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»Weil bei Ihnen die Bankenlobby regiert, nicht Sie selbst«

Rede von Gregor Gysi,

Rede von Gregor Gysi in der Debatte über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 24./25. März 2011 in Brüssel

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich muss Ihnen sagen: Ich finde es unverfroren und arrogant, dass Sie eine Regierungserklärung abgeben, ich Ihnen die ganze Zeit zuhöre und Sie, wenn die Opposition erwidert, aufstehen, herumlaufen und nicht zuhören. Das ist nicht anständig; das ist arrogant und falsch, wenn ich das einmal deutlich sagen darf.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Oh! Sie sind aber angefressen! Ich höre Ihnen zu!)

Wir hatten zunächst eine Bankenkrise, dann eine Krise des Euro, und jetzt haben wir eine Staatsschuldenkrise, übrigens auch in unserem Land; denn Bund, Länder und Gemeinden haben im letzten Jahr neue Schulden im Umfang von 300 Milliarden Euro gemacht. Davon sind 232 Milliarden Euro auf die Bankenkrise zurückzuführen. Ich habe eine Frage: Wer bezahlt jetzt diese Schulden? Bei uns sind das ganz eindeutig die Bürgerinnen und Bürger, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und sogar die Hartz-IV-Empfangenden. Es gilt nicht das Verursacherprinzip; sonst würden nämlich die Banken die Schulden bezahlen müssen. Genau das haben Sie immer abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP)

  Es ist richtig: Das haben wir schon einmal gesagt. Aber geändert haben Sie es nicht, weil Sie die Banken immer schonen; denn es regiert die Bankenlobby, es regieren nicht Sie selbst. Das ist nämlich das Problem, mit dem wir es in Deutschland zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dasselbe gilt übrigens für Zahlungen auf europäischer Ebene. Die Privatbanken verdienen glänzend. Ich muss Ihnen, Herr Kauder, zwei Beispiele nennen, damit Sie die in Baden-Württemberg verbreiten. Erstes Beispiel: Die Europäische Zentralbank gibt keine Kredite an Staaten, auch nicht in Ausnahmesituationen, obwohl das jetzt dringend notwendig wäre. Was macht die Europäische Zentralbank? Sie gibt zum Beispiel der Deutschen Bank einen Kredit über 1 Milliarde Euro und verlangt dafür 1 Prozent Zinsen. Dann geht die Deutsche Bank zur griechischen und zur irischen Regierung und sagt: Wir haben gehört, ihr braucht Geld.   Dann antworten die Regierungen: Das ist schön; wir hätten gerne 1 Milliarde Euro.   Dann erwidert die Deutsche Bank: Wir leihen euch das Geld, wenn ihr uns 13 Prozent   im Falle Griechenlands   oder 10 Prozent   im Falle Irlands   Zinsen zahlt.   Mit einer Überweisung verdient die Deutsche Bank eine Schweinegeld, ohne irgendetwas hergestellt oder irgendeinen Wert geschaffen zu haben.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Gysi, haben Sie schon mal etwas von Risikohaftung gehört?)

Ich nenne Ihnen jetzt das zweite Beispiel. Sie müssen auch das zweite Beispiel verbreiten, Herr Kauder.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das erste ist schon falsch!)

Sie haben zusammen mit der SPD die Hypo Real Estate verstaatlicht. Es ist schon selten, dass die CDU etwas verstaatlichen will und die Linke Kritik dazu äußert. Das lag einfach daran, dass wir gesagt haben: Wenn wir verstaatlichen, dann verstaatlichen wir nach dem schwedischen Modell und übernehmen alle privaten Großbanken.   Sie aber wollten nur die höchstverschuldete Bank übernehmen. Dadurch haben die Bürgerinnen und Bürger von Ihnen die gesamten Schulden der Hypo Real Estate bekommen. Insgesamt sind auch von unseren Bürgerinnen und Bürger dadurch an die Deutsche Bank jetzt schon 20 Milliarden Euro gezahlt worden. Deshalb können die riesige Dividenden an ihre Großaktionäre sowie Boni und Boni an alle ihre Ackermänner auszahlen. Das ist die Wahrheit. Genau das ist das Problem. Hier brauchen wir endlich Gerechtigkeit.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Das Staatsbankensystem der DDR haben wir ja erlebt!)

Jetzt komme ich zu Griechenland, Irland, Portugal und Spanien und sage Ihnen: Was Sie dort machen, Frau Bundeskanzlerin, ist eine Politik von Versailles. Ich hatte gehofft, wir hätten aus der Geschichte endlich gelernt. Deutschland hat zu Recht den Ersten Weltkrieg verloren. Aber die Sieger konnten in Versailles nicht aufhören, zu siegen, und haben ganz enge und demütigende Bedingungen für Deutschland festgelegt. Das war nicht der einzige, aber ein Grund dafür, dass dann die NSDAP mit ihrem entsetzlichen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus solchen Erfolg in Deutschland hatte.

(Holger Krestel (FDP): Hören Sie doch mal auf, die Geschichte zu verbiegen! Das ist ja peinlich!)

Ich dachte, wir hätten daraus gelernt. Aber was machen wir? Wir machen gegenüber Griechenland, Irland, Portugal und Spanien wieder eine Politik von Versailles. Sie verlangen dort Lohnsenkungen, Rentensenkungen, Senkungen der Sozialleistungen, Rücknahme von Investitionen, und   die Frau Bundeskanzlerin hat es heute stolz gesagt   Griechenland soll öffentliches Eigentum im Wert von 50 Milliarden Euro verkaufen. Sollen die auch noch die Akropolis verkaufen, oder was stellen Sie sich eigentlich vor? Ich finde das indiskutabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass der portugiesische Ministerpräsidenten zurückgetreten ist, liegt doch nur daran, dass die Opposition jetzt mehrheitlich entschieden hat, diesen Kurs von Versailles nicht mitzumachen, und das ist völlig richtig.

(Zurufe von der FDP)

  Ja, ich weiß, dass die Konservativen und die Linken das auch entschieden haben. Wenn die Konservativen in der Opposition sind, haben sie ab und zu auch einmal einen vernünftigen Gedanken; selten, aber immerhin, es kommt vor.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das nächste Problem besteht darin, dass Sie hier die Finanzmärkte nicht reguliert haben. Was haben Sie gemacht, Frau Bundeskanzlerin? Sie haben weder die Spekulation noch Leerverkäufe, noch Hedgefonds, noch Zweckgesellschaften eingeschränkt. Es gibt auch keine Finanztransaktionsteuer. Herr Steinbrück, ich habe gern gehört, dass Sie für die Finanztransaktionsteuer sind. Sie müssen nur zwei Dinge erklären, erstens warum Sie sie als Bundesfinanzminister nicht eingeführt haben und zweitens weshalb Sie bei einer namentlichen Abstimmung dagegen gestimmt haben. Wenn Sie das noch erklären, dann sind wir hier einen Schritt weiter.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der Internationale Währungsfonds befürchtet jetzt übrigens eine neue und noch schlimmere Krise, und zwar deshalb, weil nichts reguliert worden ist. Wir wollen nicht vergessen: Sie haben einen Fonds für die nächste Krise eingeführt. Da sollen die Banken jedes Jahr 1 Milliarde Euro einzahlen. Da Sie den Banken selber innerhalb einer Woche 480 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt haben, machen Sie damit eine sehr langfristige Politik. Dann haben wir das Geld von den Banken, wenn ich das Ganze richtig verstehe, schon in 480 Jahren zurück.
Aber abgesehen davon: Jede Bundesregierung achtet immer auf den Export und nicht auf die Binnenwirtschaft. Deshalb die Reallohnsenkung, die Rentensenkung, die Sozialleistungssenkung! Sie wollen, dass alle Produkte so billig wie möglich ins Ausland verkauft werden können. Deshalb nehmen wir da auch Platz zwei ein. Ich sage Ihnen: Diese Einseitigkeit muss endlich überwunden werden. Wir brauchen eine Stärkung der Binnenwirtschaft. Deshalb betone ich erneut: Die einzige Mittelstandspartei ist die Linke.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

  Ich wusste, dass Sie sich freuen. Deshalb wiederhole ich es. Ich will Ihnen auch die Gründe nennen, Frau Homburger, damit Sie es verstehen. Passen Sie auf!
Wir sind die Einzigen, die Lohnsteigerungen wollen, die Rentensteigerungen wollen und die Steigerungen der Sozialleistungen wollen. Davon lebt der Gastwirt, davon leben die kleinen und mittleren Unternehmen, die in der Binnenwirtschaft agieren. Für die tun Sie gar nichts. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen ein soziales Europa der Völker, und Sie wollen ein Hartz-IV-Europa.

(Lachen bei der FDP)

Der Reallohnabbau in den letzten zehn Jahren betrug in Deutschland 4,5 Prozent, auch unter Mitregierung der SPD. Erklären Sie doch einmal, weshalb keine andere Industriegesellschaft einen Reallohnabbau hatte, nur Deutschland. In Norwegen gab es sogar ein Plus von 25 Prozent. Was Sie auf dieser Strecke angerichtet haben, ist nicht vertretbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Dasselbe gilt für Renten und Sozialleistungen.
Sie wollen statt eines sozialen Europas ein Agenda-2010-Europa. Da spielt auch gar keine Rolle, ob Union, SPD, FDP oder Grüne handeln; da sind Sie sich ja einig. Was bedeutet ein Agenda-2010-Europa? Das bedeutet: prekäre Beschäftigung, Befristung, Leiharbeit, Aufstockung, das gesamte Paket im Niedriglohnsektor. Das alles ist durch die Agenda 2010 in Deutschland massenhaft eingeführt worden.

Lassen Sie mich nur zu drei Dingen etwas sagen. Befristete Beschäftigung bedeutet immer, den Leuten keine Perspektive zu geben; weil Sie nicht wissen, ob sie wieder einen Vertrag bekommen. Sie können sich überhaupt nicht darauf einstellen. Das schwächt auch die Gewerkschaften; denn jemand, der einen befristeten Vertrag hat, geht doch nicht zu einer Kundgebung gegen die Leitung seines eigenen Unternehmens, weil er Angst hat, keinen neuen Vertrag zu bekommen. Das ist ja auch Ihr Ziel. Deshalb soll die befristete Beschäftigung ausgebaut werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Leiharbeit ist für mich eine moderne Form der Sklaverei. Wir könnten wenigstens die französische Regelung einführen, wonach ein Leiharbeiter von Anfang an genauso viel Geld plus 10 Prozent bekommt. Dann wird das eine reine Ausnahme. Aber hier arbeiten die Leiharbeiter für einen Zweidrittellohn oder einen halben Lohn.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen die gleiche Bezahlung nach neun Monaten einführen, wenn die Leiharbeiter schon längst wieder entlassen sind. Liebe FDP, das könnt ihr nun wirklich vergessen. Das ist eine Veralberung der Leute.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zu den Aufstockerinnen und Aufstockern. Aufstockerinnen und Aufstocker verdienen, obwohl sie Vollzeit arbeiten, so wenig, dass sie ergänzend Hartz IV beantragen müssen. Wir betreiben diesbezüglich eine Subventionierung von jährlich 10 Milliarden Euro. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Deutschlands zahlen an die Aufstockerinnen und Aufstocker 10 Milliarden Euro. Die Frau Bundeskanzlerin sagt immer, sie sei stolz darauf, dass der Staat an dieser Stelle eingreift. Ich sage, das ist ein Grund, sich zu schämen. Jemand, der einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf einen Lohn haben, mit dem er in Würde leben kann, und darf nicht zum Sozialamt geschickt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Die Rede hatten wir schon!)

- Sie müssen das ändern. Dann brauchen Sie das nicht mehr zu hören.

(Birgit Homburger (FDP): Es ist Zeit, eine neue Rede zu schreiben!)

In Deutschland sind 22 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Das ist mehr als ein Fünftel. Das ist die Realität, mit der wir es zu tun haben.

Mit dem Agenda-Europa würde auch die Rente ab 67 eingeführt. Die ganze Zeit reden Sie vier   SPD, Grüne, Union und FDP   davon, der demografische Faktor sei entscheidend, die Leute würden immer älter. Das ist völlig falsch. Entscheidend ist die Produktivität. Ein Bauer konnte früher nur acht Menschen versorgen; heute versorgt er über 80 Menschen. Die Produktivitätssteigerung ist das Entscheidende.

(Zuruf von der FDP: Das hat mit der Rente aber nichts zu tun!)

Deshalb müssen wir an eine Kürzung der Lebensarbeitszeit und auch der Wochenarbeitszeit denken, aber nicht an eine Verlängerung.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Müntefering hat immer gesagt, man müsse auch berücksichtigen, wie die Älteren beschäftigt sind. Ich sage es Ihnen: Von den 63- bis 64-Jährigen haben 8,4 Prozent der Männer und 3,7 Prozent der Frauen einen Vollzeitjob. Das ist die Realität. Und da sagt auch die SPD diesen Leuten, dass sie zwei Jahre länger arbeiten sollen. Ich finde das indiskutabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Agenda-Europa bedeutet ferner, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend die Kosten für ihre Gesundheit alleine tragen müssen. Jetzt haben Sie, Union und FDP, doch ernsthaft den Arbeitgeberanteil eingefroren und gesagt: Alle zusätzlichen Kosten müssen die Versicherten, das heißt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, alleine tragen. Das ist extrem unsozial.

Wir brauchen ein Europa frei von Atomenergie und eine staatliche Energiepreisregulierung. An dieser Stelle rufen Sie immer, das sei Planwirtschaft. Was Planwirtschaft angeht, haben Sie aber von Tuten und Blasen keine Ahnung.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Da haben Sie mehr Ahnung! Das stimmt!)

- Das stimmt.   Wir hatten Jahrzehnte der staatlichen Energiepreisregulierung in der Bundesrepublik Deutschland, und dort gab es keine Planwirtschaft. Wenn Sie nach dem Markt rufen würden, hätte ich nichts dagegen. Wir haben hier aber nur vier Konzerne   das ist alles  , die sich feudal Deutschland aufgeteilt haben. Entgegen Ihrer Annahme sind sie in der Lage, einmal mittwochs zu telefonieren und zu verabreden, wie sie uns übernächste Woche abzocken. Das muss endlich ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen ein Europa des Friedens, frei von Kriegen. Nicht zu fassen ist, dass eine Bundesregierung aus SPD und Grünen und dann aus Union und SPD Waffenexporte an das feudale Saudi-Arabien genehmigt, das nicht nur Menschenrechte   insbesondere von Frauen   verletzt, sondern aus dem sämtliche Zahlungen an die Terrororganisation al-Qaida fließen. Von 2005 bis 2009 waren dies 471 Millionen Euro. Damit wurden Panzer und Munitionsfabriken möglich. Jetzt marschiert Saudi-Arabien in Bahrain ein und schießt mit deutschen Waffen auf friedliche Demonstranten.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.   Die Regierung von Union und SPD hat ferner von 2006 bis 2009 Waffenexporte an Gaddafi im Wert von 83 Millionen Euro geliefert. Gestern hat Herr Kauder gesagt, dass das ein Fehler war. Das würde ich auch gern von der SPD hören. Das war ein gravierender Fehler. Man weiß nämlich nie, auf wen Diktatoren schießen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen zum Schluss: Der Kriegsbeschluss der UNO ist falsch. Der Außenminister bekommt jetzt mit, wie schwer es in Deutschland ist, nicht an einem Krieg teilzunehmen. Ich füge hinzu: Was SPD und Grüne machen, ist reine Eierei. Sagen Sie doch einmal klipp und klar, ob Sie dafür oder dagegen sind. Sagen Sie nicht nur, die Regierung hätte sich klarer äußern müssen.

(Zurufe von der SPD)

Ich bin froh, einer Fraktion anzugehören, die klar Nein zu Krieg als politischem Mittel sagt, wie übrigens auch Willy Brandt.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Bitte bleiben Sie auch bei Ihrer Fraktion! - Thomas Oppermann (SPD): Bleiben Sie bloß da! - Weitere Zurufe von der SPD)