeigt, dass aufgrund der mehr als 12 Jahre andauernden Besatzung durch internationale Truppen – verbunden mit andauernden Kämpfen in zahlreichen Provinzen Afghanistans – eine nachhaltige menschliche und soziale Entwicklung in Afghanistan nicht möglich ist. Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, jetzt sterben aber vor allem afghanische Soldaten und Polizisten. Der Drogenanbau ist auf dem höchsten Stand seit 2001!

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Erde, trotz mehr als 60 Milliarden US-Dollar internationaler "Aufbauhilfe" in den vergangenen zehn Jahren. Laut Weltbank ist eines von vier Kindern unter fünf Jahren stark unterernährt und jedes zweite Kind unter fünf Jahren wird als altersgemäß unterentwickelt eingestuft. Das CIA-Factbook kommt sogar noch auf drastischere Zahlen. Danach starben in Afghanistan im Jahr 2012 geschätzt rund 122 Säuglinge von 1.000 Lebendgeborenen im ersten Lebensjahr. Damit wäre Afghanistan das Land mit der höchsten Säuglingssterblichkeit weltweit. Gerade dieser Indikator zeigt, wie wenig Fortschritte in der alltäglichen Daseinsvorsorge gemacht wurden für die breite Bevölkerung.


Situation von Mädchen und Frauen unverändert schlecht

Auch der Bau von Schulen bedeutet noch lange nicht, dass Kinder, vor allem Mädchen, auch wirklich die Schule besuchen, dies hängt vielmehr von der Sicherheitslage ab. Zu groß ist die Gefahr, dass Mädchen und Frauen auf dem Schulweg entführt werden. Die Analphabetenquote bei Frauen wird nach wie vor in den ländlichen Regionen auf über 80 Prozent angegeben. Die rechtliche Situation für Frauen ist unverändert schlecht, das beschreibt die afghanische  Frauenaktivistin und ehemalige Parlamentarierin Malalai Joya in ihrem eindrücklichen Buch "Ich erhebe meine Stimme". Ein neuer Gesetzesentwurf, der die Verfolgung von häuslicher Gewalt gegen Frauen massiv einschränken würde, ist Ausdruck davon. Malalai Joya lehnt auch das geplante Stationierungsabkommen mit den USA ab. Sie führt die Verschlechterung der Sicherheitslage vor allem auf die anhaltende militärische Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen, die massiv erhöhten Drohnenangriffe durch die US-Truppen und die Zusammenarbeit mit brutalen Milizen von Warlords und Drogenbaronen in den Provinzen zurück. Dadurch kann es keine Sicherheit für die Bevölkerung geben. Vor allem die "Afghan Local Police" (ALP), die aus ehemaligen Taliban-Kämpfern und privaten Milizen besteht, ist für ihr brutales Vorgehen außerhalb jeglicher rechtsstaatlicher Strukturen berüchtigt.

Ein vollständiger Abzug aller internationaler Truppen und ein politischer Friedensprozess in Afghanistan ist die Voraussetzung für eine soziale Entwicklung in dem Land. Die Entwicklungszusammenarbeit darf nicht länger integraler Bestandteil der Besatzungspolitik und Aufstandsbekämpfung sein, sie muss sich ausschließlich an Armutsbekämpfung und Stärkung ziviler Strukturen orientieren. Deshalb fordert DIE LINKE schon seit langem das Ende der zivil-militärischen Zusammenarbeit und lehnt die jetzt erhobene Forderung nach "Schutz von EntwicklungshelferInnen durch die Bundeswehr" ab. Stattdessen fordern wir die Förderung eines innerafghanischen Versöhnungsprozesses und die Unterstützung von afghanischen Friedenskräften vor Ort, die sich seit Jahren für einen Friedens- und Versöhnungsprozess von unten einsetzen.
 

Konzerne wollen Rohstoffe ausbeuten

Der Erschließung afghanischer Rohstoffe wird laut Bundesregierung mittel- bis langfristig große Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans beigemessen. Vor diesem Hintergrund führte die Bundesregierung letztes Jahr den "Ersten Deutsch-Afghanischen Rohstoffdialog“ für deutsche Unternehmen durch. Der Fokus liegt dabei allerdings nicht auf staatlicher afghanischer Förderung der Rohstoffe und die von Entwicklungsminister Müller geforderte "Wertschöpfung im eigenen Land", sondern auf der Durchsetzung rechtlicher Rahmen- und Investitionsbedingungen, die deutschen und europäischen Konzernen einen optimalen Rohstoffabbau ermöglichen. Dazu wird mit deutschen Geldern für Entwicklungszusammenarbeit ein eigenständiges Beratungsvorhaben finanziert. Davon profitieren vielleicht die korrupte Karsai-Regierung und deutsche Firmen, aber nicht die afghanische Bevölkerung. Diese Form der "Entwicklungszusammenarbeit" werden wir weiterhin ablehnen.

linksfraktion.de, 6. Februar 2014