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Ein Mann auf dem Times Square in New York hält ein Schild mit stilisierter oranger Trump-Frisur und der Aufschrift: You're fiert! © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Milo HessFoto: picture alliance/ZUMAPRESS.com/Milo Hess

Ähnliche Entwicklungen in Europa stoppen

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Super Illu,

Gastkolumne von Gregor Gysi

Die Wahlen in den USA haben der Welt noch einmal vor Augen geführt, wie sehr die Demokratie gefährdet ist. Von einem Präsidenten, der sich in selbstherrlicher Manier wahrheitswidrig zum Sieger ausruft und, damit er es bleibt, die Auszählung weiterer abgegebener Stimmen per Gericht stoppen lassen will. Von dessen Anhängern, die mit Waffen vor die Auszählungsbüros ziehen, um dieser Forderung drohend Nachdruck zu verleihen. Von einem Wahlsystem mal abgesehen, bei dem die Kandidatin oder der Kandidat, die oder der die meisten Stimmen hat, keineswegs sicher sein kann, dass sie oder er dann auch gewählt ist.

Das vielgerühmte Land der Demokratie hat seine diesbezügliche Rolle längst verloren, unter Trump ist davon nun nahezu nichts mehr übrig geblieben. Wenn Wahlen nicht mehr durch die Wählerinnen und Wähler entschieden werden, sondern durch Gerichte, deren Besetzung man zuvor nach dem Gusto einer Partei regelt, bleibt das Herzstück einer Demokratie auf der Strecke. Ein bisschen ist das auch eine Mahnung an uns. Mit dem Wahlrecht spielt man nicht. Die Wählerinnen und Wähler müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Stimmen ausnahmslos zählen und jeweils das gleiche Gewicht haben.

Genauso klar ist auch, dass es in den Beziehungen zwischen den USA, Deutschland und der EU nicht so weiter gehen kann. Wirtschafts- und Handelssanktionen gegen Partner, wie sie Trump wegen der Gas-Pipeline Nordstream 2 verfügt hat, sind ebenso völkerrechtswidrig wie Strafzölle, um Investitionen im eigenen Land zu erzwingen. Die Zeit, in der ein US-Präsident glaubt, die internationalen Beziehungen mit Deals regeln zu können, bei denen regelmäßig die USA den größten Vorteil haben, muss endlich vorbei sein.

Die EU und Deutschland haben ein geostrategisches Interesse an guten und vertrauensvollen Beziehungen zu den USA. Russland und China. Sie bestehen aber zu keinem dieser Länder. Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, solche Beziehungen zu entwickeln und ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, dass nicht von Feindbildern, sondern vom Interessenausgleich lebt. Es geht eben nicht darum, dass die USA wieder eine Führungsrolle als selbst ernannter Weltpolizist einnehmen, sondern darum den nationalen Egoismus zu überwinden. Die soziale und die Klimafrage sind längst zu Menschheitsproblemen geworden, die die Völkergemeinschaft nur gemeinsam und miteinander lösen kann.

Dafür müssen sich Deutschland und die EU aus ihrer mitunter blinden Gefolgschaft gegenüber den USA lösen und selbstbewusst ihre eigenen Interessen definieren und dafür streiten. Dabei geht es nicht darum, deren frühere Weltpolizistenrolle nun selbst zu übernehmen und noch mehr Geld in Rüstung und Kriege stecken. Die EU und Deutschland müssen sich bewusst werden, dass sie ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung nur sichern können, wenn sie einen neuen Prozess in der Völkergemeinschaft zur globalen Lösung der globalen Probleme anstoßen und dabei die USA mit ins Boot bekommen.

Das betrifft das Weltklimaabkommen, das Abkommen mit dem Iran, die Neuauflage einer Politik von Rüstungskontrolle und Abrüstung, eine wirklich tragfähige Lösung des Nahost-Konflikts – in all diesen Fragen wäre es wünschenswert, wenn die USA zu einem Bruch mit der fatalen Deal-Logik der Trump-Administration kämen und sich internationalen Verträgen nicht nur wieder verpflichtet fühlten, sondern diese auch aktiv betrieben. Das wird angesichts der tiefen Polarisierung in den USA ohnehin eine Mammut-Aufgabe.

Letztlich wird vieles davon abhängen, ob es Joe Biden wirklich gelingt, zum Präsidenten der meisten US-Amerikanerinnen und –Amerikaner zu werden und zumindest Brücken über die aufgerissenen Gräben zu bauen. Daran wird sich auch entscheiden, ob Trump eine unrühmliche Episode in der Geschichte der USA bleibt oder deren Entwicklung noch über Jahre hinweg prägt. Wenn sie letzteres verhindern wollen, müssen Joe Biden und Kamala Harris über ihre Schatten springen und eine Politik der sozialen Wohlfahrt und ökologisch-nachhaltigen Modernisierung einleiten, wie sie Bidens großer Konkurrent um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Bernie Sanders, vorgeschlagen hat. Sie müssen für die Menschen in den USA erfahrbar machen, dass Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, soziale Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und ein weltoffenes, fest in die Völkergemeinschaft integriertes Land keine Gegensätze darstellen, sondern einander sogar bedingen. Nur so lässt sich – nicht nur in den USA – Rechtspopulismus und nationalem Egoismus der Boden entziehen.

Die USA sind ein wunderschönes großartiges Land, das sich unter Trump in vielerlei Hinsicht zurückentwickelt hat. Seine Abwahl ist eine Chance, dies umzukehren und damit auch Beispiel zu sein, dass ähnliche Entwicklungen in Europa gestoppt werden können. Ob und wie diese Chance genutzt wird, ist allerdings noch mehr als offen, aber immerhin, es gibt sie.

Super Illu,