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Sumpf aus Gier und Spekulation trockenlegen

Rede von Lothar Bisky,

Rede von Prof. Dr. Lothar Bisky zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum G20-Gipfel am 19. und 20. März 2009

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

der Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel hat sich 20 Millionen Euro Pensionsgelder auszahlen lassen. Nach den Strapazen seiner Steuerhinterziehung über die Steueroase Liechtenstein will er jetzt den wohlverdienten Ruhestand auf seinem Schloss am Gardasee genießen. „Einen ganz normalen Vorgang“ nennt er das.
Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitslosen zu, auch die der Menschen, die von Kurzarbeit leben müssen oder auf Hartz IV angewiesen sind. Viele Existenzen von kleinen und mittleren Selbstständigen sind in Gefahr oder bereits zerstört. Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt den Menschen das hässliche Gesicht der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung: von maßlos übersteigertem Renditestreben und mangelnder gesellschaftlicher Solidarität geprägt, ohne demokratische Kontrolle und ohne wirkliche demokratische Mitentscheidung der Menschen über die wirtschaftlichen Abläufe.

(Beifall bei der LINKEN)

Das empört, und zwar zu Recht. Ich weiß: Auch manche Kollegin und mancher Kollege aus den Koalitionsparteien teilen diese Empörung. Aber was folgt politisch aus dieser Empörung für ihre Parteien und Fraktionen? Was folgt daraus für die von ihnen getragene Bundesregierung? Wie reagiert die Bundesregierung angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise? Sie macht vor allem eines: Sie reist. Im November vergangenen Jahres ging es mit kaum erkennbarem Gewinn zum Weltfinanzgipfel in Washington. Am vorigen Wochenende gab es ein Ministertreffen in London, bei dem der Europäische Rat am Donnerstag vorbereitet werden sollte. Der Europäische Rat soll nun vor allem dazu dienen, die gemeinsamen Positionen von EU und Mitgliedstaaten für den Finanzgipfel der G-20-Staaten in London vorzubereiten.
Aber was wird dabei herauskommen? „G20-Finanzminister beschließen nichts“, titelte die Financial Times Deutschland am Montag. Ich zitiere:
Konkrete Verpflichtungen für die Regierung oder genaue Größenordnungen für … weitere Konjunkturpakete wurden nicht beschlossen.

In der Sache kam es zu kaum mehr als Andeutungen. Die Hedgefonds sollen nur registriert und Informationen weitergegeben werden, den sogenannten Schrottpapieren soll allein mit Leitlinien für die einzelnen Länder begegnet werden. - Das wird kaum helfen.
Wir von der LINKEN bleiben dabei: Wir wollen erstens Hedgefonds verbieten,

(Beifall bei der LINKEN)

zweitens Zweckgesellschaften verbieten, drittens Steueroasen wirksam austrocknen oder verbieten und viertens Verbriefungen verbieten. Nur wenn diese vier Grundübel an der Wurzel gepackt werden, haben wir überhaupt die Chance, den Sumpf aus Gier und Spekulation trockenzulegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute und morgen tagt nun der Europäische Rat, der unter anderem für den neuen G-20-Gipfel die Positionen bestimmen soll. Die bisherige Tagesordnung lässt leider nicht ahnen, welche gemeinsamen Ergebnisse zu erwarten sind. Welche Vorschläge der hochrangigen Larosière-Gruppe werden denn von den teilnehmenden Regierungen geteilt? Steht denn die Kommission, die die Arbeitsgruppe im Oktober des vergangenen Jahres eingesetzt hat, überhaupt hinter dem Ganzen oder doch wenigstens hinter einem Teil der Vorschläge? Wie bewertet die Bundesregierung den Bericht? Erst wenn wir von ihr schwarz auf weiß haben, welche konkreten Vorschläge sie für richtig hält, kann eine wirkliche parlamentarische Debatte stattfinden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Unabhängig davon fällt auf, wie einseitig die „hochrangige Arbeitsgruppe“ besetzt ist. Es sind auffällig viele dabei, die den Finanzsektor mit seinen überhöhten Renditeansprüchen und seinen Spekulationen geradezu beispielhaft repräsentieren: Jacques de Larosière ist Mitvorsitzender der Finanzlobbyorganisation Eurofi und war bis vor Kurzem Berater der französischen Bank BNP Paribas. Rainer Masera war Direktor einer europäischen Tochter der Pleitebank Lehman Brothers. Onno Ruding ist Berater der Citigroup. Otmar Issing, früher bei der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Nationalbank, ist Berater von Goldman Sachs. Für die vier anderen Beteiligten - natürlich auch Männer - gilt im Wesentlichen die gleiche Ausrichtung. Eine Gewerkschafterin oder ein Gewerkschafter oder eine unabhängige Persönlichkeit aus dem Bereich der Wissenschaft findet sich in der Arbeitsgruppe nicht. Dies ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Einrichtung dieser „hochrangigen“ Gruppe zeigt also deutlich: Weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission sind bereit, die wahren Ursachen der Krise zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, an ihre Beseitigung zu gehen. Sie machen weiterhin Politik im Interesse der Großbanken und Großkonzerne. Der Hunderte von Milliarden schwere Rettungsschirm ist für die Garantierung von Höchstprofiten und nicht für die Erhaltung von Arbeitsplätzen der Beschäftigten bestimmt. Die Empfehlung von EU-Finanz- und Haushaltskommissar Almunia an die EU-Mitgliedstaaten spricht genau dafür: Die EU-Staaten dürften nicht mit einer teuren und verfehlten Sozialpolitik auf die steigende Arbeitslosigkeit antworten. Dann würden die Staatsschulden noch mehr anschwellen. Dies ist eine Aufforderung zum Sozialabbau.

Um einen nicht des Linksseins verdächtigen Zeugen zu zitieren, trage ich vor, was der Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman in seinem neuen Buch schreibt:
Frau Merkel und ihre Beamten glauben anscheinend noch immer, hier herrschten die normalen Regeln der Wirtschaft, die Regeln, die dann gültig sind, wenn man mit Geldpolitik noch etwas ausrichten kann. Sie haben nicht begriffen, dass in Europa wie in den Vereinigten Staaten mittlerweile ein Depressionsklima eingezogen ist, in dem die normalen Regeln nicht mehr gelten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich zitiere weiterhin Nobelpreisträger Krugman, einen lesenswerten Mann:
Sobald wir wieder normale Verhältnisse haben, werde ich jene, die wie Herr Steinbrück fiskalische Disziplin predigen, gern die ihnen gebührende Ehre erweisen. Sich jetzt aber an die Orthodoxie zu klammern, ist hochgradig destruktiv für Deutschland, Europa und die Welt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, DIE LINKE fordert kurzfristig einen Rettungsschirm für die Menschen und langfristig einen grundlegenden Wechsel in der Politik sowohl der Bundesregierung als auch der EU. Wir müssen weg von einer Politik für eine Minderheit der Reichen und hin zu einer Politik, in der die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und die Bewältigung der globalen Herausforderungen im Mittelpunkt stehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)