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Aktivisten halten eine selbstgemalte Fahne mit der Aufschrift: Gegen Krieg Für Frieden © REUTERS/Kai PfaffenbachFoto: REUTERS/Kai Pfaffenbach

20 Jahre Irak-Krieg: George W. Bush gehört ins Gefängnis, nicht Julian Assange

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Von Sevim Dagdelen, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik und Abrüstung der Fraktion DIE LINKE.

George W. Bush, der 43. Präsident der Vereinigten Staaten, ist ein Kriegsverbrecher. Und bis heute straffrei. Vor 20 Jahren, in der Nacht auf den 20. März 2003, hat der Oberkommandierende aller US-Truppen ohne jede rechtliche Grundlage die Invasion des Irak befohlen. „Shock and Awe“, Schrecken und Ehrfurcht, nannten die Amerikaner ihre Militärtaktik, die auf massive Luftangriffe und Bombardements im ganzen Land zielte. Der auf Lügen basierender Angriffskrieg und das nachfolgende Besatzungsregime hat das Zweistromland zerstört und bis heute destabilisiert.

Im Zuge der Aufstandsbekämpfung wurden ganze Städte, darunter Falludscha, faktisch dem Erdboden gleichgemacht. Die Gesamtzahl der Opfer der US-Invasion und ihrer Folgen wird auf mittlerweile über 1,8 Millionen Menschen geschätzt.) Washington denkt nicht daran, Entschädigungen zu zahlen oder Reparationen zu leisten für die Zerstörungen der zivilen Infrastruktur. Bis heute sind im Irak US-Truppen und auch deutsche Soldaten stationiert.

Ziel des von den neokonservativen Falken der Bush-Administration entfesselten Krieges war die Ausweitung der US-Dominanz im „größeren Mittleren Osten“. Doch statt ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ einzuleiten, ebnete die „Operation Iraqi Freedom“ den Weg für den Abstieg der Supermacht, wie er heute deutlich sichtbar ist. Im Unterschied zu den westlichen Verbündeten Washingtons erkennt der Globale Süden klar die Doppelmoral und imperiale Arroganz. Dort löst es nur Kopfschütteln aus, dass die Bundesregierung auch 20 Jahre nach dem Irak-Krieg noch keine rechtliche Bewertung vornehmen will, ob der Einsatz der US-geführten „Koalition der Willigen“ zum Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein einen „Bruch des Völkerrechts“ darstellt und als „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ anzusehen ist. Das Grünen-geführte Außenministerium wiederholte auf meine Anfrage die damalige Begründung der US-Regierung, dass der Krieg erst begann, nachdem dem Irak zuvor „eine letzte Gelegenheit“ gegebenen worden war, „seinen Verpflichtungen bezüglich der Kontrolle und Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen nachzukommen“. Die Bundesregierung versucht mithin, die damalige US-Kriegslüge weiterhin zu rechtfertigen, indem sie nachlegt, der Irak habe Massenvernichtungswaffen besessen, die lediglich auf wundersame Weise bis heute nicht gefunden wurden.

Dabei hat der Irak damals über keine Massenvernichtungswaffen verfügt. Die US-Regierung unter Präsident Bush hatte die Weltöffentlichkeit wissentlich und systematisch belogen: Die angeblichen „Beweise“ für die Existenz von biologischen und chemischen Waffen, die der als „moderat“ geltende Außenminister Colin Powell an 5. Februar 2003 in einer Sitzung des Sicherheitsrats präsentiert hatte, bestanden aus vom US-Geheimdienst manipuliertem Material. Es war eine riesige, weltweit übertragene Show, basierend auf Fake News, nicht auf Fakten. Powell entschuldigte sich später für die von ihm verbreiteten Lügen, seinen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat nannte er einen „Schandfleck“ seiner Karriere. Konsequenzen hatte er keine zu tragen, er stieg als Partner bei einem bekannten Risikokapital-Finanzierer ein, der den Aufstieg von Internetgiganten wie Google und Amazon mitfinanziert hat, bevor er im Oktober 2021 im Alter von 84 Jahren in einem Militärkrankenhaus verstarb.

Der gestürzte irakische Staatschef und Diktator Saddam Hussein wurde am 13. Dezember 2003, verraten von einem früheren Gefolgsmann im berüchtigten irakischen Geheimdienst, von US-Besatzungstruppen festgenommen und 2005 von einem Sondertribunal der von Washington eingesetzen irakischen Übergangsregierung wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und weiterer Taten zum Tode verurteilt. Am 30. Dezember 2006 wurde er gehängt. US-Präsident Bush würdigte die Hinrichtung als „gerechte Strafe“ als Ergebnis einer Rechtsprechung, die der irakische Expräsident „den Opfern seines brutalen Regimes“ vorenthalten habe.

Während George W. Bush heute juristisch unbehelligt in einem Hobbykeller seiner Ranch in Texas Ölgemälde malt, statt sich vor Gericht für den verbrecherischen Irak-Krieg verantworten zu müssen, wird der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, seit nunmehr 13 Jahren seiner Freiheit beraubt. Am kommenden Montag, wenn sich der völkerrechtswidrige Überfall des George W. Bush zum 20. Mal jährt, wird Julian Assange seit 1439 Tagen in Belmarsh in London inhaftiert sein, einem Hochsicherheitsgefängnis, das als „britisches Guantanamo“ berüchtigt ist. Bushs heutiger Amtsnachfolger, US-Präsident Joe Bilden, fordert eine Auslieferung des Journalisten, um ihm in den Staaten den Prozess zu machen. Dem gebürtigen Australier droht eine Verurteilung wegen „Spionage“ und eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren, weil er ab 2010 in Kooperation mit großen Medien wie der US-Zeitung New York Times, dem britischen Guardian, der größten Zeitung Spaniens, El País, und dem deutschen Magazin Der Spiegel Material zu Aktivitäten der US-Armee im Irak und in Afghanistan publik gemacht hat. „Die Veröffentlichung von Hunderttausenden Militärdokumenten durch Wikileaks zeigt ein neues Gesamtbild des Irakkrieges – vor allem, wie die irakische Gesellschaft von 2004 bis 2009 drastisch brutalisiert wurde“, urteilte die Süddeutsche Zeitung damals (24.10.2010). „Die Dokumente zeugen auch von vielen, bislang nicht bekannten Vorfällen, bei denen US-Soldaten Zivilisten töteten – an Kontrollposten, aus Hubschraubern, bei Einsätzen. Missverständnisse an Checkpoints endeten oft tödlich.“ Für weltweites Aufsehen sorgte etwa die Veröffentlichung der Bordvideos von US-Kampfhubschraubern in „Collateral Murder“, mit der die Ermordung irakischer Zivilisten in Bagdad belegt wird, darunter zwei für Reuters arbeitende Kriegsberichterstatter. Bis heute wurde keiner der US-Soldaten bestraft, kein Befehlshaber zur Verantwortung gezogen. Und statt dem Kriegsverbrecher George W. Bush wird derjenige verfolgt und eingesperrt, der die Kriegsverbrecher aufgedeckt hat.

Auch in Deutschland wurden bisher die Kriegsverbrechen von US-Soldaten und ihres damaligen Oberkommandierenden nicht verfolgt. Wer aber wie die Bundesregierung nicht bereit ist, den Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten im Irak mit Hunderttausenden zivilen Toten ahnden zu lassen, der verliert international jede Glaubwürdigkeit. Statt weiterhin einen derart subalternen Umgang mit der US-Administration zu pflegen, muss sich die die Ampelregierung endlich mit aller Kraft für die Freilassung des Journalisten Julian Assange einsetzen.