Zum Hauptinhalt springen

Handwerksnovelle evaluieren, Handwerkskammern demokratisieren

Rede von Johanna Regina Voß,

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in keinem Wahlprogramm fehlt die Würdigung des Mittelstandes und des Handwerks. Zurecht! Das Handwerk besteht überwiegend aus Kleinbetrieben. Diese drohen kaum mit Abwanderung und flüchten nicht ins nächste Steuerparadies. Sie sorgen stattdessen für Beschäftigung, Ausbildungsplätze und ortsnahe Versorgung – auch und gerade in den strukturschwachen und ländlichen Regionen, wo das Handwerk deshalb viel zur Lebensqualität beiträgt. Über 10% der Erwerbstätigen und fast 30% der Auszubildenden in Deutschland sind im Handwerk tätig.

Doch wenn es um längst überfällige Verbesserungen für die Handwerkerinnen und Handwerker geht, wird es still in den Reihen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Zu groß ist offensichtlich die Furcht einzugestehen, dass die bisherige Handwerkspolitik verbesserungswürdig ist, und die Scheu, sich mit den Profiteuren der etablierten Strukturen in den Handwerkskammern anzulegen. Wen wundert das – wo Politik und Kammern immer wieder durch personelle Verstrickungen auffallen.

Ausbaden müssen die Versäumnisse der Politik die vielen Kleinst- und Kleinunternehmen im Handwerk, für die die Beitragssätze viel zu hoch sind, die Handwerkerinnen und Handwerker der meisterfrei gestellten Anlage B-Gewerke, in deren Bereich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten drastisch sank, und die freien Handwerkerinnen und Handwerker, die immer wieder einer regelrechten Verfolgung durch die Ordnungsämter wegen angeblicher Schwarzarbeit ausgesetzt sind.

Mit unseren beiden heute zur Abstimmung stehenden Anträgen wollen wir endlich die Evaluierung der Handwerks-Novelle von 2004 und bessere Handwerkskammern.

In unserem Antrag „Handwerksnovelle evaluieren, hohes Qualifikationsniveau sicherstellen“, fordern wir die Bundesregierung auf, die Handwerksreform von 2004 grundlegend zu evaluieren. Damals wurden die umfangreichsten Änderungen seit Bestehen der Handwerksordnung vorgenommen. Es sollte sich von selbst verstehen, die Auswirkungen einer solch umfassenden Reform zu evaluieren. Wie haben sich die Zahlen zu sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen in den meisterpflichtigen und meisterfreien Gewerken entwickelt? Wie sieht es mit der Ausbildungsleistung aus? Wie viele Insolvenzen gab es in den verschiedenen Gewerken? Konnte die Qualität der erbrachten Leistungen aufrechterhalten werden?

Auch die Fraktion der CDU/CSU forderte 2003 – damals noch in der Opposition – in einem Antrag eine Überprüfung der neuen Regelungen jeweils nach sieben Jahren. Das sei „ein Gebot der Vernunft“. Es müsse festgestellt werden, welche Auswirkungen die Neuordnung der Handwerksnovelle für die Betriebe nach sich gezogen hat, und ggf. müssen Anpassungen bei der Zuordnung in die Anlagen A und B vorgenommen werden – so die CDU/CSU damals. Eine Evaluierung der Handwerksordnung wurde auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition 2005 angekündigt – und steht dennoch bis heute aus.

Offenbar fehlt der politische Wille, die Geschicke des Handwerks positiv mitzugestalten. Die Bundesregierung redet sich in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von uns zur Situation in den Handwerkskammern bei der Frage nach einer Evaluierung mit der „bestehenden Datenlage“ heraus. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz! Es liegt in der Verantwortung der Bundesregierung, die Erfassung der notwendigen Daten zu veranlassen! Eine verantwortungsvolle Handwerkspolitik setzt differenziertes Zahlenmaterial voraus.

Keine Frage, die duale Ausbildung ist ein großer Schatz. Keine Frage, hohe Qualifikationsstandards im Handwerk müssen aufrecht erhalten werden.

Allerdings müssen auch die alternativen Zugangsmöglichkeiten zur Selbstständigkeit im meisterpflichtigen Handwerk bei gleichwertiger Qualifikation großzügig anerkannt werden. Der Meistertitel soll als Qualifikationsnachweis dienen, darf aber nicht zur Marktabschottung missbraucht werden.

In dem zweiten von uns vorgelegten Antrag geht es darum, die Situation in den Handwerkskammern zu verbessern.

Um die Frage der Pflichtmitgliedschaft geht es in unserem Antrag erstmal nicht! Schon gar nicht geht es darum, die sinnvollen Aufgaben der Kammern ersatzlos zu streichen - also Ausbildung, Prüfungsabnahmen, Beratungsangebote. Die dahingehend reflexartig vorgebrachten Unterstellungen der anderen Fraktionen, sobald die Kammern kritisiert werden, greifen nicht! Auch wenn perspektivisch diskutiert werden muss, ob die Kopplung der Eintragungsverpflichtung zur Erledigung der hoheitlichen Aufgaben mit der allgemeinen Mitgliedschaft sinnvoll ist. Denn die Pflichtbeiträge ermöglichen finanziell vielfältige weitere Tätigkeiten der Kammern, die nicht zwingend im Interesse der Mitglieder sind.

Zu einigen Problemfeldern, die wir mit unserem Antrag angehen wollen: Obwohl die Bundesregierung eine Wahl der Mitglieder der Vollversammlung als oberstem Organ einer Handwerkskammer für den „Regelfall“ hält, gab es in den 53 Handwerkskammern bei den alle fünf Jahre stattfindenden Vollversammlungswahlen seit 1953 gerade einmal drei (!) wirkliche Wahlen. Sonst stand nur eine Liste zur Auswahl – das heißt es gab keine Auswahl – und die Wahlhandlung entfiel. Für nicht-organisierte Handwerkerinnen und Handwerker ist es äußerst schwer, auf eine Liste zu kommen – geschweige eine komplette Gegenliste zu organisieren. Problematisch ist außerdem, dass der für die Zusammenstellung der Liste relevante Interessensausgleich auf branchentypische und teilweise regionale Typisierungen reduziert wird. Inhaltliche Punkte spielen keine Rolle. Für die Wählerinnen und Wähler ist nicht klar, wer für was steht.

Fehlende Veröffentlichungspflichten, ungerechte Beitragsordnungen und politische Äußerungen der Handwerkskammerpräsidenten oder Aufgabenwahrnehmung jenseits der hoheitlichen Pflichtaufgaben ohne vorherige demokratische Beschlussfassung sorgen darüber hinaus für Unzufriedenheit unter den Pflichtmitgliedern. Unser Antrag „Handelskammern demokratisieren und transparent gestalten“ trägt diesem Unmut Rechnung.

Meine Damen und Herren, wenn Sie es schon nicht über sich bringen, Anträgen der LINKEn zuzustimmen, dann bringen sie wenigstens eigene Anträge zur Evaluierung der Handwerksnovelle und zur besseren Organisation der Handwerkskammern ein! Denn das ist – um Ihre Worte zu verwenden – ein Gebot der Vernunft!