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Was drin ist, soll auch drauf stehen. Für eine einheitliche Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln

Rede von Karin Binder,

Sehr geehrte Damen und Herren,

wussten Sie, dass noch nicht einmal ein Fünftel des insgesamt verkauften Zuckers tatsächlich für Süßwaren verwendet wird?
Die restlichen 82 Prozent des Zuckerumschlags gehen in andere, auf den ersten Blick oft unverdächtige Lebensmittel wie Ketchup, Senf oder Tütensuppen. Fast alle Fertigprodukte und sogar abgepacktem Fleisch wird Zucker zugesetzt, um es länger haltbar zu machen.

Nun hat ja Zucker zumindest bei gesundheits- und ernährungsbewussten Verbraucherinnen und Verbrauchern seit geraumer Zeit nicht den besten Ruf. Und so hat sich die Lebensmittelindustrie allerhand einfallen lassen, um den Zucker in ihren Produkten zu verstecken.
Da wird Zucker dann wohlklingend und Gesundheit suggerierend als Fructose, Glucose oder Fruchtsüße bezeichnet Traubenzucker, Milchzucker, Roh-Rohrzucker, Melasse und so weiter.
Oder es wird explizit geworben mit dem Slogan „ohne Zuckerzusatz“. Dabei enthält das so angepriesene Produkt oft schon mehr als genug Zucker aus den darin enthaltenen Früchten.
Auf etlichen Produkten ist noch nicht mal klar zu erkennen, dass Zucker drin ist, weil die Hersteller ihn verschämt unter der Rubrik Kohlehydrate unterbringen, ohne auf den darin enthaltenen Zucker hinzuweisen.

Es ist also schwer, als Verbraucherin den Zuckerkonsum einigermaßen im Blick zu behalten, geschweige denn, den allgegenwärtigen Zucker zu vermeiden, wenn man das möchte oder vielleicht sogar aus gesundheitlichen Gründen muss.
Ähnliches gilt für Fette und Salz, insbesondere bei verarbeiteten Lebensmitteln. Seit Jahren wird hier von den Lebensmittelherstellern getrickst, getäuscht und verschleiert mit Begriffen wie „kalorienarm“ oder „light“ oder es werden Zuckerbomben mit dem Slogan „Null Prozent Fett“ angepriesen.

Das, meine Damen und Herren, muss anders werden.
Wir wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf und beim Essen schnell, einfach und zuverlässig erkennen können, was sie da konsumieren.
Deshalb treten wir ein für eine einheitliche und transparente Nährwertkennzeichnung auf verarbeiteten Lebensmitteln. Zucker, Salz, Fette und insbesondere gesättigte Fettsäuren müssen klar und deutlich auf den Produkten angegeben sein.
Und damit nicht jeder Hersteller sich hier sein eigenes System mit selbst gewählten Basiswerten ausdenkt, wollen wir eine gesetzliche Normierung.
Nur so ist aus unserer Sicht gewährleistet, dass auf allen Produkten vergleichbare Grundangaben zu finden sind und dass die angegeben Portionsgrößen gleich und vor allem realistisch sind. Und nur so kann auch gesichert werden, dass alle Hersteller die selben wissenschaftlich gesicherten Werte für den durchschnittlichen Tagesbedarf eines Nährstoffs zugrunde legen, nämlich die der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und nicht die des europäischen Branchen-Instituts mit seinen deutlich höheren Angaben für den täglichen Fett- oder Zuckerbedarf.

Meine Damen und Herren, ich finde es bezeichnend, wie die Lebensmittelindustrie Sturm läuft gegen Pläne zur Lebensmittelkennzeichnung.
Ursprünglich hatte ich vor, in meiner Rede besonders aufschlussreiche Passagen aus einem Briefwechsel zwischen dem Lobbyverband der Lebensmittelindustrie BLL und dem Verbraucherministerium vorzutragen, den die Verbraucherorganisation foodwatch vor kurzem öffentlich gemacht hat. Ich verzichte jetzt wegen meiner kurzen Redezeit aber doch darauf und verweise auf die foodwatch-Dokumentation im Internet (www.foodwatch.de).

Aber was ist eigentlich der Grund für die Aufregung der Lebensmittelkonzerne? Was ist so schlimm daran, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eindeutig mitzuteilen, was in den Produkten enthalten ist? Warum soll sich die informierte Käuferin nicht aufgrund der Nährwertangaben auf der Packung im direkten Vergleich für oder gegen ein Produkt entscheiden können? Was ist schlimm daran, wenn gesündere Produkte durch die Lebensmittelkennzeichnung einen Wettbewerbsvorteil bekämen?

Und wer oder was zwingt den Verbraucherminister eigentlich, sich ständig der Lebensmittellobby zu beugen? Als zuständiger Politiker weist er gesetzliche Regelung weit von sich und lässt den Konzernen bei der Ausgestaltung der Kennzeichnung freie Hand. Politisch verantwortliche Gestaltung sieht anders aus!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fehlernährung und Übergewicht sind längst nicht mehr nur Probleme einzelner Individuen. Hier liegt ein massives strukturelles Problem der modernen Industriestaaten vor, wo Süßigkeiten, Fertiggerichte, Limonaden und Softdrinks, Frühstücksflocken und andere Zucker- und Kalorienbomben ein Milliardengeschäft sind. Daraus kann ganz schnell ein massives gesellschaftliches Problem werden.

Wir fordern deshalb die Bundesregierung und insbesondere den Verbraucherminister nachdrücklich auf, sich auf ihren eigentlichen Auftrag zu besinnen und den gesundheitlichen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher über die wirtschaftlichen Interessen der Lebensmittelindustrie zu stellen.
Solange das nicht passiert, braucht Herr Minister Seehofer hier nichts mehr über gesunde Ernährung erzählen und seinen hochgejubelten „Nationalen Aktionsplan gegen Übergewicht und Fehlernährung“ kann er dann auch einpacken.
Dankeschön.